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Jubel ohne Ende. Der 1. FC Union steht seit mehr als einem Monat an der Tabellenspitze.

© IMAGO/Dennis Ewert/RHR-FOTO

Berliner sind seit fünf Wochen Tabellenführer: Der Sieg gegen Dortmund zeigt, dass der 1. FC Union zu Recht oben steht

Das rauschhafte 2:0 gegen Borussia Dortmund lässt selbst Urs Fischer ein bisschen schwärmen. Von einem Fußballmärchen à la Leicester City will Unions Trainer aber weiter nichts hören.

Als die Uhr langsam heruntertickte und Borussia Dortmund verzweifelt auf den Anschlusstreffer drängte, war auf der Waldseite plötzlich das bekannte Grollen zu hören.

Die Heimfans streckten ihre Arme vor sich hin und stießen mit einem vokalen Trommelwirbel das Lied an, das sie erst seit der Aufstiegssaison 2018/19 regelmäßig singen. „Die Zeit ist nun gekommen, ihr werdet’s alle sehen“, schallte es durchs Stadion An der Alten Försterei. „Der 1. FC Union wird nun endlich oben stehen“.

Und sie hatten Recht. Nach dem 2:0 gegen Dortmund konnten es wirklich alle sehen. Der 1. FC Union steht den fünften Spieltag in Folge ganz oben in der Männer-Bundesliga. Die Zeit ist nun gekommen. Jetzt stellt sich nur noch die Frage, wie lange sie noch dauern kann.

Im erstaunlichen Steigflug des Köpenicker Klubs fühlte sich dieser Sieg wie ein weiterer Meilenstein, vielleicht sogar wie eine Rubikon-Überschreitung an. Der Vorsprung auf den Tabellenzweiten Bayern München beträgt mittlerweile vier Punkte.

Aus den Duellen mit den drei Spitzenteams Bayern, Dortmund und Rasenballsport Leipzig haben die Berliner sieben von neun möglichen Punkten geholt. In der Euphorie des Sonntagabends geriet sogar Trainer Urs Fischer kurz ins Schwärmen: „23 Punkte nach zehn Spieltagen: Das ist wirklich Wahnsinn. Das ist unglaublich eigentlich“, sagte der sonst so unerschütterliche Schweizer.

Die Träumereien der Fans und der Medien winkte er jedoch wie immer ab. „Natürlich verstehe ich das, aber es ist mir egal“, sagte er zum Murmeln über eine mögliche Meisterschaft, zum Geflüster über ein deutsches Leicester City.

Es sei auch keine Tiefstapelei, dass man nach wie vor an dem gesetzten Ziel von vierzig Punkten und dem Klassenerhalt festhalte. „Es ist eine tolle Momentaufnahme, aber wenn Du ein Ziel hast, solltest du das erst einmal erreichen, um dann vielleicht über ein neues Ziel zu sprechen“, sagte Fischer.

Ähnlich zurückhaltend zeigten sich auch die Spieler. „Selbstverständlich“, grinste Julian Ryerson nach der Frage, ob vierzig Punkte noch das Ziel wären. „Wenn es so weiterläuft, wehren wir uns natürlich nicht dagegen. Das sind 17 Punkte noch. Wenn wir sie so cool wie möglich bekommen, ist es doch umso besser“, fügte sein Kollege Timo Baumgartl hinzu.

Gleichzeitig blickte man mit Vorsicht auf die kommenden Herausforderungen. „Wir wissen auch, dass eine schwerere Phase kommen wird. Das sind viele Spiele in den nächsten Wochen“, sagte Baumgartl. „Heute hat man auch gesehen, dass die Kraft am Ende bei einigen Spielern weniger wurde, und in drei Tagen steht schon das nächste Spiel an. Deshalb wissen wir, dass uns ein Punktepolster echt gut tut.“

Urs Fischer (links) bleibt bei seiner Haltung: Saisonziel bleibt der Klassenerhalt.

© imago/Matthias Koch

Dabei steckt Union längst schon in der vermeintlich schwierigen Phase, und geht bisher hervorragend damit um. Als die Berliner vor zwei Wochen gegen Eintracht Frankfurt verloren, haben viele Beobachter mit dem Beginn einer Negativserie und einer Normalisierung der Tabellenposition gerechnet. Stattdessen zeigte die Mannschaft nochmal, wie viel stärker sie in dieser Saison geworden ist.

In Stuttgart errang sie genau jene Art von Auswärtssieg, den sie in der vergangenen Spielzeit oft nicht über die Zeit bringen konnten. Gegen Dortmund lieferte sie dann die wohl beste Leistung ihrer kurzen Bundesliga-Geschichte ab. Gerade in der ersten Halbzeit war der vermeintliche Außenseiter kompakter, kämpferischer und abgeklärter als sein Gegner – und damit auch vollkommen überlegen.

Die Zeichen verdichten sich also, dass Union vielleicht doch noch etwas länger an der Spitze bleiben könnte – auch, wenn eine Sensations-Meisterschaft immer noch in weiter, weiter Ferne liegt. Diese Mannschaft hat offensichtlich die Qualität, um jeden Gegner in der Bundesliga zu schlagen, gerade auch, wenn sie selbst von Verletzungen verschont bleibt. Entsprechend groß war auch die Erleichterung, als es am Montag beim verletzt ausgewechselten Jordan Siebatcheu Pefok erst einmal Entwarnung gab.

Die beste Mannschaft in Deutschland sei man trotz der aktuellen Tabellensituation aber nicht, betonte Fischer am Sonntag. „Wir haben nach wie vor unsere Themen, an denen wir arbeiten müssen“, sagte er, und wies darauf hin, dass Union in Kategorien wie Ballbesitz und Passquote statistisch immer noch dem Rest der Liga hinterherhinkt.

Vielleicht muss Union tatsächlich vielseitiger werden, um den aktuellen Erfolg auf Dauer fortzusetzen. Mit den Grundtugenden von Kompaktheit und Kaltschnäuzigkeit ist diese Mannschaft aber bisher sehr gut gefahren, und auch das ist ein Argument dafür, dass sie schon jetzt da oben hingehört. „In allererster Linie ist es das, was Spitzenteams ausmacht“, sagte Dortmunds Trainer Edin Terzic am Sonntag. „Jeder weiß, was sie tun – und keiner kann es verhindern.“

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