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Anna Schaffelhuber, 29, gewann als Monoskibobfahrerin zahlreiche internationale Medaillen, darunter fünf Gold–Medaillen bei den Winter-Paralympics in Sotschi 2014 sowie zwei Mal Gold und ein Mal Silber bei den Winterspielen in Pyeongchang 2018. Sie beendete ihre Karriere im Alter von 26 Jahren.

© imago/AFLOSPORT

Anna Schaffelhuber im Interview: „Bei den Spielen war ich nicht mehr up to date“

Paralympics-Star Anna Schaffelhuber über Vorbildfunktionen, Menschenrechte, ihr Karriereende und ihren Job als TV-Expertin.

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Frau Schaffelhuber, wissen Sie eigentlich, wie viele Medaillen Sie in Ihrer Karriere gewonnen haben?

Das kommt drauf an. Die Paralympics- und WM-Medaillen weiß ich schon, aber ansonsten muss ich tatsächlich ein bisschen überlegen …

Laut Wikipedia müssten das 176 Medaillen sein! Wo bewahren Sie die alle auf?

Wir sind vor einem Jahr etwa in unser Haus gezogen. Davor waren sie in einer Kiste bei mir im Keller, teilweise auch unter dem Autositz. Wenn ich unterwegs war, hatte ich meistens eine dabei und habe sie gleich im Auto gelassen. Aber die Medaillen, die für mich wichtig waren, die sind im Wohnzimmerschrank.

Haben Sie sich an irgendeinem Zeitpunkt in Ihrer Karriere an den Erfolg gewöhnt?

Ich glaube, von außen wirkt es relativ schnell wie ein Selbstläufer, so nach dem Motto: Ja ja, das mit dem Gewinnen geht schon immer so weiter. Die Medaillen wurden irgendwann nicht mehr als neuer Erfolg, sondern vielmehr als Bestätigung gesehen. Für mich persönlich war es aber nie so, für mich war es jedes Mal wieder die Herausforderung, auch wenn ich schon vorne war, vorne zu bleiben.

Bei den Paralympics 2014 in Sotschi holten Sie gleich fünf Mal Gold. War das der Erfolg, der Ihnen heute am meisten bedeutet?

Sotschi war absolut das Highlight meiner Karriere, und da bin ich rückblickend sehr stolz drauf. Aber am meisten bedeutet mir die erste Goldmedaille in Pyeongchang 2018. Die vier Jahre zwischen Sotschi und Pyeongchang sind mir sehr lange vorgekommen, während dieser Zeit habe ich einen starken Druck verspürt von außen, aber auch ich selbst habe mich sehr unter Druck gesetzt. Ich wollte zeigen, dass der Erfolg nicht nur in Sotschi so war. Dass das mit der ersten Medaille in Pyeongchang geklappt hat, ist mir am meisten wert.

Sie sprachen damals von einem „Befreiungsschlag“. Wie viel Mut brauchte es, um über den Druck zu sprechen?

Ich glaube, ich habe ihn im Vorfeld schon immer wieder so ein bisschen angedeutet, habe es aber auch immer sehr schwierig gefunden als Sportlerin. Man will sein Licht nicht unter den Scheffel stellen, ich wollte ja in die Favoriten-Position kommen, da wollte ich das nicht einfach so abtun. Auf der anderen Seite war es schwierig, das nicht so hochzujubeln. Dieser Grat ist schmal, und das war natürlich sehr schwierig. Aber das Schwierigste war, das mit mir selbst auszumachen.

Während der Sommerspiele sprach Olympia-Turnerin Simone Biles über ihre mentale Gesundheit. Inwiefern kann das öffentliche Sprechen helfen, zu hohen Erwartungshaltungen entgegenzuwirken?

Also kurzfristig, im ersten Moment kann es das sicher. Wenn man das einmal aussprechen kann oder dieses Bewusstsein dafür schafft, was es mit dem Menschen macht, um den es sich gerade einfach handelt, macht das was. Langfristig bin ich mir tatsächlich gar nicht so sicher, ob das was ändert – der nächste Auftritt von Simone Biles wird dann irgendwo wieder unter einem besonderen Fokus stehen.

Beobachten Sie, dass sich der Leistungsdruck im Para-Sport verändert hat?

Während meiner ganzen Karriere hat der Para-Sport eine wahnsinnig tolle Entwicklung genommen. Er ist viel präsenter in den Medien – und dadurch ist auch eine Erwartungshaltung von außen dazugekommen. Ich möchte mich da aber gar nicht so drüber beschweren, das ist genau das, wo ich hinwollten.

Im November 2019 gaben Sie Ihr Karriereende im Sport bekannt und haben sich Ihrem Lehramtsstudium gewidmet. Für viele Menschen war der Zeitpunkt überraschend, Sie waren erst 26 Jahre alt. Aufhören, wenn es am schönsten ist?

Ja, definitiv. Ich wollte nie, dass man sagt: Na ja, die hat verpasst aufzuhören. Es ist auch nicht so, dass ich mir das Karriereende von heute auf morgen überlegt habe, für mich war das nicht überraschend. Nach außen habe ich meine Überlegungen ganz bewusst nicht getragen, es war mir wichtig, dass ich mir von der Seite keinen Druck machen lasse, indem die Leute zum Beispiel wissen, dass das mein letztes Rennen wird. In der Zeit nach Pyeongchang habe ich einfach gemerkt, dass es sich „komplett“ angefühlt hat, ich habe gedacht: Was soll jetzt noch kommen, was das toppen kann? Ich hatte alle Medaillen, die ich haben wollte, es war eine lange und eine sehr schöne Zeit, und dann habe ich erneut Herausforderungen für mich gesucht.

Gibt es etwas, das Sie vermissen?

Ja schon, also ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht, und ich bin wahnsinnig dankbar, dass es so funktioniert hat. Während jemand anderes ins Büro gegangen ist, bin ich den Berg raufgefahren. Das habe ich sehr genossen. Als ich mir jetzt Olympia angeschaut habe, reizt mich das immer noch. Dann fällt mir aber auch ein, was noch drumherum alles mit dranhängt und an so einem Trainingstag stattfindet, und das relativiert das immer wieder schnell.

Fahren Sie heute noch Ski?

Wieder, tatsächlich. Das Problem war wirklich Corona. Kurz nachdem ich aufgehört habe, wurden die Lifte zugemacht. Das ist jetzt der erste Winter, in dem ich wirklich Ski fahren gehen kann. Ich wohne mittlerweile nicht mal eine halbe Stunde vom nächsten Skigebiet entfernt, da gehe ich momentan schon relativ oft raus. Totaler Break eigentlich – ich bin immer gefahren und dann fast zwei Jahre gar nicht mehr.

Sie sind vom Spitzensport in die Schule gewechselt. Was nehmen Sie aus der alten Karriere mit? Leistungsgedanken?

Ja, wahrscheinlich schon (lacht). Ich merke, dass ich sehr vieles sehr lange vorausgeplant haben muss und organisiert bin. Das trifft sich jetzt im Job sehr gut, so zu arbeiten bin ich einfach gewohnt. Die Leute, die mit mir angefangen haben, die haben es am Anfang oft schwerer gehabt. Manchmal denke ich mir aber auch: Muss bei allem das Ziel sein, dass man so gut wie möglich aus der Prüfung rausgeht? Was mir wichtig ist, ist, dass ich den Kindern nicht nur mitgebe, wie wichtig Mathe auf dieser Erde ist, sondern dass es noch sehr viel drumherum gibt, seien es soziale Aspekte und andere Werte.

Wissen Ihre Schüler*innen von Ihrer Sportvergangenheit?

Immer, wenn ich am Anfang neu irgendwohin gekommen bin, kannten mich viele, meistens hatte sich das rumgesprochen. Es gibt diese ominösen Stunden vor den Ferien, in denen kein richtiger Unterricht mehr stattfindet. Viele schauen da einen Film, ich habe stattdessen angefangen, meinen Klassen in der letzten Stunde vor den Ferien ein bisschen was von meiner Ski-Karriere zu erzählen. Zumindest rede ich mir ein, dass das mehr Sinn macht, als einen Film anzuschauen (lacht).

Was stellen Ihnen die Kinder für Fragen?

Das Wichtigste ist immer, wie viel ich verdient habe. Und wie viel der Monoski wert ist, wen ich alles kenne und ob ich mal eine Goldmedaille mitbringen kann.

Tun Sie das?

Ja, das mache ich immer am letzten Schultag. Das ist für die Kinder schon schön, so was haben die noch nie gesehen. Auch die Kinder, die dem Unterricht während des Jahres vielleicht nicht so aktiv folgen, sind dann immer da.

Frau Schaffelhuber, für die Spiele in Peking hat Sie die ARD als TV-Expertin engagiert. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Ich glaube, dass die Vorbereitung eine andere ist als die meiner Vorgänger in den letzten Jahren. Das Problem ist, dass ich nicht live vor Ort bin und deshalb auf alle möglichen Ergebnislisten und Livestreams angewiesen bin. Ich halte schon jetzt viel Rücksprache mit der Mannschaft und versuche immer ein bisschen an der Quelle zu bleiben.

Wären Sie lieber vor Ort gewesen?

Ich bin schon froh, dass ich selbst nicht in China sein werde, ich glaube, durch die Quarantäne- und Abstandsregeln wäre ich sowieso nicht an die Mannschaft rangekommen. Daher denke ich, habe ich in dem Sinne keinen Nachteil.

Sehen Sie die Sportler*innen in Peking in der Verantwortung, sich beispielsweise in Bezug auf Chinas Menschenrechtsverletzungen zu äußern?

Das finde ich sehr zweischneidig. Ich finde schon, dass Sportler eine Vorbildrolle haben und eine gewisse Außenwirkung. Ich finde es nur schwierig, wenn der Sportler nur zu Großereignissen dazu befragt wird. Das Thema Menschenrechte in China ist nicht nur in diesem Jahr so, das war in den letzten vier Jahren genauso. Wenn so ein Großereignis stattfindet, ist der Sport die Hauptaufgabe des Sportlers, da liegt der Fokus drauf. Ich lese viel nach und interessiere mich für diese Themen – aber genau dann, wenn die Spiele waren, war ich nicht mehr up to date. Bei mir war das vor allem die Krim-Krise während Sotschi 2014.

Nun hat Russland kurz vor den Paralympics die Ukraine angegriffen. Denken Sie, es ist richtig, dass die Spiele stattfinden?

Das zu beurteilen, dafür gibt es andere Personen, die genau aus diesen Gründen Funktionen innehaben und sich um solche Sachen kümmern sollen.

In Sotschi solidarisierte sich das deutsche Team, es gab eine Zusammenkunft mit der ukrainischen Mannschaften im Deutschen Haus. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Abend?

Wir Sportler waren aufgrund der Wettkämpfe und anderen Verpflichtungen an dem Abend nur kurz da und haben wenig mitbekommen. Grundsätzlich ist so ein Zeichen absolut wichtig, deshalb sind wir auch gerne gekommen.

Welche Erwartungen haben Sie – was das Sportliche betrifft – an Peking?

Ich gehe davon aus, dass die Spiele sehr gut organisiert sein werden. Wenn etwas nicht funktioniert, wird schnell reagiert – in dem Sinne wird es ein tolles Event für die Sportler. Ich glaube aber, dass die Stimmung nicht so ist, wie man es von anderen Spielen kennt und sich wünschen würde. Ich bin gespannt, wie sich das Wetter entwickelt, das ist immer ein bisschen die Wundertüte. Aus meiner aktiven Zeit weiß ich, dass die Bedingungen, wenn man rüberfährt und dasteht, ganz anders sein können als noch bei Olympischen Spielen vor ein paar Wochen.

Und wer sorgt nach Ihrem Ausscheiden nun für die Medaillen im deutschen Team?

Das ist nicht schwierig zu beantworten, das wird meine Team-Kollegin Anna- Lena Forster sein. Ich habe großen Respekt vor ihren Leistungen, sie ist eine wahnsinnig gute Ski-Fahrerin, das muss man definitiv anerkennen.

Delia Kornelsen

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