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© Foto: Éditions Delcourt Carlsen Verlag GmbH 2022

Sachcomic zu Desinformation und Falschmeldungen: Mit Donald Trump im Wunderland

Der Sachcomic „Glauben Sie an die Wahrheit?“ analysiert kompetent Verschwörungstheorien und Desinformations-Kampagnen – wenn auch mit einigen Schwächen.

Von Thomas Greven

Der deutsche Titel dieses Comics spielt schön mit einem logischen Gegensatz: „Glauben Sie an die Wahrheit?“ (Übersetzung Christiane Bartelsen, Carlsen, 176 S., 22 €). Doch der von Doan Bui und Leslie Plée unternommene Versuch, eine Ehrenrettung des professionellen Journalismus gegenüber den „Fake News“, scheitert am Ende zumindest teilweise.

„Fake News“, die manipulierten Falschmeldungen, machen ihren Erstellern wenig Mühe, weil sie anders als professionelle Journalisten keinerlei Rechercheaufwand betreiben müssen. Dies zu kritisieren ist richtig und wichtig, gerade für die jugendlichen Leser, für die das Buch mit seinem cartoonigen, teils gezwungen lustigen Stil vor allem bestimmt ist. Medienkompetenz ist ein Schlüssel zur Rettung der Demokratie und der liberalen Gesellschaft vor autoritären Lügnern, und die Autoren geben hilfreiche Tipps zur Bewertung medialer Angebote.

Eine weitere Seite aus „Glauben Sie an die Wahrheit?“.

© Foto: Éditions Delcourt Carlsen Verlag GmbH 2022

Doch konterkarieren sie ihr löbliches Ansinnen, weil sie es bei ihrer Recherche an Sorgfalt missen lassen. Zwei Beispiele: Der Vorwurf der sogenannten Birthers, dass Barack Obama nicht in den USA geboren sei und deshalb nicht Präsident werden könne, ging darauf zurück, dass die Familie seines Vaters – und nicht seiner Mutter, wie es im Buch fälschlich heißt – aus Kenia stammt. Und mit „Bobos“- der „bourgeois-bohème“ – Angehörige der „mittleren Oberschicht“ zu bezeichnen, scheint doch reichlich verkürzt.

Mit solchen Nachlässigkeiten macht man es jedenfalls denen leicht, die wie Donald Trump den Vorwurf der „Fake News“ herumdrehen und ihn pauschal als Kampfbegriff gegen jegliche unliebsame Berichterstattung verwenden – selbstredend wiederum ohne jeden Recherche- und Argumentationsaufwand.

Insgesamt muss man dem Verlag die Frage stellen, ob sich ein sehr stark vom französischen Kontext dominiertes Buch wirklich für junge deutsche Leser eignet. Die vielen aus dem anglo-amerikanischen Raum stammenden Referenzen, vor allem zu „Alice im Wunderland“ und zur Kaninchenhöhle als Symbol für das Abdriften in Verschwörungsmythen, mögen noch verständlich sein – auch da bin ich insbesondere bei manchen grafischen Anspielungen nicht ganz sicher.

Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Carlsen

Aber bei den unkommentierten Verweisen zum Beispiel auf Marie Antoinettes angebliche Sexsucht, die schon genannten „Bobos“, die „Schulen mit spezieller Ausrichtung“ – mutmaßlich anthroposophisch –, die Jungfrau von Orléans und Léon Blum muss man skeptisch sein. Zudem mangelt es an einigen Stellen an sprachlicher Sorgfalt. Auch das macht es den politischen und kommerziellen Profiteuren von „Fake News“ leicht, die Kritik zu ignorieren. Wenn beispielsweise Joe Biden als Präsident „eingesetzt“ wird, klingt das zumindest dubios.

Bei aller Kritik soll aber nicht vergessen werden, dass im Buch viele wichtige Phänomene des um sich greifenden Verschwörungs- und Desinformationswahnsinns vorgestellt und kompetent diskutiert werden: Die „Truther“, die den Opfern von Waffengewalt vorwerfen, „Krisenschauspieler“ zu sein, angeheuert von Waffenbesitzgegnern. Die Anhänger der „Theorie“, dass die Erde flach ist. Die Logik der Algorithmen, die wie eine Aufmerksamkeitsdroge wirken. Die Mechanismen unserer Psyche, die dazu führen, dass wir vieles schlicht gerne glauben wollen und dass sich Gerüchte und Beleidigungen schneller verbreiten als solide Informationen. Die „Fake News“-Fabriken demokratiefeindlicher Mächte wie Russland. Der geistige Unrat, der unter dem Stichwort „alternative Fakten“ von Populisten und Extremisten produziert und verbreitet wird, um die öffentliche Diskussion zu überfluten. Impfgegner, Wahlsiegleugner, Klimaskeptiker, Antisemiten, Internetschwindler, sie alle bekommen ihr Fett weg.

Gut so! Und auch der etwas flapsige Stil des Buches hat seine Vorteile. Die mit schnellem Strich schwarz-weiß gezeichneten Seiten treiben den Leser abwechslungsreich und flott durch die teils komplexe Materie. Nur bleibt einem dann und wann das Lachen (eher: das Schmunzeln) im Halse stecken. Angesichts der großen Bedrohung für die amerikanische Demokratie ist das Bild eines Donald Trump, der sich am „resolute desk“ des Oval Office festklammert, nur begrenzt lustig.

Der Mangel an Medienkompetenz ist eine große Herausforderung für Demokratien und liberale Gesellschaften – weil ihre Offenheit, Pluralität und die Demokratisierung der Medienangebote durch Internet und soziale Medien es den Feinden von Liberalität und Demokratie leicht machen. Dass es dafür keine einfachen Lösungen gibt, kann man den Autoren kaum zum Vorwurf machen. Der Hinweis darauf, zum Beispiel Bildern nicht einfach zu trauen, weil sie technisch gefälscht oder anderweitig manipuliert werden können, ist wichtig.

Nur steht der Zweifel eben auch am Beginn jeder verschwörungsmythologischen „Karriere“. Wo ist die Grenze zwischen „gesunder Skepsis“ und dem Eingang des Kaninchenbaus? Das weiß man auch nach der Lektüre nicht.

Unser Autor Thomas Greven ist Redakteur bei den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ und Privatdozent für Politikwissenschaft am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin.

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