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Jeder für sich. Der Franzose Fabrice Amadeo hatte das Pech, für eine Reparatur seines Vorsegelfalls umkehren zu müssen. Er segelt dem Feld nun mit dem Abstand von zwei Tagen hinterher.

© Fabrice Amadeo / VG

Segeln - eine 1. Zwischenbilanz des Vendée Globe: Das Sieb

Die erste Woche des Solorennens war die erwartet harte Prüfung. Stürme und Flauten. Ein Favorit musste umkehren, für einen anderen läuft es dagegen prächtig.

Schon den Start dürften einige der 33 Teilnehmer als Tortur empfunden haben. Kaum hatte das große Teilnehmerfeld in den Morgenstunden des Sonntags den Hafen von Les Sables d’Olonne verlassen, um rechtzeitig vor dem Einsetzen der Ebbe offenes Wasser zu erreichen, da erwartete es dichter Nebel. Eine Stunde lang dümpelten die Rennmaschinen, beladen mit Nahrung für 80 bis 100 Tage, im Dunst. Alle mussten sich gedulden, bevor sich die Sicht besserte und der Wind allmählich an Kraft gewann.

Am ungeduldigsten war Louis Burton. Der Franzose überquerte die Startlinie zu früh. Mit seiner giftgelben Yacht „Bureau Vallé“ zog der Franzose für ein paar Minuten die Aufmerksamkeit der ganzen Segelwelt auf sich, was ihn die Zeitstrafe von fünf Stunden gelassen auf sich nehmen ließ. Er saß sie später ab, als er sowieso keinen Wind hatte, so dass er den Kontakt zur Führungsgruppe nicht verlor.

Wenn das Segel wegfliegt

Eine Woche später hat sich das Teilnehmerfeld sortiert. Die ersten zweitausend Meilen bis zu den Kapverden sind die erwartet harte Belastungsprobe geworden. Mit Stürmen und Flauten, zerrissenen Segeln, geplatzten Schoten, einem gebrochenen Mast und weiteren Schäden. Die allgemeine Übermüdung nahm zwischenzeitlich bedenkliche Ausmaße an.

Schon am Ausgang der Biskaya zog eine erste Front mit Sturmböen und einem Richtungswechsel des Windes über die Flotte hinweg, teilte sie in zwei Gruppen. Während die schnelleren, mit Tragflächenfoils ausgerüsteten Yachten möglichst weit nach Westen zu gelangen versuchten, schlugen die älteren Nicht-Foiler eine Südroute ein, die sie dicht an Kap Finisterre heranführte. Mit der nächsten Front wiederholte sich das Spiel. Die schnelleren Neubauten suchten ihr Heil im Westen, die dem Papier nach langsameren Yachten stießen direkt nach Süden vor, um ihren Mangel an Tempo mit einer kürzeren Strecke wettzumachen.

Hohe Wellen und Böen in Sturmstärke zwangen die Skipper, auf die Bremse zu treten, um das Material nicht zu stark zu beanspruchen. Doch zu langsam durften sie auch nicht werden, lauerte hinter der ausgeprägten Front doch gleich wieder eine Flaute.

Als erster durchstieß Armel Tripon die „Wand“ aus Wind und Regen, doch ein defekter Beschlag am Kopf seines Vorsegels ließ es plötzlich ins Meer fallen, so dass er einige Zeit damit zu tun hatte, das Schlamassel aufzuräumen. Die Front schien wie ein Sieb zu wirken, in dem einige hängen blieben.

Zerstört. Top-Favorit Jérémie Beyou bei seiner vorzeitigen Rückkehr nach Les Sables d'Olonne.

© Olivier Blanchet / VG

Etwa zur selben Zeit kollidierte die „Charal“ von Jérémie Beyou mit einem treibenden Gegenstand. Der 44-Jährige war als Top-Favorit ins Rennen gegangen. Nun musste er umkehren, da sein Ruder angebrochen und sein Backstag ebenfalls lädiert war, mit dem der Mast nach hinten versteift wird. Ein herber Rückschlag für den Franzosen, der für die nötigen Reparaturen 600 Meilen nach Les Sables d’Olonne zurürckkehren musste. Denn Hilfe darf jeder Teilnehmer nur hier in Anspruch nehmen. Am Dienstag will er wieder aufbrechen.

Auch Michel Desjoyeaux war 2008 umgekehrt. Der Schaden an seiner „Foncia“ damals ließ sich schnell beheben, so dass er mit einigen Tagen Verzögerung die Verfolgung aufnahm, das Gros der Flotte befand sich auf der Höhe Portugals. Und Desjoyeaux sollte das Rennen, bei dem er acht Jahre zuvor schon einmal triumphiert hatte, abermals gewinnen, was seine Ausnahmeerscheinung in diesem Sport unterstrich.

Die schmale Ideallinie

Auf eine solche Aufholjagd darf Beyou nicht hoffen. Der Abstand ist zu groß. Der Subtropische Sturm Theta, der sich in dieser verflixten Auftaktphase als vorerst letzte Prüfung in den Weg der Segler legte, hat die schnelle Führungsgruppe wie ein Schwungrad an den Kanaren vorbeikatapultiert bis fast hinein in die Passatwind-Zone nördlich des Äquators.

Angeführt wird sie von Alex Thomson („Hugo Bossa“), der in dem kraftraubenden Slalom durch die Tiefdruckwirbel und Hochdruckebenen sehr geschickt auf der schmalen Ideallinie von kürzestem Weg und bestem Windwinkel balancierte. Nach neun Tagen führt der gebürtige Waliser mit einem Vorsprung von 85 Meilen und unterstreicht damit seine Ambition, endlich derjenige zu sein, der die französische Dominanz bei diesem Rennen bricht.

Hochsicherheitstrakt. Die "Hugo Boss" von Alex Thomson ist mit zahlreichen Kameras ausgerüstet, die das Geschehen an Bord überwachen. So kann sich der Skipper in den geschützten Innenbereich zurückziehen.

© Alex Thomson / VG

Allerdings ist dem 46-Jährigen die Anstrengung deutlich anzumerken, die es bedeutet, auf seinem extremen Boot die Kontrolle zu behalten. In einem Video-Interview vom Montagmorgen wirkt der Brite ausgezehrt und fahrig. Die zurückliegenden Tage mit den ständigen Wetterwechseln haben ihn an den Rand der Erschöpfung gebracht. Und selbst die gleichmäßigen Passatwinde mit ihren Idealbedingungen, lassen einen fliegenden Foiler wie die „Hugo Boss“ zu einem unerträglichen Ort werden. Thomson muss sich in seinem Sitz festschnallen, um nicht hinausgeschleudert zu werden. Den Blick lässt er nie von den zahllosen Datendisplays, die ihm die Belastung des Materials anzeigen.

Vor ihm tun sich allerdings vorerst keine meteorologischen Probleme auf. Der Kalmengürtel am Äquator gebärdet sich ungewöhnlich strukturiert, so dass einer unbeschwerten Passage vorerst nichts im Wege steht und Thomson befürchten müsste, von seinen Verfolgern überholt zu werden, wenn sie ihn in einer Gewitterwolke festgefahren sehen.

Der erste, der aufgeben muss

Hinter ihm haben sich mit Charlie Dalin („Apivia“) und Thomas Ruyant („Linkedout“) die stärksten Konkurrenten aufgereiht. Sie sind im Schnitt einen Knoten schneller als er. Auf Rang zwei liegt allerdings einer, den niemand auf der Rechnung gehabt haben dürfte: Jean Le Cam. Der 61-jährige Veteran ist der älteste Teilnehmer und zum fünften Mal dabei. Sein Boot ist die ehemalige „Foncia“ seines Freundes Desjoyeaux. Der, nach den Gründen für Le Cams gute Platzierung gefragt, weist auf den Vorteil der Nicht-Foiler bei stürmischen Bedingungen hin, sie könnten ohne die Gefahr von Schäden in einem viel engeren Winkel zum Wind segeln und auf diese Weise Strecke sparen. Außerdem, so Desjoyeaux, trage Le Cam seinen Spitznamen „Le Roi“ nicht zu Unrecht. Er wisse eben, wie man mit geringem körperlichem Aufwand das Maximum heraushole. „Wer weniger Energie verbraucht, ist am Ende schneller.“

Einen überraschend starken Auftritt hatte bis dahin auch Nicolas Troussel auf „Corum L’Epargne“. Er hatte die Konkurrenz mit dem hohen Tempo beeindruckt, das sein erst im Mai fertiggestellter, weitgehend unerprobter Neubau zeigte. Auch schienen sich seine ungewöhnlichen taktischen Entscheidungen auszuzahlen. Doch dann am Montagmorgen brach der Mast.

Von einem Moment auf den anderen wurde Nicolas Troussel aus dem Rennen geworfen. Der 46-jährige Franzose war einer der Schnellsten, als der Mast seiner nagelneuen "Corum L'Epargne" brach. Er versucht nun, die Kapverden unter Motor zu erreichen.

© Loic VENANCE / AFP

Dieses Bauteil ist auf allen Yachten dasselbe. Womöglich hat der 46-jährige Troussel in einer Bö versäumt, die Belastung zu reduzieren, die von den Foils auf den Mast übergeht. Denn die Tragflächen im Wasser wirken der Tendenz des Boots entgegen, sich bei zunehmendem Winddruck auf die Seite zu legen. Sie wandeln diese Energie in Auftrieb um mit dem fatalen Effekt, dass der Druck aus Segel und Rigg nicht entweicht. Das Fahrzeug beschleunigt auf über 30 Knoten.

In diesem Fall wurde die Grenze überschritten. Der Mast als schwächstes Glied der Kette gab nach.

Boris Herrmann segelte zu der Zeit unter ähnlich stressigen Bedingungen. Super schnell, aber auch nervös, weil ihn ständig Alarmsignale hochschrecken ließen. Der Deutsche hält auf Rang elf in der Spitzengruppe mit. Sein Abstand zum Führenden beträgt 290 Meilen.

Nix wie hinterher

Als ihm kurz nach dem Frontdurchgang am vergangenen Mittwoch der Mut fehlte, seine „Seaexplorer – YCM“ parallel zur „Hugo Boss“ vor dem Wind lospreschen zu lassen, verlor er vorübergehend den Anschluss und steckte anschließend deprimiert stundenlang in einer Flaute fest. Auch bei Theta wählte er einen konservativeren Kurs, weil er sich sagte, dass Rennen ist lang. Vor allem Schlafmangel schien ihm in dieser ersten Phase zuzusetzen und auf die Stimmung zu drücken. Er fühlte sich abgehängt. Mit dem Wind kehrte auch die Zuversicht zurück. Seither zählt er zu der relativ kompakten Gruppe, die mit über 17 Knoten im Schnitt hinter Thomson herjagt.

Die Wärme des Äquators. Nach einer äußerst kraftraubenden Woche genießt Boris Herrmann an Bord der "Seaexplorer - YCM" nun ideale Segelbedingungen auf dem Weg nach Süden.

© Boris Herrmann / VG

Wie plötzlich das Ende des Traums kommen kann, zeigen die zahlreichen Schäden an Bord anderer Teilnehmer. So zerriss dem Japaner Kojiro Shiraishi das Großsegel, und Maxime Sorel entkam mit Glück einem Desaster, als sein Boot plötzlich von einem Hindernis gestoppt wurde. Nur drei Boote der jüngsten Generation – von acht – befinden sich derzeit unter den ersten zehn, und immerhin drei Nichtfoiler. Sie würden wohl noch eine ganze Weile mithalten können, prognostiziert Desjoyeaux, wenn die anderen weiterhin so zaghaft segelten.

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