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Warum ich? Christoph Kramer, eigentlich Sechser, spielt bei Borussia Mönchengladbach inzwischen vornehmlich als Zehner.

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Christoph Kramer und seine ungewohnte Rolle: Ein Sechser auf der Position des Zehners

Christoph Kramer spielt bei Borussia Mönchengladbach inzwischen als Zehner. Dass er auch in der offensiven Rolle als Stabilisator auftreten soll, ist explizit gewollt. Aber auch ein Problem.

Daniel Farke und Julian Weigl kennen sich schon lange. Sie haben eine gemeinsame Vergangenheit, bereits bei Borussia Dortmund haben sich ihre Wege gekreuzt. Aber das hört sich spektakulärer an, als es in Wirklichkeit ist. Als Weigl bei den Profis des BVB unter Vertrag stand, hat Farke die U 23 des Klubs trainiert. Ein einziges Mal – er war gerade aus einer Verletzung zurückgekehrt – ist Weigl damals für Farkes Mannschaft in der Regionalliga aufgelaufen.

Von der Öffentlichkeit wird die Beziehung zwischen dem Trainer von Borussia Mönchengladbach und dem defensiven Mittelfeldspieler trotzdem als sehr innig wahrgenommen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich Farke im Sommer sehr entschieden für die Leihe des früheren Nationalspielers verwandt hat und dass er bereits seinen Wunsch hinterlegt hat, Weigl nach der Saison fest von Benfica Lissabon zu verpflichten – obwohl die festgeschriebene Ablöse von 15 Millionen vermutlich einen Großteil des zur Verfügung stehenden Transferbudgets der Gladbacher verschlingen würde.

Man tritt Daniel Farke nicht zu nahe, wenn man Weigl als einen seiner Lieblingsspieler bezeichnet. Und doch scheint es einen Spieler zu geben, den er offenbar noch viel lieber hat. Das zumindest legen die Ereignisse des vergangenen Wochenendes nahe, als Gladbachs Trainer im zähen Spiel gegen Schalke 04 Weigl für Alassane Plea vom Feld nahm und nicht etwa seinen Aushilfszehner Christoph Kramer.

In den sozialen Medien fragen Fans der Borussia bei aller grundsätzlichen Wertschätzung jetzt schon mal scherzhaft, was Christoph Kramer, der Weltmeister von 2014, wohl gegen seinen Trainer in der Hand habe. In der vergangenen Saison, unter Adi Hütter, spielte Kramer kaum noch eine Rolle; unter Farke im fortgeschrittenen Alter von 31 Jahren spielt er immer. Kramer hat in dieser Saison nur ein Bundesligaspiel wegen einer Verletzung verpasst. In allen anderen stand er in der Startelf.

Noch bemerkenswerter als die Tatsache, dass er spielt, ist allerdings, wo Christoph Kramer spielt. Auf seine alten Tage wird der defensive Mittelfeldspieler von Farke inzwischen vornehmlich in offensiver Position eingesetzt. Formal gibt er im 4-2-3-1-System der Gladbacher den Zehner.

Er ist ein hochintelligenter Fußballer, sieht sehr viel voraus und hat ein besonderes Gefühl für den Rhythmus eines Spiels.

Daniel Farke über Christoph Kramer

Es ist nicht so, dass Farke keine anderen Optionen hätte: Alassane Plea könnte auf der Zehn spielen, Lars Stindl, auch der inzwischen von seiner Kreuzbandverletzung genesene Florian Neuhaus. Borussias Trainer aber entscheidet sich verlässlich für Christoph Kramer. „Er ist ein hochintelligenter Fußballer, sieht sehr viel voraus und hat ein besonderes Gefühl für den Rhythmus eines Spiels“, sagt Farke über den Sechser auf der Zehn.

Erstmals hat er das Experiment im September im Heimspiel gegen Rasenballsport Leipzig gewagt. Die Gladbacher gewannen mit einer ihrer besten Saisonleistungen 3:0, und Kramer überraschte auf der ungewohnten Position mit einem ebenso reifen wie energischen Auftritt. Und das, nachdem er noch eine Woche zuvor wegen personeller Engpässe in der Abwehr als Innenverteidiger hatte aushelfen müssen.

Auch der Auftritt als Spielmacher schien eher als Episode gedacht; tatsächlich aber ist Kramer seitdem, abgesehen von einer einzigen Begegnung, immer in der offensiven Dreierreihe zum Einsatz gekommen. Doch so schön wie beim ersten Mal gegen Leipzig war es danach nie wieder. „Die Anfangseuphorie ist ein bisschen verflogen“, hat Kramer selbst zuletzt zugegeben. „Wenn etwas neu ist, ist das ja immer geil, und man will es allen zeigen.“

In inzwischen elf Spielen im offensiven Mittelfeld war Kramer an keinem einzigen Tor seiner Mannschaft beteiligt, weder als Schütze noch als Vorbereiter. Er kann eben nicht aus seiner Haut. Es ist die Haut eines defensiven Mittelfeldspielers.

Kramer gibt seinem Team Halt, er spielt die einfachen Bälle, scheut unnötiges Risiko. Sein Signature Move ist eine Art Pirouette nach hinten, mit der er sich aus dem Pressingdruck des Gegners befreit. Das macht er auch jetzt noch in vorgeschobener Position, wo der erste Blick doch eindeutig nach vorne gehen sollte.

Christoph Kramer ist ein Sechser, der auch auf der Zehn wie ein Sechser spielt. Und dass dies von seinem Trainer Daniel Farke explizit so gewollt ist, werten einige Fans der Gladbacher als Ausdruck der Ambitionslosigkeit, die sie ihrem Klub inzwischen vorhalten. Defensive first! Selbst im Heimspiel gegen den Tabellenletzten Schalke vor einer Woche hatte die Mannschaft nur drei klare Offensivspieler auf dem Platz.

Farke hat es später trotzdem als Fehler bezeichnet, dass er nach einer Stunde Plea für Weigl gebracht hatte. Danach sei die Ordnung verloren gegangen.

Beim Auswärtsspiel in Augsburg war es ähnlich gewesen. Zur Pause musste Kramer ausgewechselt werden. Es stand 0:0, am Ende verloren die Gladbacher 0:1. „Seine Auswechslung hat uns hart getroffen“, sagte Farke. „Er hat uns in der ersten Halbzeit viel Stabilität und viel Struktur im Spiel gegen den Ball gegeben.“

Wenn die Gladbacher an diesem Sonntag (15.30 Uhr, live bei Sky) im Berliner Olympiastadion gegen Hertha BSC antreten, könnte Christoph Kramer wieder auf seiner eigentlichen Position als Sechser auflaufen. Julian Weigl fehlt gelbgesperrt.

Kramer auf die Sechs zurückzuziehen wäre die naheliegende Lösung. Aber Daniel Farke, Borussias Trainer, hat in dieser Saison schon oft bewiesen, dass er nicht zwingend auf die naheliegende Lösung setzt.

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