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Er hatte sie alle am Mikro: Manfred Sangel (r.), hier im Gespräch mit Jürgen Röber.

© promo

Das Fanradio von Hertha BSC schaltet ab: Nach 30 Jahren ist Schluss beim Hertha-Echo

In einer völlig anderen Fußball-Zeit gab es 1989 die erste Ausgabe – weil kaum jemand sonst über Hertha BSC berichtete. Jetzt verstummt das Hertha-Echo.

Ein Hauch von Abschied liegt in der Luft. Eine Mitarbeiterin von Alex teilt Manfred Sangel, den alle Manne nennen, mit, dass sie ihren Arbeitgeber in Kürze verlassen wird. Sie würde sich freuen, wenn Manne zu ihrem Ausstand käme. Trifft sich gut, da kann er gleich eine Gegeneinladung aussprechen. Für diesen Samstag, wenn von elf bis 13 Uhr zum 653. und zugleich letzten Mal das Hertha-Echo auf Sendung gehen wird, auf den Tag genau 30 Jahre nach der Premiere am 16. Februar 1989. „Echt? Nein!“, sagt die Mitarbeiterin von Alex, dem früheren Offenen Kanal, der sich jetzt als crossmedialer Community-Sender bezeichnet. „Das ist aber schade. Kann man sich gar nicht vorstellen.“

Ist aber so. Das Alter ist ein Grund, erzählt Sangel, der bei der ersten Sendung 29 war. Er hat immer schon gesagt, wenn das Hertha-Echo zum Senioren-Echo wird, sollte man aufhören. „Radio ist oldschool. Und wir vor allen Dingen.“ Die jungen Leute hörten heute Podcasts. Da gibt es inzwischen einige, die sich mit Hertha beschäftigen und jederzeit abrufbar sind. Das Hertha-Echo hingegen wird live gemacht und live ausgestrahlt, jeden zweiten Donnerstag zwischen 19 und 20 Uhr auf der Frequenz 91,0.

Mann der ersten Stunde beim Bürgerradio

Aufstieg und Fall des Hertha-Echos – das ist nicht nur eine Geschichte über die Veränderungen von Hertha BSC im Speziellen und des Profifußballs im Besonderen, es ist auch ein Stück Mediengeschichte. Sie fängt mit der Einführung des Privatfunks an, als man noch das Gefühl hatte, einer neuen Ära beizuwohnen. 1985 startete in Berlin das Kabelpilotprojekt, das auch Leuten wie dir und mir die Möglichkeit bot, eine eigene Radiosendung auszustrahlen. Sangel war beim Bürgerradio ein Mann der ersten Stunde. Angefangen hat er mit einer Sendung, die City Sound hieß. Sein erster prominenter Interviewpartner war Hannelore Kohl, die Frau des Bundeskanzlers.

Es ist der Donnerstag vor dem Rückrundenauftakt beim 1. FC Nürnberg, das viertletzte Hertha-Echo überhaupt. Gesendet wird bei Alex, ein paar Schritte vom Bahnhof Warschauer Straße entfernt. Sangel zieht die Jacke und den Hertha-Schal aus, darunter trägt er ein blaues Hertha-T-Shirt. Es sind noch knapp anderthalb Stunden. Torsten-Jörn Klein wird heute zu Gast sein, Herthas Aufsichtsratsvorsitzender. Mit Günther Koch, dem früheren Radio-Reporter und FCN-Aufsichtsrat, ist ein Telefoninterview verabredet. Im Schnitt braucht Sangel 15 Stunden für die Vorbereitung einer Sendung. Früher war es deutlich mehr.

Im normalen Leben arbeitet er als Abteilungsleiter einer Zeitarbeitsfirma, aber hauptberuflich ist Sangel eigentlich Hertha-Fan, ausgebildet in der Kurve mit Studienaufenthalten in sehr vielen deutschen und europäischen Stadien. Man musste schon echter Fan sein, um Ende der Achtziger auf die Idee zu kommen, eine Radiosendung ausschließlich über Hertha BSC zu machen. Über einen Verein, der aus der Bundesliga in die Niederungen des Berliner Amateurfußballs abgestürzt war, der plötzlich nicht mehr gegen Bayern München spielte, sondern auf Asche beim TSV Rudow. Und der von den etablierten Berliner Medien weitgehend ignoriert wurde. „Da hat ja keene Sau über Hertha berichtet“, sagt Sangel. Also machten sie es einfach selbst.

Beim Start des Hertha-Echos vor 30 Jahren spielte die Mannschaft immerhin schon wieder in der Zweiten Liga. Die „Fußball-Woche“ kündigte unter der Überschrift „Bessere Information“ das „Hertha-Magazin im Kabel-Hörfunk“ an und schloss ihren Bericht mit der Prognose: „Alle beachtenswerten Bemühungen werden allerdings verpuffen, wenn Hertha nicht vom Tabellenende wegkommen sollte.“ Hertha selbst gab eine Pressemitteilung heraus, um auf die neue Sendung hinzuweisen. Von Anfang an bestand eine friedliche Koexistenz mit dem Verein, die bis zum heutigen Tag anhält.

Es kostete den Verein „nüscht“

Manager Horst Wolter wollte nur wissen, was das Ganze Hertha kosten würde. „Nüscht“, antwortete Sangel. „Okay, machen wir.“ In der ersten Sendung waren der Manager zu Gast, Trainer Werner Fuchs und Winter-Neuzugang Dirk Kurtenbach. Der Trainer des nächsten Hertha-Gegners Union Solingen wurde telefonisch zugeschaltet. „Wie einfach es damals war, an Telefonnummern heranzukommen“, sagt Sangel. Heute haben die Vereine ihre eigenen Medienkanäle – Podcasts, Klub-TV, Twitter, Facebook, Instagram –, über die sie ihre Inhalte verbreiten.

Das Gästebuch des Hertha-Echos zeugt noch von anderen Zeiten. Es ist dick wie die Bibel. Von Dieter Hoeneß über Arne Friedrich bis zu Michael Preetz haben alle mit Widmung unterschrieben. Zum 25-Jährigen fuhr die gesamte Hertha-Mannschaft im Bus vor. „Ich bin selten sprachlos“, sagt Sangel. „Da war ich es.“ In der letzten Sendung soll es noch einmal einen Querschnitt dessen geben, was das Hertha-Echo ausgemacht hat. „Der überwiegende Teil der Gäste hat zugesagt“, berichtet Sangel. Wie er dem Ende entgegensieht? „Wehmütig, definitiv.“

Eine halbe Stunde vor der Sendung füllt sich das Studio. Mini und Mücke sind gekommen, die einfach nur dasitzen werden und zuhören. Jürgen Keiser, der zweite Moderator, Barbara Wegner-Ottow, die seit Jahrzehnten O-Töne sammelt, Sangels Frau Susi. Insgesamt sind es rund 20 Leute, die mal mehr mal weniger intensiv mithelfen. Ob er nach all der Zeit noch nervös ist? Sangel atmet einmal durch, überlegt. „Positiv gespannt“, antwortet er. „Sonst macht es keinen Spaß.“

1993, vor dem Pokalfinale der Hertha-Amateure gegen den Bundesligisten Bayer Leverkusen, hatte dessen Manager Reiner Calmund seinen Besuch im Studio zugesagt. Zehn Minuten vor der Sendung war er immer noch nicht da. Fünf Minuten später: keine Spur von Calmund. Niemand wusste, wo er steckte. Dann flog die Tür auf, Calmund stürmte herein, und es war „geil, sensationell“, erzählt Sangel. Ein anderes Mal sollte Stürmer Artur Wichniarek kommen. Kurz vor der Sendung klingelte Sangels Telefon, am anderen Ende Wichniarek. Warum er nicht die Tür aufmache, fragte der Pole, er sei derjenige, der die ganze Zeit hupe. Sangel hatte kein Hupen gehört. Konnte er auch nicht. Wichniarek stand bei ihm zu Hause vor der Tür, weil Herthas Pressesprecher ihm die falsche Adresse genannt hatte. Das Interview fand schließlich am Telefon statt.

Zwei Minuten sind es noch bis zum Start der Sendung. Sangel hat den Kopfhörer aufgesetzt, er dreht ein wenig an den Knöpfen seines Mischpults, schiebt die Regler in die richtige Position. „So jetzt, Konzentration!“, sagt er. Und es ist nicht ganz klar, ob er die Leute im Studio meint oder doch sich selbst. Sangel trommelt drei Mal mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte, blickt auf seinen Sendeplan und fragt dann: „Wann war noch mal das Testspiel gegen Bielefeld?“

Bye Bye Love

Nach dem Jingle, der noch derselbe ist wie 1989, redet Sangel über das Testspiel gegen Bielefeld, das in der Woche zuvor stattgefunden hat. Er plaudert mit Günther Koch über eine Zweitligapartie von Hertha in Bayreuth, die damals, tief in den Achtzigern, von ihm fürs Radio kommentiert wurde. Koch kann sich daran gar nicht mehr erinnern, aber das ist auch egal. Anschließend läuft erst einmal Musik. Die Everly Brothers. Bye Bye Love.

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