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Sport: Alte Bekannte

Hertha gegen Holstein Kiel, so hieß 1930 das Finale um die Deutsche Meisterschaft. Am Sonntag gibt es ein Wiedersehen

Von Stefan Hermanns

Der Junge hieß Fritz. Wie weiter, weiß Lutz Rosenzweig nicht mehr. Fritz konnte wegen eines Fußleidens nicht mitspielen. Aber Fritz war Fußballfan, und seine Eltern hatten ein Radio. Am 22. Juni 1930, einem Sonntag, saß Fritz davor, hörte die Übertragung aus Düsseldorf, während Lutz Rosenzweig mit seinen Freunden unten auf der Straße Fußball spielte. Es waren zunächst keine guten Nachrichten, die Fritz am Radio vernahm und die er seinen Kumpels auf der Straße mitteilte. Sein Lieblingsklub lag schon nach acht Minuten 0:2 hinten, aber dann nahm das Spiel doch noch eine glückliche Wendung. Am Ende hatte Fritz seinen Freunden fünf Tore für Hertha vermelden können und nur vier für Holstein Kiel. Hertha war Deutscher Meister. „Ein unbeschreiblich köstliches Gefühl der Freude und des Stolzes bewegt uns“, schrieb die „Fußballwoche“ damals.

Wenn Hertha am Samstag im DFB-Pokal gegen den Regionalligisten Holstein Kiel spielt, treffen gewissermaßen zwei alte Bekannte aufeinander. Sehr alte Bekannte. Doch während Hertha nach vielen dunklen Jahren inzwischen wieder zur nationalen Spitze gehört, sind die Kieler nie wieder dahin zurückgekehrt. Zu Kaisers Zeiten, 1912, wurden sie sogar einmal Deutscher Meister; in den Zwanzigerjahren schafften sie es immerhin noch regelmäßig in die Endrunde, doch als nach dem Krieg die Bundesliga gegründet wurde, blieben die Kieler draußen.

Der 22. Juni 1930 ist ein heißer Tag. 40 000 Zuschauer stehen auf den Rängen des Düsseldorfer Rheinstadions, darunter auch einige Hundert aus Berlin, die zum Teil mit Sonderzügen ins Rheinland gekommen sind. Doch sie sind schon deswegen in der Unterzahl, weil die Sympathien der neutralen Zuschauer dem Außenseiter aus Kiel gelten.

Beide Klubs hatten schon in den Jahren zuvor zweimal in den Endrundenspielen um die Deutsche Meisterschaft gegeneinander gespielt; beide Male gewann Hertha: 1927 im Halbfinale 4:2 und im Jahr darauf das Viertelfinale 4:0. Hertha war Ende der Zwanzigerjahre ungefähr das, was heute Bayer Leverkusen ist: der ewige Zweite. Zwischen 1926 und 1929 standen die Berliner viermal in Folge im Meisterschaftsfinale, und viermal haben sie es verloren: 1926 gegen Fürth (1:4), 1927 in Berlin gegen Nürnberg (0:2), 1928 gegen den HSV (2:5) und 1929 erneut gegen Fürth (2:3). In Düsseldorf gegen Holstein Kiel sieht es zunächst so aus, als solle es weitergehen wie gewohnt. Nach acht Minuten führt Kiel 2:0. „Trieb tatsächlich ein böser Kobold sein Narrenspiel mit unserer Hertha?“, schrieb die „Fußballwoche“. „Hatte er sie näher als in den vorangegangenen Versuchen an die heiß ersehnte Krone herankommen lassen, um sie in seinem teuflischen Vergnügen zurückzustoßen?“

Das Spiel geht hin und her. Nach 25 Minuten steht es 2:2 „durch zwei Prachttore“ von Hanne Sobek, dem vielleicht besten Fußballer, der je bei Hertha gespielt hat. Sobek war „der Führer, der Ratgeber, das Fußballgenie, das Hertha BSC in schwierigen Situationen immer von neuem so dringend brauchte“ („Fußballwoche“).

Lutz Rosenzweig hat 1939 einmal zusammen mit Sobek, dem Idol seiner Kindheit, für Hertha auf dem Platz gestanden. Rosenzweig war 18, Sobek 39. „Wenn Sobek spielte, war Hertha gut“, sagt Rosenzweig. So auch an jenem Sonntag im Juni 1930, beim Endspiel in Düsseldorf. „Wir waren eine verschworene Truppe, trotz aller vorangegangener Enttäuschungen durch nichts zu erschüttern“, hat Sobek später gesagt.

Als Lehmann Hertha zum ersten Mal 4:3 in Führung schießt, sieht es so aus, als sei das Spiel entschieden, doch Kiel schafft das 4:4. In der 82. Minute schickt der Schiedsrichter den Kieler Ritter nach einem harmlosen Gerangel vom Platz. Die Fans zürnten dem Schiedsrichter, doch „leider nahm das westdeutsche Publikum auch gegen uns Stellung“, schrieb Erich Fischer 1952 in einer Jubiläumsschrift. Die Kieler spielen jetzt wie gedopt, in der 87. Minute aber gelingt Hans Ruch mit seinem Tor zum 5:4 die Entscheidung. Hertha ist zum ersten Mal Deutscher Meister. „Kein Mensch im ganzen Stadion – die Kieler Fanatiker vielleicht abgerechnet – wird bestreiten, daß der Sieg der zweifellos besseren Mannschaft zugefallen ist“, schreibt die „Berliner Montagspost“. Doch bei der Fahrt aus dem Stadion wird der Bus der Herthaner mit Steinen beworfen.

Umso phänomenaler ist die Ankunft des neuen Deutschen Meisters in Berlin. „Kein Fürst ist je so empfangen worden“, erinnert sich Fischer 1952. Als die Spieler am Bahnhof Friedrichstraße ankommen, werden sie aus den Abteilen gehoben. Anschließend geht es im Triumphzug zu den Atlantic-Festsälen am Bahnhof Gesundbrunnen. Lutz Rosenzweig, damals neun Jahre alt, erinnert sich, dass nur ein Transparent dort hing: „Deutscher Meister“ steht darauf. „Für heutige Verhältnisse natürlich lächerlich“, sagt er, allerdings habe das der Zeit entsprochen. Auch die Meisterspieler, von denen Rosenzweig später einige kennen gelernt hat, „haben selten etwas erzählt“.

Heute stehen die alten Geschichten in den Vereinschroniken und die Erfolgsziffern im Briefkopf. Deutscher Meister 1930 und 1931. Im folgenden Jahr nämlich steht Hertha BSC wieder im Endspiel, gewinnt 3:2 gegen den TSV 1860 München. Es ist bis heute Herthas letzter Titel.

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