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Grüne Wiese. Irlands Fans sind stets lautstark

© dpa/Becker

Frankreich gegen Irland: Auswärts zu Hause

Ob Frankreich im Achtelfinale der EM im eigenen Lande gegen Irland ein Heimspiel im Wortsinn bestreitet, ist unklar.

Es hat sich einiges aufgestaut an Spannung in diesem französischen Sommer, der noch einer werden will. Das große Spiel treibt das sportbegeisterte Publikum in die Bars und Cafés und Bistros, denn nur 90.000 können live im Stadion dabei sein. Einen Abend lang hält die Nation den Atem an. Früher Platzverweis, dramatische Aufholjagd und dann ist der Racing Club aus dem Pariser Vorort Colombe tatsächlich französischer Rugby-Champion, zum ersten Mal seit 26 Jahren.

Rugby entfacht hier seit jeher die Leidenschaft, und nichts ist größer als das Finale der Top 14, so heißt die französische Profiliga. Racing siegte am Freitag 29:21 gegen Toulon, gespielt wurde im ausverkauften Camp Nou von Barcelona, denn die französischen Stadien sind in diesen Tagen bekanntlich anderweitig belegt. Mit der Fußball-Europameisterschaft fremdeln die Franzosen noch ein bisschen, und das liegt auch ein wenig an ihrer Mannschaft. Les Bleus haben die Vorrunde anständig hinter sich gebracht, aber nicht mit dem Glanz und Esprit, wie es das Publikum erhofft hat.

Am Sonntag geht es in Lyon gegen Irland, späte Revanche für die WM-Qualifikation von 2009, als die Franzosen in den Play-offs Thierry Henrys Hand zum Weiterkommen brauchten. Der irische Anhang besteht traditionell aus lustigen und lauten Gesellen, es lassen sich bei der EM schwerlich lustigere und lautere finden. „Die bringen Leben in die Party und können bestimmt auch Wasser in Bier verwandeln“, sagt Eric Cantona, Frankreichs feierwütiger Fußballheld vergangener Tage. In Paris ist das Vergnügungsviertel Pigalle fest in irischer Hand, aber ihren größten Auftritt hatten die grünen Jungs in Bordeaux. Vor dem Spiel gegen Belgien deklarierte eine Tausendschaft kurzfristig eine Unterführung in der Innenstadt zur Partymeile. Als die Gendarmen anrückten und per Lautsprecher zur Räumung aufforderte, da lachten und tanzten die Iren und sangen: „Stand up fort the french police!“, eine geistreiche Variante vom öden Stadion-Gassenhauer „Stand up for the champions!“ Das Video ist ein Renner bei YouTube.

Es ist also gar nicht so sicher, ob die Franzosen im Achtelfinale von Lyon ein Heimspiel im eigentlichen Sinne haben werden. „Die irischen Fans haben die Europameisterschaft schon gewonnen“, heißt es in der Zeitung „Le Parisien“. Das französische Publikum mag sich noch nicht so recht für seine Mannschaft begeistern. Symbolisch für die eher unterkühlte Rezeption der Vorrunde stehen die Auftritte von Antoine Griezmann und Paul Pogba. Beide sollten die französischen Helden des Turniers werden, aber die Saison war lang und die Helden wirken müde.

Gegen Irland werden Pogba und Griezmann wohl wieder in der Startelf stehen

Griezmann hat gerade seinen Vertrag bei Atlético Madrid bis 2021 verlängert und köpfte immerhin das wegweisende Führungstor gegen Albanien. Pogba, der lange Ästhet von Juventus Turin, war dagegen an keinem der vier französischen Vorrundentore beteiligt. Er fiel nur einmal auf, als er nach dem späten Sieg über Albanien mit der linken Hand in die rechte Armbeuge schlug und die Faust nach oben schnellen ließ. In Frankreich nennt man das „bras d’honneur“ und das wird für gewöhnlich als tödliche Beleidigung aufgefasst, wobei offenblieb, ob Pogba wirklich jemanden beleidigen oder nur ein bisschen exzentrisch jubeln wollte. Seine Beliebtheitswerte sind jedenfalls nicht signifikant angestiegen.

Gegen Irland werden Pogba und Griezmann wohl wieder in der Startelf stehen. Der französische Trainer Didier Deschamps hat in der Vorrunde experimentiert, aber sehr viel schlauer ist er dabei nicht geworden. „Jetzt beginnt ein zweiter Wettbewerb“, sagt Deschamps, und da setzt er auf das Bewährte, also das 4-3-3 aus dem Auftaktspiel. Mit Olivier Giroud im Angriffszentrum, dazu auf den Flügeln Griezmann und Dimitri Payet, den Zinédine Zidane gerade erst als „einen der besten Spieler Europas“ geadelt hat.

Payet, die späte Neuentdeckung des Jahres von West Ham United, bringt bisher als Einziger so etwas wie Zauber in das französische Spiel. Zwei Tore hat er erzielt und eines vorbereitet, seine Dribblings sind ständige Gefahrenmomente. Am Samstag könnte er sich bei fortgeschrittenem Spielverlauf ins zentrale Mittelfeld fallen lassen. Wenn denn der irische Abwehrbeton besondere Lösungen erfordern sollte, etwa die Einwechslung der Sturm-Begabungen Anthony Martial und Kingsley Coman. Frankreich richtet sich auf einen zähen Abend und eine späte Entscheidung ein. „Wir müssen raus auf dem Platz gehen, Fußball spielen und ein Tor schießen“, sagt der Verteidiger Adil Rami. „Und je länger das dauert, desto schwieriger wird es.“ Sven Goldmann

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