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Er denkt mit seinen Fingern. Christian Prokop ist ein Handball-Verrückter. Foto: Imago/Nordphoto

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Handball: Christian Prokop: Wie geschaffen für den Bundestrainer-Posten

Christian Prokop soll neuer Handball-Bundestrainer werden. Der Mann vom SC DHfK Leipzig gilt als penibler Analytiker.

Stefan Kretzschmar hat in seiner Karriere einige fragwürdige Entscheidungen getroffen. Kein anderer Handballer vor ihm wäre auf die Schnapsidee gekommen, eine Sendung für den Musiksender MTV zu moderieren. Ebenso hätte es niemand gewagt, im Trainingslager auf Island das Teamhotel zu verlassen, um noch ein paar Bierchen zu verhaften – zumal der Coach Alfred Gislason hieß, ein Isländer, der die Geschichte natürlich aufdeckte.

Mit einer Entscheidung allerdings hat Kretzschmar voll ins Schwarze getroffen, sie liegt gut drei Jahre zurück und betraf den Verein, für den der Ex-Nationalspieler mittlerweile arbeitet: So vermittelte er dem SC DHfK Leipzig im Frühjahr 2013 einen gewissen Christian Prokop. „In der Nachbetrachtung war das ein extrem guter Hinweis“, sagt Karsten Günther, der Geschäftsführer der Leipziger. Ein junger, aufstrebender Trainer mit klarem Konzept – das passte zu DHfK, diesem aufstrebenden Klub mit klarem Konzept.

Anno 2016, die Sachsen sind aktuell sensationeller Bundesliga-Fünfter, hat sich Prokop in der Handball-Szene einen derart prominenten Namen gemacht, dass er sogar als Nachfolger des höchstwahrscheinlich scheidenden Bundestrainers Dagur Sigurdsson gehandelt wird.

Der Isländer besitzt bekanntlich einen bis 2020 gültigen Vertrag beim Deutschen Handball-Bund (DHB), den er jedoch bis Ende des Jahres vorzeitig auflösen kann. Eine Entscheidung soll bis Ende November gefallen sein, und für den Fall einer fristgerechten Kündigung haben sie sich beim DHB entsprechend vorbereitet. Am Mittwoch bestätigte Vizepräsident Bob Hanning erste Gespräche mit Prokop, am Donnerstag ließ dieser via „Leipziger Volkszeitung“ verlauten, was man eben so sagt in vergleichbaren Situationen: Er sei bereit für weitere Gespräche, das Angebot eine große Ehre, die Entscheidung zwischen Leipzig und Deutschland schwer.

„Handball-Deutschland wünscht sich, dass Dagur bleibt“

Grundsätzlich halten es die Beteiligten im Moment wie bei juristischen Prozessen: kein Kommentar zu laufenden Verfahren. In Leipzig jedenfalls waren sie am Donnerstag – mit Verweis auf die gültigen Verträge Prokops und Sigurdssons – schwer damit beschäftigt, alle Gerüchte und Spekulationen zu dementieren. „Handball-Deutschland wünscht sich, dass Dagur bleibt“, sagte Günther auf Tagesspiegel-Nachfrage. Andererseits sei das neuerliche Interesse des DHB auch „Ausdruck dafür, wie gut Christian Prokop in den letzten Jahren hier bei uns in Leipzig gearbeitet hat.“ Hanning sagt: „Wenn Dagur wirklich nach Japan geht, müssen wir eine strategisch sinnvolle Nachfolgeregelung haben – alles andere wäre einfach nicht professionell.“

Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass die Spekulationen für die Leipziger zu einer Unzeit kommt, nämlich mitten in der erfolgreichsten Saison der jüngeren Vereinsgeschichte. Gut möglich, dass das Verhältnis zwischen dem SC DHfK und den Füchsen Berlin, die DHB-Vize Hanning als Geschäftsführer verantwortet, nachhaltig gestört oder zumindest vorbelastet ist.

Außer Frage steht, dass Prokop viele Parameter aus dem Anforderungsprofil des DHB erfüllt. „Er ist jung, hungrig und verfolgt eine klare Strategie“, zählt Hanning auf. „Alter und Nationalität spielen in unseren Erwägungen ohnehin keine Rolle, sondern nur das Fachliche.“ Und da gibt es gewisse Parallelen zwischen Prokop und Sigurdsson: Auch der gebürtige Köthener gilt als penibler Analytiker. In englischen Wochen, so berichtet ein Vertrauter aus Prokops Umfeld, sei es außerordentlich schwierig, mit dem 37-Jährigen überhaupt über andere Themenfelder als Handball zu sprechen. Jeder Mannschaftsteil des kommenden Gegners werde zerlegt und auf Schwächen abgeklopft, um etwaige Gegenmaßnahmen zu ergreifen. In Leipzig haben sie sehr wohl registriert, dass es Prokop mit seinen Methoden geschafft hat, ein personell unterlegenes Team in die Bundesliga-Spitze zu führen. Nicht die schlechteste Visitenkarte für den potenziellen neuen Bundestrainer.

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