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Kiara Rodriguez sprang zu Bronze.

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Erste Medaillen bei Paralympics: Das Team von Ecuador trumpft dreifach auf

Kiara Rodriguez sollte für Ecuador die erste Medaille bei Paralympics gewinnen. Doch daraus wurde nichts – zwei Schwestern kamen ihr zuvor.

Eine beachtliche Größe weist die Mannschaft von Ecuador auf, als sie zur Eröffnungsfeier bei den Paralympics in Tokio einläuft. In blauen Anzügen begeben sie sich auf den Platz. Das Blau findet sich auch in den Farben ihrer Flagge wieder, welche sie freudig wehend in verschiedenen Größenausführungen bei sich tragen. „Auf ein Neues“, wünscht der Kommentator, denn die ersehnte Medaille, hatte es bislang für Ecuador bei Paralympischen Spielen noch nicht gegeben.

Während die Ecuadorianer in der Geschichte der Paralympics noch auf die erste Medaille warteten, waren die Einwohnerinnen und Einwohner bislang jedoch auf häufig gelingende Qualifikation ihres Fußballnationalteams zur Fußballweltmeisterschaft stolz. Bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta hatte Jefferson Pérez Gold im 20 Kilometer Gehen gewonnen und wurde prompt zum zweitbesten Ecuadorianer aller Zeiten erkoren direkt hinter Staatsmann Eloy Alfaro.

Bei Paralympischen Spielen war die ecuadorianische Beteiligung bislang überschaubar gewesen. Nie gingen im Sommer mehr als vier Athletinnen und Athleten an den Start, für Winterspiele hat sich bislang noch niemand qualifiziert. Doch es scheint, als hätte das Land nur darauf gewartet, dass eine ganz besondere Sportlerin von der Jugend- in die Erwachsenenriege wechselt:  Kiara Rodriguez. Die 18 Jahre alte Weltmeisterin im Weitsprung, die gerade die Schulzeit beendet hat, galt in dem achtköpfigen Team in Tokio als sicherer Kandidat für die erste Medaille von Ecuador bei den Paralympics. Doch daraus wurde nichts.

Unglücklich war darüber in dem südamerikanischen Land aber niemand, denn vor Rodriguez hatten bereits die Schwestern Poleth Mendes (Gold) und Anais Mendez (Bronze) im Kugelstoßen für helle Freude gesorgt. Rodriguez fügt der Sammlung schließlich im Weitsprung noch eine zweite Bronzemedaille hinzu.

Welche Auswirkungen hat der Erfolg?

Noch nie war Ecuador mit einer solch großen Mannschaft gestartet. Besonders im Vergleich zu den anderen bis dato medaillenlosen Ländern sticht die Delegationsgröße hervor. Doch welche Auswirkungen haben die Erfolge der paralympischen Sportstars nun auf die Daheimgebliebenen?

„Behindertensport, speziell im Spitzenbereich, stellt eine wichtige Bereicherung dar“, sagt Karl Quade, langjähriger Chef de Mission des deutschen Paralympics-Teams. Laut ihm ist es wichtig, dass solche Erfolge im Land publik gemacht werden und zu nachhaltigen Veränderungen führen. Hierfür sieht er die politischen Strukturen der Länder in der Verantwortung. Nicht nur in Regionen, in denen die Paralympischen Spiele stattfinden, lassen sich positive Folgen von Großereignissen im Behindertensport ausmachen. Quade spricht dem paralympischen Sport auch in der Heimat einzelner Antretender eine starke Transmissionswirkung zu, durch welche Integrationsprozesse gut vorangetrieben werden können. „Wenn einzelne Pflänzchen erwachsen und durch eine Mischung aus Talent und glücklicher Zufall erfolgreich sind, bestehen gute Chancen, dass sich eine langfristige Struktur etabliert und Gelder fließen“, sagt Quade.

Anais Mendez stieß zu Bronze.
Anais Mendez stieß zu Bronze.

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In vielen globalen Nationen funktionieren die Finanzierungsmodelle sehr unterschiedlich. Manchmal seien die Sportlerinnen und Sportler staatlich unterstützt, manchmal bedarf es einzelner sehr reicher Fördererinnen und Förderer aus dem Privatsektor. Aus seinen Erfahrungen als Referatsleiter für „Internationale Sportangelegenheiten“ im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat abgeleitet, wirft Quade einen positiven Blick auf das internationale Sportgeschehen. In seinen Augen sei die Fairness zwischen den Ländern trotz unterschiedlicher Finanzmittel gegeben. Zum einen werden durch das Regelwerk technische Vorteile ausgeschlossen, zum anderen ist der Anteil der Sportarten, in denen diese eine Rolle spielen, im gesamtparalympischen Kontext sehr gering. In den Blindensportarten beispielsweise kommt es nicht auf die Ausrüstung an, auch beim Kanufahren bedarf es zwar eines guten Kanus – aber dies sei im olympischen Sport nicht anders.

Ecuador klettert auf Rang 98

Einzelne Athletinnen und Athleten können dabei viel bewegen. In einigen, besonders kleineren Ländern habe manchmal der paralympische Sport sogar bessere Chancen als der olympische, sagt Quade. Handele es sich bei den Erfolgreichen jedoch um Einzelkämpfer, so sei ein nachhaltiger Effekt für die Stellung der behinderten Personen vor Ort gering. Doch wenn sie selbst ihre Leistung in den Gesamtkontext einbetten und in diesem Sinne berichtet wird, seien die Weichen für eine starke Gesamtwirkung gestellt. Ob dies auch im Falle der Mendez-Schwestern und Kiara Rodriguez der Fall sein wird?

Ecuador hat jedenfalls die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (BRK) ratifiziert. Besonders vorangetrieben wurde die Umsetzung der darin beschriebenen Maßnahmen durch den Vizepräsidenten Lenín Moreno (2007-2013). Seit einem Überfall sitzt er im Rollstuhl und gründete nicht nur eine Stiftung zur Förderung von Humor als Lebensstil, sondern ermöglichte zudem ca. 600 000 in Ecuador Lebenden eine individualisierte staatliche Hilfe. 2013 berief ihn der damalig amtierende UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zum Sondergesandten für Behinderung und Barrierefreiheit.

Vielleicht trug sein Einsatz auch zu Kiara Rodriguez‘ Erfolg bei. Die Athletin flog mit Trainer Jose Bernardo Valdes nach Tokio. Diesen beschreibt sie in Interviews als die inspirierenste Person ihres bisherigen Werdegangs. Interessant bleibt auch für ihn in der Trainerfunktion, wie sich nach den Spielen die finanziellen Förderungen sowie die Begeisterung der ecuadorianischen Bevölkerung für den paralympischen Sport weiter entwickeln werden. Quade hat da einen Wunsch: „Unabhängig des Medaillenspiegels wünsche ich mir für jedes Land, dass stabile Fördersysteme entstehen und somit der Bereich des Behindertensports weltweite Anerkennung erfährt.“ Im ewigen Medaillenspiegel rangiert Ecuador nach den drei Erfolgen nun schon mal auf Rang 98.

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog.  

Lilith Diringer

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