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Nichts zu sehen. Zum Europa-League-Spiel zwischen Inter Mailand und Ludogorets durften wegen der Ansteckungsgefahr keine Zuschauer ins Stadion. Foto: Reuters

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Update

Coronavirus in Italien: Der Sport und die große Leere

In Italien werden immer mehr Sportveranstaltungen wegen des Coronavirus abgesagt. Wie geht es weiter – und können die Großereignisse überhaupt stattfinden?

Die Vorfreude war im italienischen Fußball schon lange zu spüren. Nach Jahren voller Eintönigkeit ist der Meistertitel endlich mal wieder umkämpft. Mit Inter Mailand und Lazio Rom hat Seriensieger Juventus Turin gleich zwei hartnäckige Konkurrenten und am Sonntag sollte es zu einem ersten Showdown kommen. Spitzenspiel. Derby d’Italia. Juve gegen Inter. Von Vorfreude ist aber schon seit Tagen nichts mehr zu spüren, denn der Fußball steht mittlerweile deutlich im Schatten des Coronavirus.

Sechs Spiele der Serie A sind an diesem Wochenende abgesagt worden, darunter auch das Spitzenspiel. Die Verunsicherung greift weiter um sich. Eigentlich sollte der 26. Spieltag getreu dem im Sommer geplanten Kalender ausgetragen werden. Spiele in den am stärksten vom Virus betroffenen Regionen Lombardei (mehr als 600 Infizierte) und Emilia Romagna (mehr als 200) sowie im Piemont und Friaul sollten unter Ausschluss des Publikums ausgetragen werden. Samstagabend jedoch entschied der Ligaverband kurzfristig, diese Spiele abzusagen und auf den 13. Mai zu verlegen. Die „Gazzetta dello Sport“ vermutete als Hintergrund einen „Schutz des Produkts Serie A“. Geisterspiele sollen vermieden werden, damit das Image des italienischen Fußballs beim internationalen TV-Publikum nicht noch weiter leide, meinte das Sportblatt am Sonntag.

"So wird die Serie A verfälscht"

Die Entscheidung löste Kontroversen aus. Inter-Fans fühlen sich an den Betrugsskandal im italienischen Fußball erinnert und zogen mit einem Banner mit der Aufschrift „Calciopoli“ durch die Stadt. Denn für ihren Verein, derzeit in allen drei Wettbewerben noch dabei, steht ein weiteres Nachholspiel an. Das könnte zu insgesamt neun Spielen allein im Mai führen. Inters Geschäftsführer Giuseppe Marotta protestierte deshalb heftig gegen die Entscheidung: „So wird die Serie A verfälscht. Das ist ein schwerer Schaden.“ Während Marotta die erhöhte Belastung des Teams ein Dorn im Auge ist, ist die Konkurrenz wegen Inters Möglichkeiten, kurz vor Saisonschluss noch Punkte aufzuholen, misstrauisch. „So geht es nicht. Entweder alle spielen oder es wird ein Ausweichtermin für alle gefunden. Jetzt zu spielen oder erst in zwei Monaten macht einen Unterschied aus. So ist das nicht korrekt“, sagte Napolis Trainer Gennaro Gattuso.

Rekordmeister Juventus hat derweil mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Spieler der U 23, die bisher mit dem Profiteam mittrainierten, wurden ausgesondert. Die U 23 hatte am vorletzten Wochenende gegen US Pianese, einen Drittligisten aus der Toskana gespielt. Dort wurden mittlerweile vier Spieler positiv auf das Coronavirus getestet. Juves U-23- Team wurde inzwischen komplett unter Quarantäne gestellt.

Auswirkungen hat die Ausbreitung des Virus auch auf andere Sportarten. Meisterschaftsspiele im Volleyball und Basketball wurden abgesagt, Laufveranstaltungen wie der Bologna Marathon ebenfalls. Zwei italienische Golfprofis wurden bei den Oman Open vorsorglich in Quarantäne gesteckt.

Auch das Radsport ist betroffen

Den Radsport halten die Ereignisse bei der UAE Tour in den Vereinigten Arabischen Emiraten in Atem. Nachdem dort zwei italienische Betreuer positiv auf das Virus getestet wurden, fielen die letzten beiden Etappen aus. Die Teams und der gesamte Tross von etwa 600 Personen durften das Hotel nicht verlassen. Neuerliche Tests ergaben offensichtlich weitere Positivbefunde. Jedenfalls fuhren in der Nacht zum Sonntag drei Krankenwagen vor dem Hotel vor. Wie der dort in Quarantäne befindliche Rai-Journalist Stefano Rizzato twitterte, gehe das Gerücht um, dass drei Profis infiziert seien. Derzeit darf niemand das Land verlassen. Auch der vierfache Tour de France-Sieger Chris Froome befindet sich unter den Eingeschlossenen.

Wie es weitergehen soll, ist derzeit unklar. Im Radsport sind die Frühjahrsrennen in Gefahr, ganz besonders der Klassiker Mailand – Sanremo. Breitet sich das Coronavirus weiter im Lande aus – Stand Sonntagmittag werden mehr als 1100 Infizierte, darunter 29 Todesfälle und 50 geheilte Personen – gezählt, dürften auch weitere Meisterschaftsspiele von Absagen bedroht sein. Dann ist der ohnehin dichte Kalender nicht mehr zu halten.

Juve-Fans waren in Lyon nicht gern gesehen

International steuert Italien zudem auf eine Isolation zu. Juventus-Anhänger waren schon beim Champions–League-Achtelfinale in Lyon nicht gern gesehen. Die Spieler vom bulgarischen Vertreter Ludogorez Rasgrad reisten nur mit Masken und Handschuhen zum Europa-League- Spiel nach Mailand und verließen das Land unmittelbar nach dem Abfiff im vollkommen leeren Giuseppe-Meazza-Stadion. Aus Spanien wurde der Fall eines Journalisten gemeldet, der sich das Virus beim Champions-League-Achtelfinalhinspiel zwischen Atalanta Bergamo und dem FC Valencia zugezogen haben soll. Reisebeschränkungen für Fans aus Norditalien zum Rückspiel in Valencia sind wahrscheinlich. Ungarns Traditionsklub Honved Budapest beurlaubte schon vorsorglich seinen italienischen Trainer Giuseppe Sannino. Den ereilte diese Nachricht, als er beim Kurzurlaub in Norditalien war.

Der Sport ist, so zeigen diese Beispiele, derzeit schlecht gewappnet im Umgang mit dem Virus. Verwirrung wird vor allen Dingen wegen der unterschiedlichen Standards ausgelöst. Und auch die Eigeninteressen des Sports komplizieren die Sachlage weiter. Aber auch objektiv ist die Situation schwierig. Was sind Sportgroßveranstaltungen ohne Publikum wert? Und wie hoch ist die Ansteckungsgefahr unter den sehr mobilen Sportlern selbst? Unter dieser Perspektive sind selbst Olympische Spiele, Champions League und Tour de France fraglich.

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