zum Hauptinhalt
Eng beieinander. Top-Läufer wie Eliud Kipchoge (Zweiter von links) und Wilson Kipsang (Dritter von links) arbeiten schon lange mit ihren Beratern zusammen.

© Glyn Kirk/AFP

Berlin-Marathon: Die Strippenzieher hinter den Weltrekordjagden

Auch am Sonntag könnte es wieder Fabelzeiten beim Berlin-Marathon geben. Dafür verantwortlich sind auch die Profis hinter den Profis.

Von Johannes Nedo

Gerard van de Veen kommt kaum voran. Wenn der Niederländer im Berliner Athleten-Hotel unterwegs ist, stoppt er immer wieder: um Hände zu schütteln, Smalltalk zu halten – und sich dabei meist für spätere, ausführlichere Gespräche zu verabreden. Es sind stressige Tage für van de Veen rund um den 45. Berlin-Marathon an diesem Sonntag (9.15 Uhr/ARD und RBB). Der 65-Jährige ist Berater von Langstreckenläufern. Mit seiner Agentur „Volare Sports“ vertritt er unter anderem den kenianischen Mitfavoriten Wilson Kipsang. Doch in Berlin bereitet er nicht nur den ehemaligen Weltrekordhalter und Sieger von 2013 auf das Rennen vor, er trifft sich auch mit Sponsoren und Veranstaltern anderer Marathons, um Deals für das nächste Jahr abzuschließen.

Van de Veen gehört zu einer kleinen Gruppe bestens vernetzter Männer. Athleten-Berater, die vor allem afrikanische Läufer unter Vertrag haben – besonders aus Kenia und Äthiopien. Van de Veen betreut rund 100 Athleten. Einer seiner größten Konkurrenten ist sein Landsmann Jos Hermens, der so etwas wie der Marktführer in diesem Bereich ist. Der 68-Jährige vertritt mit seiner Agentur „Global Sports Communication“ um die 150 Läufer. Und auch er hat in Berlin viele Termine, die weit über das eigentliche Rennen hinausgehen. Es gibt zwar noch ein paar Italiener, Spanier und US-Amerikaner in diesem Metier. Aber unter den zehn wichtigsten Managern afrikanischer Athleten zählen Hermens und van de Veen zu den umtriebigsten und einflussreichsten.

Ohne sie wären die alljährlichen Weltrekordjagden und die spektakulären Marathon-Duelle wie an diesem Sonntag zwischen Kipsang und dem Rio-Olympiasieger Eliud Kipchoge, der von Hermens beraten wird, wohl nicht möglich. Bei ihnen läuft alles zusammen. Sie sorgen dafür, dass ihre Top-Läufer bestens vorbereitet sind, sie stellen die passenden Tempomacher, und sie sind bestrebt, dass sich die Stars öffentlichkeitswirksam präsentieren. Von all dem profitieren auch die Veranstalter enorm.

Der Niederländer van de Veen betreut rund 100 Athleten.
Der Niederländer van de Veen betreut rund 100 Athleten.

© Promo

„Ich sage den Athleten immer: Es ist ganz einfach. Du musst einfach nur schnell laufen. Wir kümmern uns um alles andere“, betont van de Veen. Er und seine Mitarbeiter organisieren die Flüge, die Visa und die Versicherung. Sie stellen den Athleten die Trainer, kümmern sich um die medizinische Betreuung und organisieren die Trainingscamps. Dafür nehmen Berater wie van de Veen und Hermens dann zehn bis 15 Prozent der Antritts- und Preisgelder.

„Das Geld ist aber keine Motivation für mich“, beteuert Hermens. „Meine Arbeit ist eine spezielle Form der Entwicklungshilfe. Denn nur 20 Prozent der Athleten, die ich unter Vertrag habe, bringen das Geld.“ Bei ihm sind das Stars wie Kipchoge, der Äthiopier Kenenisa Bekele oder früher die Lauflegende Haile Gebrselassie. Van de Veens Vorzeigeathleten sind neben Kipsang der aktuelle Marathon-Weltrekordhalter Dennis Kimetto (2:02:57 Stunden) und Geoffrey Mutai.

Während diese Top-Läufer ausgesorgt haben, würden die meisten anderen afrikanische Athleten bei ihm zwischen 3000 und 5000 US-Dollar pro Jahr verdienen, sagt Hermens. „Laufen ist kein superreicher Sport.“ Mit diesen Summen lässt sich in Ostafrika allerdings ein gutes Leben führen. Und natürlich handeln auch die Berater nicht ohne finanzielle Interessen. Schließlich lehnen sie immer wieder zahlreiche Athleten ab, die von ihnen betreut werden wollen, berichten Hermens und van de Veen. Eben weil sie den Ruf haben, erfolgreiche Läufer herauszubringen, stehen die Talente bei ihnen Schlange. „Es gibt einfach so viele Athleten, die unbedingt bei Rennen außerhalb Afrikas starten wollen“, sagt Wilson Kipsang. „Doch das funktioniert nur mit Männern wie Gerard.“

„Für manche Berater ist es nur ein knallhartes Geschäft: Wer keine Leistung bringt, fliegt sofort raus“

Weil der Druck für viele Läufer allerdings so groß sei, irgendwie aus Kenia herauszukommen, kann Kipsang auch verstehen, wenn sich einige zwielichtigen Beratern anschließen. „Viele Athleten sind verzweifelt. Wenn sie schon einige Jahre ohne ein Angebot trainiert haben, gehen sie auch schlechte Deals ein“, sagt der 36-Jährige. Sie lassen sich auf Berater ein, die sie nicht korrekt über die Antrittsgelder informieren. Die Preisgeld zurückhalten, um die Athleten an sich zu binden – denn Verträge dürfen laut den Regeln des Leichtathletik-Weltverbands IAAF immer nur für ein Jahr abgeschlossen werden. Oder die die Läufer verheizen, weil sie sie zu früh in ihrer Karriere oder zu oft bei Marathons einsetzen. 

„Für manche Berater ist es nur ein knallhartes Geschäft: Wer keine Leistung bringt, fliegt sofort raus“, sagt Kipsang. „Schwarze Schafe gibt es immer noch“, betont van de Veen. Und Hermens sagt: „Leider versetzen manche Berater die Athleten dann in gefährliche Abhängigkeiten.“ Aus diesem Grund kooperiert auch Mark Milde, der Renndirektor des Berlin-Marathons, nur mit Beratern, die er schon lange kennt: „Ich muss mich auf die Manager der Athleten absolut verlassen können.“

Kipsang und Kipchoge wiederum konnten sich also nicht nur auf ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten verlassen. „Gerard hat mich auch dann unterstützt, als ich mal schlechte Resultate hatte“, betont Kipsang. Seit elf Jahren arbeitet er zusammen mit van de Veen. In dieser Zeit habe der Berater einen sich stetig steigernden Karriere-Aufbau für ihn organisiert, schildert Kipsang. „Gerard ist wie ein Vater für mich.“

Kipsangs und Kipchoges Entwicklungen sind Idealfälle. Der 33 Jahre alte Titelverteidiger des Berlin-Marathons und sein Berater Hermens arbeiten auch schon seit vielen Jahren zusammen. „Selbstverständlich ist Talent wichtig. Aber am wichtigsten ist die Disziplin“, sagt van de Veen. Darauf achte er besonders, wenn er nach neuen Talenten sucht. So ist für van de Veen und Hermens nicht nur entscheidend, wie stark sich etwa 18- oder 19-Jährige bei den Junioren-Meisterschaften in Kenia und Äthiopien präsentieren, sondern vor allem auch deren Einstellung. „Sie dürfen nicht nur kurzfristig denken“, sagt Hermens. „Sie müssen geduldig sein.“

Weil das aber eben nicht alle schaffen – auch nicht alle Berater –, können sich die seriösen Athleten-Manager dem Thema Doping nicht entziehen. „Wir tun alles, um Doping bei unseren Läufern zu unterbinden“, sagt Hermens. Allerdings stand er selbst schon unter Verdacht, einem Diping-Netzwerk anzugehören. Ermittlungen gegen ihn wurden jedoch immer eingestellt. „Ich war nie in Doping involviert“, betont er. „In 30 Jahren habe ich mehr als 1000 Athleten betreut. Darunter waren dann leider auch einige wenige, die gedopt haben. Aber damit hatte ich nie etwas zu tun.“

Wer dopt, kann sich neue Berater suchen

Wenn ein Läufer, der bei ihm unter Vertrag steht, des Dopings überführt werde, sei die Zusammenarbeit sofort beendet, sagt Hermens. Genauso hat es van de Veen in seinen Verträgen verankert: „Wir klären unsere Athleten ständig auf. Komplett kontrollieren können wir sie aber leider nicht.“ Doping ist jedoch nicht die einzige Problematik, gegen die Hermens und van de Veen ankämpfen müssen

Immer wieder kommt es vor, dass aussichtsreiche Läufer nach schnellen Erfolgen ihr Preisgeld verprassen oder der Alkoholsucht verfallen, die in Kenia weit verbreitet ist. Die beiden Niederländer versuchen daher, ihre Athleten auch in der Hinsicht zu beraten, dass sie wie Kipsang und Kipchoge ihre Gewinne vor Ort investieren: in Ackerland oder Immobilien. „Sie sollen ja so gut es geht abgesichert sein nach ihrer Karriere“, sagt van de Veen. Und Hermens betont: „Ich will sehen, dass sich die Läufer auch abseits des Sports entwickeln und ihre Umgebung unterstützen.“

Doch solche Athleten gibt es eben nur wenige. Und weil alle Berater in Ostafrika nach neuen Kipchoges und Kipsangs fahnden, ist auch die Konkurrenz untereinander groß. Das war zu Hermens Anfangszeiten noch ganz anders. 1982 war er der Erste, der sich in Äthiopien auf die Suche nach starken Athleten gemacht hatte. Der frühere Langstreckenläufer und Olympia-Teilnehmer war auch in Kenia in diesem Bereich einer der Pioniere.

Allein die Kommunikation mit den Läufern sei damals sehr abenteuerlich gewesen, schildert er. Weil kaum jemand ein Telefon hatte, verabredete er sich mit seinen Athleten alle zwei Wochen, um sie dann im örtlichen Postamt anzurufen. „Manchmal hatte ich Glück, und der Athlet war da – meist aber auch nicht“, sagt Hermens. „Als es dann Mobiltelefone gab, war das ein echter Segen für uns.“

Mittlerweile haben Berater wie er und van de Veen die Trainingsstrukturen und die Betreuung in Ostafrika so professionalisiert, dass die Läufer aus Kenia und Äthiopien die Marathonszene wohl noch lange absolut dominieren werden – und dass Hermens und van de Veen weiter so gefragt sein werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false