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Verstehen sie Spaß? Ja, und zwar ganz offensichtlich. Seit der Weltmeisterschaft im eigenen Land hat die brasilianische Nationalmannschaft zehn von zehn Spielen gewonnen und dabei sogar wieder schönen Angriffsfußball gespielt – ein Verdienst des neuen, alten Trainers Carlos Dunga.

© Reuters/Moraes

Brasilien bei der Copa America: Anmutiger, besser, brasilianischer

Carlos Dunga hat die brasilianische Nationalmannschaft nach der WM-Schmach umgebaut. Dabei setzt der Trainer nicht nur auf neue Talente - bislang mit großem Erfolg.

Am Ende hat Carlos Dunga dann auch noch Fred berufen. Ja, wirklich Fred, und natürlich provozierte diese Meldung zunächst leichte Verwunderung. Dass da der neue Trainer des neuen Brasilien mit einem Spieler zur Copa America nach Chile reist, der wie kein Zweiter für das alte Brasilien steht. Für den uninspirierten Fußball, mit dem die Seleção bei der Weltmeisterschaft 2014 das eigene Volk so schwer verärgert hatte. Tiefpunkt war damals jenes 1:7 im Halbfinale gegen Deutschland, als die Torcedores in Belo Horizonte die eigene Mannschaft im Allgemeinen auslachten und im Besonderen Fred auspfiffen. Den ungeschickten Mittelstürmer, der weniger Pässe gespielt hatte als Manuel Neuer und nur unwesentlich mehr gelaufen war. Dunga hatte ihn seit seinem Amtsantritt nach der Weltmeisterschaft kein einziges Mal nominiert, aber kurz vor der Abreise nach Chile fand sich der Name Fred dann doch als Nachrücker auf der Mannschaftsliste.

Seit der WM hat Brasilien zehn von zehn Spielen gewonnen

Dicke Luft herrscht vor dem ersten Turnierspiel der Brasilianer am Sonntag gegen Peru. Das liegt allerdings weniger an der Nominierungspraxis des Trainers denn an den ganz besonderen Umständen am Spielort. Temuco, das malerisch am Pazifik gelegene Städtchen, trägt zwar den Beinamen Belleza del Sur. Die Schönheit des Südens hat allerdings ein schweres Smogproblem und deswegen gerade den Notstand ausgerufen. Die brasilianischen Zeitungen veröffentlichen jeden Tag neue Fotos von der Dunstglocke rund um das Estadio German Becker. Und was nun die Personalie Fred betrifft: Es handelt sich beim nachrückenden Sportsfreund mit dem germanophilen Künstlernamen keineswegs um den stolpernden Angreifer Frederico Chaves Guedes vom FC Fluminense aus Rio de Janeiro. Sondern um Frederico Rodrigues de Paulo Santos, einen Mittelfeldspieler in Diensten von Schachtar Donezk. Einen der vielen aufstrebenden Nachwuchsspieler, die Dungas Vorgänger Luiz Felipe Scolari konsequent ignoriert hatte.

Es ist ein neues Brasilien, das unter Carlos Dunga heranwächst und jetzt bei einem großen Turnier fortsetzen will, was es zuletzt gezeigt hat: schönen Angriffsfußball und erfolgreichen dazu. Von zehn Spielen nach der WM hat Brasilien zehn gewonnen. Die Gegner waren nicht die schlechtesten, sie hießen unter anderem Argentinien, Frankreich und Kolumbien. „Was bei der WM passiert ist, können wir nicht mehr ändern“, sagt Carlos Dunga. „Es ist an uns, dafür zu sorgen, dass der brasilianische Fußball in Zukunft wieder so respektiert wird wie früher.“

Dunga darf sich bereits zum zweiten Mal als Nationaltrainer versuchen

Für Dunga ist es nach der missratenen WM 2010 in Südafrika die zweite Periode als Nationaltrainer. Interessanterweise vertrauten die Brasilianer die Trendwende zurück zum schönen Fußball einem Mann an, der zu seiner aktiven Zeit eher für schmuckloses Handwerk stand. Dunga hat lange beim VfB Stuttgart gespielt, und das in einer Zeit, als der deutsche Fußball nicht eben für Filigranität bekannt war. Mit eben dieser als typisch deutsch verschrienen Rigorosität geht er den Umbruch an. Von den elf Spielern, die sich vor einem Jahr in Belo Horizonte in den Untergang gegen Klose, Kroos und Co. gefügt hatten, zählen im Frühjahr 2015 sieben nicht mehr zum Kreis der Seleçao: Torhüter Julio César ist wie Fred zurückgetreten. Hulk kämpft nach auskurierter Verletzung um Anschluss, hat aber noch keine Minute unter Dunga gespielt. Maicon flog schon nach dem ersten Spiel des Neuanfangs wegen einer nicht näher definierten Disziplinlosigkeit aus der Mannschaft. Ramires, Bernard und der Münchner Dante spielen in den Plänen des neuen Trainers keine Rolle mehr.

Übrig geblieben sind David Luiz, Marcelo und der Wolfsburger Luiz Gustavo, der in Chile allerdings verletzungsbedingt fehlt, weil er sich im DFB-Pokalfinale gegen Borussia Dortmund das Knie verdrehte. Für ihn nominierte Dunga den anderen Fred nach. Dazu kommen der im Halbfinale gesperrte Thiago Silva und, über allen thronend und unumstrittenen: Neymar, der einzige Weltstar, den der brasilianische Fußball bei der Weltmeisterschaft zu bieten hatte. Von den 21 Toren, die Brasilien in den zehn Spielen unter Dunga erzielt hat, gehen acht auf das Konto des Stürmers vom FC Barcelona.

Zur Copa America flog Neymar nach den Feierlichkeiten im Anschluss an den Champions-League-Sieg von Berlin mit seinem Privatflugzeug ein. Beim 1:0 im letzten Testspiel gegen Honduras spielte er eine Halbzeit lang mit, allerdings mit recht bescheidenem Erfolg. Das einzige Tor schoss der Hoffenheimer Roberto Firmino, auch er ein Angehöriger der Fraktion, für die sich Scolari nicht interessiert hatte. Thiago Silva sprach über Firmino neulich den schönen Satz: „Dieser Junge ist ein Stern, der einmal sehr hell leuchten wird.“

Das Spiel soll besser werden und anmutiger - also brasilianischer

Neben Firmino strahlt unter Dunga auch der Stern von Philippe Coutinho, er trägt beim FC Liverpool das Trikot mit der Nummer 10 und wurde in dieser Saison von den Profis der Premier League in die Liga-Mannschaft des Jahres gewählt. Und dann ist da noch der Außenverteidiger Danilo, den Real Madrid gerade für 31,5 Millionen Euro vom FC Porto gekauft hat. Bei der Copa America fehlt er allerdings wegen einer im Testspiel gegen Mexiko erlittenen Stauchung des Sprunggelenks. Für ihn reiste ein wenig überraschend Dani Alves nach.

Nein, kein Namensdouble wie im Falle Fred, es ist wirklich der Verteidiger mit den täglich wechselnden Frisuren, der seit dem WM-Viertelfinale gegen Kolumbien nicht mehr im heiligen Gelb-Grün-Blau auflaufen durfte. Weil Alves aber zuletzt beim FC Barcelona groß aufgespielt hat, bekommt er in Chile eine neue Chance. In diesem Sinne war sich Dunga auch nicht zu schade, den schon 31 Jahre alten, aber immer noch mit begnadeten Füßen gesegneten Stürmer Robinho zu einem Comeback zu überreden.

Diese Nominierungen steht nur scheinbar im Gegensatz zur Aufbauarbeit des Trainers, denn für Carlos Dunga muss das neue Brasilien keineswegs jünger daher kommen als in der gar nicht so lange vergangenen Vergangenheit. Aber unbedingt anmutiger und besser, also – brasilianischer.

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