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Andrea Rothfuss jubelt über Bronze.

© IMAGO/Bildbyran

Andrea Rothfuss gewinnt Bronze: Besser als Gold

Skifahrerin Andrea Rothfuss kämpft sich im Riesenslalom aufs Podest. Nach für sie durchwachsenen Spielen zeigt sie die Weltklasse, die in ihr steckt.

Von Elena Deutscher

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Das Startsignal ertönt und Andrea Rothfuss stürzt sich entschieden in den ersten Durchlauf im Riesenslalom. Das ist ihre Disziplin, ihre Königsklasse, ihre Chance, bei diesen Spielen noch einmal zu glänzen.  

Doch der Start sieht gar nicht glänzend aus: Rothfuss läuft der Ski immer wieder weg, fährt keine optimale Linie und hat Probleme mit dem Timing. War das schon der Traum von der Medaille? Enttäuscht schüttelt die Skifahrerin im Ziel den Kopf. Nach Platz vier in der Abfahrt, Platz neun im Super-G und einer Disqualifikation in der Super-Kombination ist der Druck groß, bei diesen Spielen noch das Ruder herumzureißen. „Ich muss den perfekten Lauf erwischen, um vorne mit dabei zu sein und um die Medaillen mitzufahren“, sagt Rothfuss einmal. 

Lauf zwei: Wieder steht Rothfuss im Starthäuschen, sichtlich nervös verschränkt sie die Arme hinter dem Kopf, bevor sie an den Startstarb tritt und sich auf die Piste schmeißt. Wieder Probleme mit dem Ski – aber Andrea Rothfuss kämpft, fliegt um die Tore und kann im unteren Teil der Piste Zeit gutmachen. Im Ziel reißt sie die Arme hoch. Das war gut.  

Rothfuss lacht, ihr Team jubelt ihr zu. Doch drei Konkurrentinnen kommen noch. Ein zweiter vierter Platz ist ihr schon sicher, für eine Medaille muss eine der drei Erstplatzierten aus dem ersten Durchlauf langsamer als Rothfuss fahren. Eine von drei starken Skifahrerinnen, die sich alle schon bei diesen Spielen mit Gold schmücken konnten.  

Die Erste, die an den Start geht, ist die Kanadierin Mollie Jespen. Sie geht mit über einer Sekunde Vorsprung vor Rothfuss an den Start. Im Lauf schrumpft ihr Vorsprung, doch am Ende reicht es. Jespen vor Rothfuss. Die Schwedin Ebba Aarsjoe folgt als Nächste und greift an. Aggressiv brettert sie die Piste runter, geht auf volles Risiko. Zu viel Risiko – Aarsjoe verliert die Kontrolle, dreht sich um ihre eigene Achse und stürzt. „Der einen Leid ist der anderen Freud“, sagt der Kommentator der Liveübertragung. Denn der Sturz der Schwedin katapultiert Rothfuss in die Medaillenränge. 

Große Freude bei Rothfuss

Die deutsche Skifahrerin fällt ihrer Teamkollegin Anna-Maria Rieder um den Hals, ungläubig und vor Freude strahlend verschränkt sie die Arme vor dem Gesicht. „Ich habe es selber eigentlich für fast nicht mehr möglich gehalten, weil ich um die starke Konkurrenz und das große Teilnehmerfeld wusste und schon wusste, das ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit“, erklärt Rothfuss. 

Das die Chinesin Mengqiu Zhang als letzte Starterin Gold gewinnt wird zur neben Sache, denn für Rothfuss bedeutet das Bronze. Bronze in ihrer Lieblingsdiziplin, Bronze bei ihren vielleicht letzten Spielen. „Diese Medaille ist die beste und schönste. Sie steht sogar über der Goldenen von Sotschi. Ich habe davon geträumt, aber ich habe es nicht für möglich gehalten. Aber ich habe das Unmögliche möglich gemacht.“  

Mit der deutschen Flagge um die Schultern und den Skiern in der Hand marschiert Rothfuss mit Zhang und Jepsen auf die Piste zur kleinen Siegerehrung. „Bronze medallist, representing Germany, Andrea Rothfuss“, tönt es über die Piste. Jubelschreie, Freudentränen. Rothfuss ist die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.  

Seit 2006 bei den Paralympics

Fünfmal qualifiziert und jedes Mal Edelmetall gewonnen: Bei ihren ersten Paralympics war Rothfuss 16 Jahre alt, das war 2006. Seitdem gab es keine Spiele ohne sie. Ihre fünften Spiele sollten aber ihre härtesten werden: Mit der Konkurrenz im eigenen Team durch die 22-jährige Anna-Maria Rieder und dem starken internationalen Teilnehmerfeld reichte es schon bei der WM in Lillehammer Anfang des Jahres nur noch für Rang vier. Deshalb formulierte Rothfuss den Wunsch nach einer Medaille eher zurückhaltend: „Ich möchte vor Ort eine gute Leistung zeigen und abliefern, wofür ich vier Jahre trainiert habe. Der Traum von einer weiteren Medaille habe ich definitiv, wobei ich glaube, es wird dieses Jahr so schwer wie noch nie.“ Aber Andrea Rothfuss liefert. Mit ihrem Sieg zeigt sie: Sie ist Spitzenklasse.  

Rothfuss brettert im Riesenslalom um die Tore und auf Rang drei.

© dpa

„Diese Medaille erzählt eigentlich schon eine Lebensgeschichte. Ich bin jetzt 32. Seit 16 Jahren nehme ich an Paralympics teil, also wirklich die Hälfte meines Lebens – und jetzt mit dieser Medaille heimzukommen ... das, was die mir wert ist, ist definitiv keine andere Medaille der Welt wert“, erklärt Rothfuss.  

Teamkonkurrentin und Nachwuchshoffnung Anna-Maria Rieder landet im Riesenslalom auf Platz fünf, freut sich aber im Zielbereich sichtlich mit für Rothfuss. Genauso wie das restliche Para-Ski-Alpin-Team. „Wir brauchen uns alle gegenseitig, pushen uns. Wir sehen uns mehr im Jahr, als das wir uns nicht sehen, deswegen sind wir schon wie eine große Familie“, meint Rothfuss. Nicht verwunderlich, dass sie vor ihrem zweiten Rennen Unterstützung bei ihrem Team sucht: „Ich habe oben am Start zu unserem Servicemann gesagt: ‘Du, ganz ehrlich, ich habe Angst.’ Er fragte: ‘Ja warum denn?’ - dann ich: ‘Ich habe Angst vor mir selber, weil ich irgendwie nicht weiß, ob ich meinen eigenen Ansprüchen gerecht werden kann.’ (…) Er meinte nur so: ‘Wenn du schon Angst vor dir selber hast, was glaubst du dann, wie viel Angst die anderen vor dir haben?!’“ Die Motivation hat geholfen. Andrea Rothfuss holt mit Bronze als zweite nach Anna-Lena Forster eine Medaille für das deutsche Para-Ski-Alpin-Team.  

Noch einmal muss Andrea Rothfuss ran, am Samstag steht für die Frauen noch das Slalom-Rennen an. Ihr Fokus lag aber klar auf dem Riesenslalom. „Riesenslalom setzt eine gewisse Technik und einen Rhythmus voraus, um ihn fahren zu können. Man braucht aber auch eine gewisse Geschwindigkeit und muss den Ski laufen lassen“, erklärt Rothfuss ihre Paradedisziplin. Für Slalom sei sie in den Beinen nicht spritzig und flink genug. Vielleicht bekommt dann Rieder noch einmal ihre Chance, bei diesen Spielen aufs Podest zu klettern.  

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