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Mit hängenden Köpfen. Für Joshua Kimmich (l.) und Thomas Müller wurden in Leipzig Erinnerungen wach an die jüngsten Auftritte mit den Bayern.

© Foto: IMAGO/Sven Simon

Aus Bayern für Deutschland: Die Bayern-Krise hat die Nationalmannschaft erreicht

„Man merkt, dass bei vielen die aktuelle Phase im Verein nicht die leichteste ist“, sagt Thomas Müller nach dem 0:1 gegen Ungarn. Das betrifft nicht nur, aber vor allem die Bayern-Spieler.

Wahrscheinlich meinte es Marco Rossi wirklich nur gut, Häme für den Verlierer lag ihm ganz sicher fern. Rossi, der Trainer der ungarischen Fußball-Nationalmannschaft, wollte einfach nur einen weiteren Beleg dafür anführen, welch außergewöhnliche Leistung sein Team gerade vollbracht hatte. 1:0 hatten die Ungarn gegen und beim viermaligen Weltmeister Deutschland gewonnen, in einem Pflichtspiel noch dazu.

Um den Erfolg richtig einzuordnen, verwies Rossi auf den Kader der Deutschen. Inklusive Manuel Neuer und Leon Goretzka, beide an Corona erkrankt, fanden sich immerhin sieben Spieler des FC Bayern München im Aufgebot der Nationalmannschaft, und die Bayern „sind ganz sicher nicht das schwächste Team in Europa“, sagte Rossi.

Das schwächste nicht, aber im Moment eben auch nicht unbedingt das beste. Nicht einmal in Deutschland.

Als Ungarn und Deutschland am Freitagabend in der Nations League aufeinandertrafen, stand nur ein Spieler des Tabellenführers aus der Bundesliga auf dem Platz: Andras Schäfer vom 1. FC Union, der bei den Ungarn im defensiven Mittelfeld spielt.

Bei den Deutschen hingegen fanden sich vier Bayern in der Startelf. Und man muss es leider so deutlich sagen: Das merkte man.

Die Krise der Bayern, die in der Bundesliga seit vier Spielen nicht mehr gewonnen haben und sich daher längst um ihr Selbstverständnis als Dauersieger sorgen, diese Krise hat am Freitag auch die deutsche Nationalmannschaft erreicht. Angesichts der personellen Überschneidungen zwischen beiden Teams ist das vermutlich nicht einmal eine Überraschung.

Die schlechteste Halbzeit der Ära Flick

„Vielleicht hat man schon gemerkt, dass bei vielen die aktuelle Phase im Verein nicht die leichteste ist“, sagte Thomas Müller. „Es war auf jeden Fall so, dass wir manchmal unbedrängt Fehler gemacht haben.“

Das betraf nicht exklusiv die Spieler, die wie Müller beim FC Bayern angestellt sind. Das betraf fast alle Spieler der deutschen Mannschaft. Ihr Auftritt in der ersten Hälfte war so erbärmlich, dass es hinterher gar keine andere Möglichkeit gab, als sich selbst zu geißeln, und das möglichst heftig.

Die erste Halbzeit sei „mit Sicherheit die schlechteste“ gewesen in den bisherigen 14 Länderspielen, für die er als Bundestrainer verantwortlich war, klagte Hansi Flick. „Wenig Mut, wenig Vertrauen, wenig Dynamik, wenig Intensität – viele Fehler“: So fasste er die Darbietung seines Teams zusammen.

Aus einer schwachen Mannschaft stachen die Münchner noch einmal heraus – schon weil man von ihnen anderes gewohnt ist. Joshua Kimmich, eigentlich der Anführer sowohl bei den Bayern als auch in der Nationalmannschaft, reihte vor der Pause Fehler an Fehler, ehe er in der zweiten Hälfte zumindest halbwegs zu seiner normalen Form zurückfand. Serge Gnabry hingegen wurde die Chance zur Wiedergutmachung verwehrt: Flick wechselte ihn schon zur Pause aus.

Von den vier Bayern in der Anfangself konnte allein Leroy Sané wenigstens punktuell seine Qualität nachweisen, während Thomas Müller auf dem Feld Räume deutete, die keiner Deutung bedurften.

Zudem wurden die Bayern auch bei der Nationalmannschaft von einem Thema eingeholt, das sie seit dem Weggang von Robert Lewandowski regelrecht zu verfolgen scheint: Braucht es nicht dringend einen richtigen Mittelstürmer?

Diese Frage wird auch bei der Nationalmannschaft regelmäßig gestellt. Eine abschließende Antwort steht weiterhin aus. Gegen Ungarn mühte sich Timo Werner in der Rolle des Mittelstürmers. Er mühte sich vergeblich. Werner braucht Tiefe, um seine Dynamik mit Gewinn einbringen zu können. Aber gegen eine Mannschaft wie Ungarn gibt es nun mal keine Tiefe.

Wichtige Erkenntnisse für den Bundestrainer

„Die erste Halbzeit hat uns die Augen geöffnet, daraus müssen wir unsere Schlüsse ziehen“, sagte Hansi Flick nach der ernüchternden Niederlage. Das tat er schon während des Spiels.

Zur Pause und im weiteren Verlauf der zweiten Hälfte nahm der Bundestrainer personelle und taktische Veränderungen vor, die sich tatsächlich positiv bemerkbar machten. Thomas Müller registrierte nach der Pause „schon ein Aufbäumen, eine ganz andere Intensität“, ohne dass sich das letztlich im Ergebnis niederschlug.

Für Werner kam Kai Havertz, der zwar auch kein typischer Brecher fürs Sturmzentrum ist, sich aber auch in engen Räumen zu behaupten versteht. In 20 Minuten hatte Havertz mehr Ballkontakte als Werner in 70. Und auch die Einwechslung von Jamal Musiala hatte, ungeachtet seiner Zugehörigkeit zum FC Bayern, einen positiven Effekt auf das deutsche Spiel.

Gegen die kompakt und diszipliniert verteidigenden Ungarn wäre der begnadete Dribbler möglicherweise schon von Anfang an eine gute Option gewesen. „Er hätte uns sicherlich in der ersten Halbzeit auch gut getan“, sagte Bundestrainer Flick. „Aber wir haben uns für elf andere Spieler entschieden.“

Das dürfte am Montag anders sein, wenn die Deutschen in Wembley auf England treffen. Die Begegnung ist zwar bedeutungslos für die Tabellenkonstellation in der Nations League, nicht aber mit Blick auf die nahende WM. Eine weitere Niederlage nach der Enttäuschung gegen Ungarn sollten die Deutschen nach Möglichkeit vermeiden.

Auch deshalb spricht einiges für einen Startelfeinsatz von Musiala, der in England aufgewachsen und sogar schon für Englands U-21-Nationalmannschaft zum Einsatz gekommen ist. „Jamal hat das gewisse Etwas“, sagte Hansi Flick. Es gab nicht viele Spieler in seinem Team, von denen der Bundestrainer das am Freitag behaupten konnte.

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