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Günter M. Ziegler. Der Autor ist Präsident der Freien Universität Berlin. Foto: D. Ausserhofer

© Foto: David Ausserhofer

Präsidentenkolumne: Freiheit der Wissenschaft heute

Der Präsident der Freien Universität Berlin zur aktuellen Ausgabe der FU-Beilage.

Ich war naiv: „Freiheit“ habe ich als Nachkriegswestdeutscher lange für eine Selbstverständlichkeit gehalten – genauso selbstverständlich wie Einigkeit und Recht, die auch im Text der deutschen Nationalhymne erwähnt werden. Irritationen kamen aus der Literatur, etwa als ich als Gymnasiast bei Marie Luise Kaschnitz von der Angst las, ob wir nicht doch noch „bei dem Wort Freiheit weinen müssen (…) steht noch dahin“.

Weinen hilft nicht, das ist auch nicht Aufgabe und Rolle der Universität. Über Freiheit nachzudenken, über sie zu diskutieren und zu schreiben, das ist die Aufgabe ihrer Mitglieder. Unser Modell von liberaler Demokratie zur Diskussion zu stellen und aus den Perspektiven von Geschichte, Ökonomie, Politik- und Sozialwissenschaften zu hinterfragen, wie dies etwa im Exzellenzcluster „Contestations of the Liberal Script“ (SCRIPTS) mit großer Energie geschieht. Denn Freiheit und Liberalität und Demokratie stehen zur Disposition, sie sind gefährdet, werden angegriffen und infrage gestellt, nicht nur anderswo, sondern auch in neuen aufgeheizten Debatten in Deutschland – und all das noch mehr und akuter als vor fünf Jahren, als der Cluster konzipiert wurde. Das ist ein Thema für die Universität, allemal für die Freie Universität, die die Freiheit in ihrem Namen trägt.

Es ist natürlich kein Zufall, dass im selben Artikel 5 des Grundgesetzes, der im ersten Absatz die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit schützt, im dritten Absatz die Freiheit von Forschung und Lehre garantiert wird – und damit auch der Wissenschaft ein Auftrag erteilt und große Verantwortung übertragen werden. Daraus folgt viel, alles nicht ganz selbstverständlich und alles nicht uneingeschränkt: Nämlich die Universitäten in Forschung und Lehre offen und funktionsfähig zu halten (auch in Corona- und in Energiekrise-Zeiten), die Universitäten zu finanzieren (und zwar so, dass sie nicht unfreier und immer abhängiger von Drittmitteln werden) und die Autonomie der Hochschulen zu gewährleisten (die in Berlin besser umsetzbar wäre, wenn die Hochschulen selbst das Berufungsrecht ausüben könnten, auch keine Detailsteuerung aus Politik und Verwaltung fürchten müssten). Da ist in Berlin noch Luft, und dafür wird sich auch die Freie Universität einsetzen.

Seien wir gespannt, was uns die Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer dazu „ins Stammbuch schreibt“: Sie spricht beim Ernst-Reuter-Tag, am 2. Dezember um 16 Uhr, zur Einleitung des 75. Jubiläumsjahres der Freien Universität Berlin im Jahr 2023 über „Nicht nur libertas und veritas, auch iustitia. Zur Freiheit der Wissenschaft heute“.

Für den Inhalt dieses Beitrags ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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