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Volles Vertrauen: Urs Fischer hat eine Kultur entwickelt, in der sich jeder Spieler seiner Rolle bewusst ist und jeder seinen Mitspielern vertraut.

© Reuters/ Annegret Hilse

Berlins erfolgreichster Fußball-Klub 2020: „Man könnte fast sagen, das ist nicht mehr Union“

Dieses Jahr hat alle Erwartungen übertroffen. Die Köpenicker stehen auf Platz sechs in der Bundesliga – ein kleiner Festzeitfluch bleibt allerdings bestehen.

Dass das nahezu perfekte Jahr auch noch ein perfektes Ende bekommt, wäre für den 1. FC Union vielleicht ein bisschen zu viel des Guten gewesen. Mit der Niederlage gegen Paderborn am Dienstagabend schieden die Köpenicker zum Jahresende aus dem DFB-Pokal aus, und setzten damit eine kuriose Tradition fort. In allen drei Saisons unter Trainer Urs Fischer hat Union immer das letzte Spiel vor Weihnachten verloren.

Der kleine Festzeitfluch bleibt allerdings einer der wenigen Punkte bei Union, an dem in diesem Jahr alles beim Alten geblieben ist. Denn in vielen Belangen ist der Verein Ende 2020 fast nicht wiederzuerkennen. „Wir spielen qualitativ hochwertigen und erfolgreichen Fußball in der höchsten deutschen Spielklasse“, staunte die Ultra-Gruppierung Wuhlesyndikat in einem Beitrag im Programmheft am Dienstag. „Man könnte fast sagen, das ist nicht mehr Union…“

Tatsächlich hat dieses Jahr alle Erwartungen übertroffen. Im Februar erreichte Union zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten das Pokal-Viertelfinale, wenige Monaten später folgte der frühzeitige Klassenerhalt, und nun stehen die Köpenicker auf Platz sechs in der Bundesliga. Union Berlin. Platz sechs. Es war aber auch ein Jahr, in dem Union alte Gewissheiten widerlegte. Eine Mannschaft, deren größte Waffe das eigene Publikum ist, hat 2020 mehrere wichtige Siege im leeren Stadion gefeiert. Eine Mannschaft, die vor allem eklig und pragmatisch spielt, konnte 2020 gegen Teams wie Bayer Leverkusen, Ajax Amsterdam und phasenweise sogar den FC Bayern fußballerisch mithalten. Eine Mannschaft, die vor allem auf Max Kruse angewiesen sein sollte, hat seit dessen Verletzung kein Ligaspiel mehr verloren.

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Es gibt aktuell wohl kaum einen Bundesliga-Verein, der in seiner Gesamtheit so gut funktioniert wie Union. Als Trainer hat Urs Fischer offenbar eine Kultur entwickelt, in der sich jeder Spieler seiner Rolle bewusst ist und jeder seinen Mitspielern vertraut. Als Kaderplaner hat Oliver Ruhnert mit zwei großen Sommer-Umbrüchen die Mannschaft gnadenlos weiterentwickelt, ohne sie komplett zu entwurzeln. Auch in diesem Jahr mussten Ikonen wie Sebastian Polter oder Michael Parensen gehen, aber dafür werden etwa Grischa Prömel oder Marvin Friedrich schon zu neuen Fanlieblingen geformt.

Nach diesem Jahr wird nichts so bleiben, wie es einmal war

Auch das Verhältnis zu den Fans überstand die äußerst schwierigen Umständen in diesem Jahr. Für seinen Vorstoß im vergangenen Sommer, das Stadion schon im Herbst mithilfe von Massentests wieder zu füllen, musste Union ziemlich viel – und zum Teil auch berechtigte – Kritik einstecken. Aber bei den Fans kam das gut an. Und mit seinen Bemühungen um den Erhalt der Stehplätze und das ambitionierte Zuschauerkonzept hatte der Verein auch gezeigt, dass man Fußballfans auch vertrauen darf.

Das hat sich vor allem im Oktober im Spiel gegen Freiburg gezeigt, als die 5000 Besucher 90 Minuten lang auf das Singen verzichten mussten, und ihre Mannschaft stattdessen mit Töpfen und Rasseln anfeuerte. Keiner der Anwesenden hätte vor dem Spiel gedacht, dass das so reibungslos funktionieren könnte, doch das Vertrauen zwischen Basis und Klub und der daraus resultierenden Wagenburg-Mentalität haben an diesem Tag positiv gewirkt. Es war ein wunderbar kurioser Nachmittag, und ein wichtiges Zeichen, dass man in einer Krise auch kreative Lösungen finden kann.

Auch in diesem Sinne ist Union sich selbst treu geblieben. Aber wann und wie auch immer die Fans 2021 wieder ins Stadion dürfen: In Köpenick werden sie zu einem etwas anderen Klub zurückkehren. Denn nach dem wahnsinnigen Jahr 2020 wird nichts mehr so bleiben, wie es einmal war.

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