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Seit einer Woche an erster Position. Yannick Bestaven könnte seinen Verfolgern in der Flaute entkommen.

© Jean-Marie Liot / VG2020

Boris Herrmann kämpft um den Anschluss: Ist das die Vorentscheidung beim Vendée Globe?

Bei der Soloregatta um die Welt erschwert ein träges Hochdruckgebiet im Pazifik das Fortkommen der Spitzengruppe.

Halt auf freier Strecke. Kaum ein Solosegler in der 11-köpfigen Spitzengruppe segelte einen Tag vor Heiligabend über zehn Knoten schnell. Nur der führende Yannick Bestaven auf „Maitre CoQ IV“ dicht gefolgt von Charlie Dalin auf „Apivia“ kamen auf knapp über zwölf Knoten, was gemessen an der Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 Knoten langsam ist. So hatten sich die Weltumsegler ein „ruhiges Fest“ sicher nicht gewünscht.

Grund für die Entschleunigung am 45. Tag der epischen Reise ist ein Hochdruckgebiet im Pazifik, das sich der Flotte wie ein Berg aus stehender Luft in den Weg geschoben hat und mit quälender Behäbigkeit nach Südosten abziehen soll – in den kommenden vier bis fünf Tagen. Man könne da nichts anderes machen, als abzuwarten, sagt Boris Herrmann am Mittwochmorgen über die Situation. „Mein Boot dreht ein bisschen lustlos in diese oder jene Richtung, es ist absolut kein Wind.“

Boris Herrmann feiert Heiligabend auf See, 15 000 Kilometer entfernt von Hamburg genießt er einen der längsten Tage des südlichen Jahres.
Boris Herrmann feiert Heiligabend auf See, 15 000 Kilometer entfernt von Hamburg genießt er einen der längsten Tage des südlichen Jahres.

© dpa

Den Deutschen, der mittags noch auf Rang vier lag, würde es als ersten erwischen, das war klar, hatte er sich doch am weitesten nördlich positioniert, um dem nach Süden wandernden Hochdruckgebiet auf dessen Rückseite folgen zu können. Doch immer wenn etwas Wind aufkommt, lässt er die „Seaexplorer – Yacht Club de Monaco“ nur wieder in die vorausliegende Flautenzone hineinfahren, in der das Meer einer zähflüssigen Masse gleicht.

In diesen Bedingungen zu segeln, gleicht immer einem Glücksspiel. Eigentlich kann man nichts tun, doch: „Wenn ich mich jetzt hinlege“, sagt Herrmann, „fühle ich mich nur schlecht. Etwas zu unternehmen, ist besser für die Psyche.“

Künstlicher Sternenhimmel unter Deck.
Künstlicher Sternenhimmel unter Deck.

© dpa

Zwischen hektischen Phasen mit Segelwechseln und Trimm-Bemühungen findet der 39-jährige Hamburger immer wieder Momente, in denen er genießt, was ihn umgibt. Trotz der Kälte in den üblicherweise „wütenden Fünfzigern“ steht ihm ein angenehmer Festtag bevor. Seit einiger Zeit schon funkelt eine Lichterkette in der Kajüte und in seiner Tagesration sollte sich ein besonderes Mahl befinden. Doch geprägt wird dieser Tag fern der Heimat davon, „unter Hochdruck“ zu sein, wie es Herrmanns Rivale Charlie Dalin am Montagabend ironisch formulierte. Denn gerade jetzt könnte sich das Vendée Globe entscheiden.

Alles hängt davon ab, ob sich Bestaven an der Spitze es Rennens absetzen und dem Hochdruckeinfluss enteilen kann, der den Rest des vorderen Feldes noch eine Weile ausbremsen wird. Sollte das Schlupfloch nahe der Eisgrenze lange genug offen bleiben, dürfte der Franzose einen Vorsprung von über tausend Meilen herausfahren. Eine solche Distanz ist unter normalen Umständen uneinholbar, weil Bestaven künftig in einem anderen Wettersystem segeln würde.  Seine Verfolger kämen nicht mehr an ihn heran, weil der Wind, mit dem sie aufholten, ihn immer schneller erreichen würde, als sie selbst es täten.

Der 46-jährige Bestaven führt derzeit souverän. Er sagt, es käme ihm so vor, als sei er erst gestern losgesegelt.
Der 46-jährige Bestaven führt derzeit souverän. Er sagt, es käme ihm so vor, als sei er erst gestern losgesegelt.

© Jean-Marie Liot / VG2020

Diesen Fall will Charlie Dalin unbedingt vermeiden. Er ist weit nach Süden abgebogen in der Hoffnung, dem sich langsam nähernden Zentrum des Hochdruckgebiets gerade eben so zu entkommen. Scheitert das Kalkül, sitzt er fest. Vermutlich sogar länger als die Gruppe der Verfolger. Zu denen gehören drei Nichtfoiler, die unter Leichtwindbedingungen ziemlich fix unterwegs sind. Sie haben das schon einmal bewiesen, als bei der Passage durch das St.-Helena-Hoch im Südatlantik sie es waren, die sich als Tempomacher bewährten.

So dürfte sich das Feld vor dieser Wand aus Nichtwind in nächster Zeit zusammenschieben, ohne das abzusehen wäre, wer an welcher Position am meisten profitiert. „Ich will im Moment keinen groben Fehler machen“, sagt Herrmann, „so dass die anderen an mir vorbeifahren.“

Ihm dürfte der Ehrgeiz Giancarlo Pedotes, Isabelle Josckes und Louis Burtons nicht entgehen, die Kluft von bis zu 300 Meilen zu dem Hauptfeld zu schließen. Gelänge es ihnen, lägen fast die Hälfte aller Teilnehmer nach fast 60 Prozent der Strecke wieder gleichauf. Vor allem Burton dürfte diese Aussicht beflügeln, hat er doch eine extrem strapaziöse Reparatur an der Spitze seines Masts hinter sich, die er im Windschatten der einsamen Macquarie-Insel ausführte. Nach zwei vergeblichen Versuchen, die Mastschiene zu richten, die ihm nicht mehr erlaubt hatte, sein Großsegel bis ganz nach oben zu ziehen, jubelte er in luftiger Höhe und euphorisch vor Angst, als es ihm schließlich doch gelang. Er sei nahe dran gewesen, aufzugeben, sagte Burton später.

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