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Ailton

© dpa

KFC Uerdingen: Ailton: Der Heilsbringer

Der ehemalige DFB-Pokalsieger Uerdingen dümpelt in der sechsten Liga vor sich hin. Als Zugmaschine für die Rückkehr zu altem Glanz setzt der Klub auf den alternden Ailton. Der Brasilianer bereitet sich jetzt auf Gegner wie den SV Hönnepel-Niedermörmter vor.

Werner Seel kann wirklich nichts Schlechtes über Ailton sagen. Nicht dass ihr Kontakt bisher besonders intensiv gewesen wäre. Am Samstag hat sich Ailton bei Seel an der Bude einen Kaffee geholt. Das war’s. Der KFC Uerdingen bestritt gerade sein letztes Testspiel vor dem Rückrundenstart, und Ailton, der neue Star des Klubs, schaute den Kollegen bei der Arbeit zu. „Er macht ’nen netten Eindruck“, sagt Seel. „Ist zumindest nicht arrogant und hochnäsig.“ Und? Hat er den Kaffee selbst bezahlt? „Wüsste nicht, warum er den umsonst kriegen sollte.“

Der Zufall hat zwei Menschen zusammengeführt, die eigentlich nicht zusammen passen: den brasilianischen Fußballer Ailton Goncales da Silva, 36 Jahre alt, Meister und Pokalsieger mit Werder Bremen, Torschützenkönig und Fußballer des Jahres. Und Werner Seel, 56, beschäftigt bei der Deutschen Bahn. Für anderthalb Jahre hat Ailton beim KFC unterschrieben; Seel braucht keinen Vertrag, er hat sowieso lebenslänglich. Seit 1974 ist er Vereinsmitglied, er sitzt im Verwaltungsrat und ist für die Mitgliederbetreuung zuständig. Ailton und Werner Seel – KFC sind sie jetzt beide.

„Ganz Deutschland lacht“, hat Ailton bei seiner Vorstellung gesagt. Dass er jetzt für Uerdingen spielt, hört sich in der Tat wie ein Scherz an, und genau so hat es auch angefangen. Geschäftsführer Lutz Spendig, eigentlich Werder-Fan, hat den Namen Ailton irgendwann einmal fallen lassen: „Das war nur so ein Gag von mir.“ Mit der Reaktion des KFC-Präsidenten Agissilaos Kourkoudialos konnte ja auch niemand rechnen: „Ja, super.“

Ailtons Vertrag in China war gerade ausgelaufen, ein flüchtiger Bekannter von Kourkoudialos stellte den Kontakt her, und der Brasilianer schien tatsächlich interessiert zu sein. „Presidente, Körper gut“, sagte er am Telefon. Nicht für die Erste Liga, nicht für die Zweite. „Aber Dritte Liga – keine Problem!“ Dritte Liga? Der Vermittler hatte Ailton ein wesentliches Detail verschwiegen. Der KFC spielt nicht in der Dritten Liga. Er spielt in der sechsten. Am Ende war selbst das okay. Ailton sagt, er hätte auch nach Australien gehen können. Oder nach Katar. „Aber was soll ich in der Wüste?“

In der Wüste friert es wenigstens nicht. Es ist sechs Uhr am Abend, der KFC trainiert auf dem Kunstrasenplatz neben der Grotenburg. Ailton trägt silbergraue Fußballschuhe, lange Trainingshose, einen Handschuh links und eine Manschette rechts. Zu Hause in Brasilien hat er sich mit seinem Cousin gestritten. Eine Glasvitrine ging kaputt und eine Sehne in Ailtons Hand. Jetzt aber trainiert er wieder. Vier Runden um den Platz zum Aufwärmen, dann Dehnen, anschließend noch eine Runde in verschärftem Tempo. Ailton versucht den Anschluss zu halten, auf den letzten Metern wackelt sein Oberkörper bedenklich hin und her.

Es sind nur noch zwei Tage bis zu Ailtons Debüt in der Niederrheinliga, Heimspiel gegen den 1. FC Wülfrath. Wenigstens ein paar Minuten soll er auflaufen. Am nächsten Tag wird die Partie abgesagt. Es hat geschneit, der Boden ist gefroren, der Platz unbespielbar. Kourkoudialos, den alle nur Lakis oder Herr Lakis nennen, hat es gerade am Telefon erfahren. „Das ist das, was wir eigentlich nicht wollten“, sagt der 43-Jährige. „Alles wartet.“ Ein Gewerbegebiet in Neuss, eines wie viele: Autobahnanschluss in der Nähe, ab vier werden die Parkplätze am Straßenrand wieder frei. Die Immobilienfirma des KFC-Präsidenten hat hier ihren Sitz. Noch. Am nächsten Tag will Lakis ein Haus in Krefeld kaufen, in drei Wochen soll die komplette Firma umziehen. Der Unternehmer ist ein Mann schneller Entschlüsse. Das war auch vor zwei Jahren so, als er den KFC vor der Insolvenz gerettet hat.

Durch die Medien war Lakis damals auf die Fan-Initiative zur Rettung des Vereins aufmerksam geworden. Das fand er rührend, obwohl er nicht den geringsten Bezug zum KFC hatte. An einem nasskalten Januarabend fuhr Lakis in die Grotenburg, 7112 Zuschauer waren zum Retterspiel gegen den MSV Duisburg gekommen, und als das Vereinslied gespielt wurde – Blau und Rot, deine Farben, KFC –, bekam Lakis eine Gänsehaut. „In der Sekunde war mir klar, dass ich das machen muss.“

Über Geld will er nicht reden, aber eine Million dürfte Lakis schon in den KFC gesteckt haben. Allein in diesem Winter sind acht Spieler gekommen, davon neben Ailton vier weitere (Ersan Tekkan, Erhan Albayrak, Christian Alder und Kosi Saka) mit Erstligaerfahrung. Die Mannschaft muss aufsteigen, und das nicht nur einmal. Der Plan des Präsidenten sieht vor, dass der KFC in fünf Jahren in der Dritten Liga spielt. „Es gibt nichts, was hier sechste Liga ist“, sagt Lakis. „Weder das Stadion noch die Strukturen noch die Mannschaft.“

Auf dem Konferenztisch in seinem Büro liegt ein Wimpel von Bayer Uerdingen: Deutscher Pokalsieger 1985. Lakis hat die Rarität kurz nach seinem Einstieg beim KFC geschenkt bekommen. Auf dem Wimpel haben die Helden von einst unterschrieben. Ein paar Autogramme sind noch fett und schwarz nach all den Jahren. Die meisten aber sind längst verblasst. 25 Jahre ist das jetzt her. „Das war die schönste Zeit“, sagt Werner Seel. Im Jahr nach dem Pokalsieg spielten die Uerdinger im Europacup gegen Dynamo Dresden. Nach dem 0:2 im Hinspiel lagen sie im Rückspiel zur Pause 1:3 zurück. Seel war einer von denen, die nach der ersten Halbzeit gegangen sind. Am Ende siegte Bayer 7:3. Werner Seel hat davon nichts mitbekommen: „Ich war so sauer, dass ich nicht mal das Radio angemacht habe.“

Die Gegner in der Grotenburg heißen jetzt nicht mehr Bayern München oder FC Barcelona, sondern SV Hönnepel-Niedermörmter und SC Kapellen-Erft. Der Absturz begann 1995 mit dem Rückzug der Bayer AG. Aus Bayer 05 wurde der KFC. Seitdem hat der Klub nur noch Abstiege erlebt. Der letzte war der schlimmste. Durch die Ligareform musste der KFC gleich zwei Klassen runter. „Da habe ich gestandene Männer heulen sehen“, sagt Werner Seel. Und er selbst? „Na ja, der Lustigste war ich nicht.“

Zwei Tage vor dem geplanten Debüt Ailtons. Ein Gespräch am Trainingsplatz:

„Gegen wen spielen die?“

„Wülfrath.“

„Sind die gut?“

„Keine Ahnung.“

Knapp fünftausend Zuschauer sollten zu Ailtons erstem Spiel kommen, vier Fernsehsender hatten sich angesagt. Geschäftsführer Spendig erzählt, dass das DSF nächsten Monat das Krefelder Lokalderby gegen Fischeln sogar live übertragen wolle. Nur beim DSF wissen sie davon noch nichts. Trotzdem: Die Welle, auf der die Uerdinger gerade surfen, kommt ihnen gewaltig vor. KFC 2.0 nennen sie das. Der Boom nach dem Crash.

Werner Seel kann damit vermutlich wenig anfangen. Für ihn ist der KFC kein Start-up-Unternehmen. Der Klub ist seine Familie und die Grotenburg „unser Wohnzimmer“. Seine Frau betreibt seit dem Sommer das „Café zur Grotenburg“ unter den Betonstufen der Südtribüne. Café ist etwas übertrieben, Kiosk würde es besser treffen. Oder Büdchen, wie man am Niederrhein sagt. Der Pott Kaffee kostet einen Euro, Bratwurst einsfuffzich.

Bei der Arbeit wird Seel jetzt wieder häufiger gefragt, was denn in Uerdingen los sei. Im Dezember klebten die Leute an den Scheiben zum Business-Club in der Grotenburg. Unten, in einer besseren Kellerbar, saßen Ailton und Präsident Lakis, vor laufenden Kameras haben sie den Vertrag unterschrieben. Für Uerdingen war es wie eine Rückkehr auf die große Bühne. Auf der Internetseite des KFC kann man nachlesen, was die Zeitungen in aller Welt geschrieben haben: „A hatodosztályban folytatja a korábbi Bundesliga-gólkirály” zum Beispiel. Oder: „Doelpuntenmachine naar regioclub“.

Ein Trainingsspiel, elf gegen elf. Ailton führt den Anstoß aus. Er tritt einen Freistoß, scharf und mit Effet in den Strafraum, dann schlägt er eine Ecke vors Tor. Der Ball wird abgefangen. Der Gegner kontert. Als auf der anderen Seite das Tor fällt, ist Ailton gerade auf Höhe der gegnerischen Sechzehnmeterlinie angelangt. Nach einer Stunde ist Schluss. Die Mannschaft trabt aus, Ailton läuft in die Kabine.

Werner Seel sagt, man könne geteilter Meinung sein über das, was gerade beim KFC passiert, aber „wenn man aufsteigt, hat man alles richtig gemacht“. Der Präsident musste sich vor kurzem von kritischen Fans fragen lassen, ob er statt Ailton nicht besser drei gestandene Drittligaspieler geholt hätte. Das eine tun, ohne das andere zu lassen, hat Lakis geantwortet: „Ailton war die Zugmaschine.“ Der Beweis, dass der KFC es wirklich ernst meint. Jemanden wie Ersan Tekkan, 25 Jahre alt, der mit Mario Gomez und Lukas Podolski in der U-19-Nationalmannschaft gespielt hat und zuletzt in der ersten türkischen Liga, hätte man doch sonst gar nicht bekommen. „Nur Ailton wäre eine Riesengefahr“, sagt Präsident Lakis. „Da könnten wir uns sogar lächerlich machen.“

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