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Mauerbau-Jubiläum 1961. Hubert Hohlbein, als Taucher 1963 von Potsdam nach West-Berlin geflohen

© privat Hohlbein

Schnorchelnd in den Westen: Wie ein Potsdamer aus der DDR floh

Einer, dem damals die Flucht in den Westen gelang, war Hubert Hohlbein. Der 81-Jährige wird bei der Gedenkveranstaltung zum 62. Jahrestag des Mauerbaus zum Ort seiner Flucht zurückkehren.

Von Alicia Rust

Als Hubert Hohlbein am späten Abend des 21. Novembers 1963 ins Wasser stieg, war es dunkel und bitterkalt. Der 21-Jährige, der mithilfe eines eingeweihten Freundes am Ufer des Jungfernsees in einen Taucheranzug schlüpfte, um mit einem schweren Bleigürtel um den Bauch in den Westen zu schnorcheln, hatte anderthalb Jahre für diesen Augenblick trainiert.

„Für die Flucht hatten wir extra windiges bis stürmisches Wetter ausgesucht, damit die Wasseroberfläche nicht so glatt war“, erinnert sich der 81-Jährige. Um nicht die Orientierung zu verlieren, diente ihm der Fernsehturm sowie die hell erleuchtete Glienicker Brücke als Markierung.

Das Ufer auf der Westseite

Hatte er große Angst? Hohlbein verneint. „Als ich endlich im Wasser war, hieß es für mich nur noch, irgendwie durchkommen, für Angst bin ich ohnehin der falsche Ansprechpartner“, so Hohlbein, die bringe einen nicht weiter. Während er sich bemühte, mit dem Körper immer schön unter Wasser zu bleiben, damit ihn niemand entdeckte, konzentrierte er sich auf sein Ziel: das Ufer auf der Westseite. Rund anderthalb Stunden dauerte die nächtliche Flucht durch das eiskalte Wasser.

„Als ich im Westen ankam, lief ich als erstes zur Glienicker Brücke“, erinnert sich Hohlbein. Dort hatte er Kenntnis von einer Polizeistation. „Die versorgten mich mit einer warmen Decke und heißem Tee“, sagt Hohlbein. Dann wurde ein Krankenwagen gerufen, allerdings ohne Blaulicht. Auf der anderen Seite der Glienicker Brücke sollte die Flucht schließlich unbemerkt bleiben.

Nachdem die Mauer da war, fühlte ich mich eingesperrt, ich wollte nicht länger in diesem Staat leben

Hubert Hohlbein (Zeitzeuge)

Was ist in dem jungen Man vorgegangen, der niemandem außer seiner vierköpfigen Tauchertruppe von seinem Vorhaben erzählen durfte, weil überall Spitzel lauerten? Der seine Familie verlassen musste und sein Leben für die Freiheit riskierte? Nicht einmal die eigene Mutter, die zu diesem Zeitpunkt bereits verwitwet war, habe von der Tat gewusst, sagt Hohlbein. Allenfalls habe sie etwas geahnt.

„Nachdem die Mauer da war, fühlte ich mich eingesperrt, ich wollte nicht länger in diesem Staat leben“, sagt Hohlbein. Vor dem 13. August hatte sich der Unternehmersohn frei zwischen dem Ost- und dem Westteil Berlins bewegt. „Ich war oft im Westen“, sagt Hohlbein. „Ich habe immer beide Währungen in getrennten Hosentaschen mit mir getragen.“ Plötzlich war Schluss damit. Stacheldrahtverhaue wurden ohne Vorwarnung in einer nächtlichen Aktion von Soldaten der Nationalen Volksarmee gegen eine rund zwei Meter hohe Mauer ausgetauscht. Ost und West waren für die darauffolgenden 28 Jahre geteilt.

Die Sektorengrenze nach West-Berlin und der Berliner Außenring wurden hermetisch abgeriegelt. Und die Stadtgrenze von Potsdam zu West-Berlin war plötzlich eine hochgesicherte Staatsgrenze. Hinzu war es zunehmend zu einer Art Gleichschaltung unter der Bevölkerung gekommen, Teile der Gesellschaft im Osten fanden sich scheinbar mit ihrem Schicksal ab. Nicht so die Hohlbeins. Während seine Eltern noch auf eine Veränderung gehofft hatten, plante der junge Hubert bereits seine Flucht. Schon aufgrund des familiären Umfelds war er aufgefallen.

Eine Unternehmerfamilie im Osten

Eine Unternehmerfamilie im Osten, die Mutter hatte bis zu ihrer Flucht ein kleines Kolonialwarengeschäft nebst einer kleinen Spedition betrieben. Folglich musste sich der junge Hohlbein einiges anhören. „Ich war auch nie in den jungen Pionieren oder bei der FDJ“, sagt Hohlbein, das habe man ihn deutlich spüren lassen. „Wenn ich irgendwo hinkam, hieß es zum Beispiel: Ah, da kommt ja unser Kapitalisten-Sohn!“ Heute würde man vermutlich von Mobbing sprechen, sagt Hohlbein und lacht. „Meine Flucht und später auch die Hilfe bei der Flucht von anderen war sicher meine Art der Rache an diesem Unrechtsregime“, sagt Hohlbein heute über seine mutigen Aktionen.

Mauerbau-Jubiläum 1961. Hubert Hohlbein, als Taucher 1963 von Potsdam nach West-Berlin geflohen
Mauerbau-Jubiläum 1961. Hubert Hohlbein, als Taucher 1963 von Potsdam nach West-Berlin geflohen

© privat Hohlbein

Meine eigene Flucht und auch die Hilfe bei der Flucht von anderen war meine Art der Rache an diesem Unrechtsregime

Hubert Hohlbein (Zeitzeuge)

Vom Republikflüchtling zum Fluchthelfer

Nach seiner geglückten Flucht wurde Hohlbein selbst zum Fluchthelfer. Rund 57 Menschen verhalf er nur ein Jahr darauf über einen selbst gegrabenen Tunnel zur Flucht in den Westen, darunter auch die eigene Mutter, doch das ist eine andere Geschichte.

Die Teilung Deutschlands forderte zahlreiche Todesopfer. Über 40 000 Menschen gelang dennoch nach dem Bau der Mauer die Flucht in den Westen. Allein in Berlin schafften es 5000 Menschen über oder durch die gefährlichen Sperranlagen. Dass Hohlbein als einer von ihnen war, macht ihn heute zu einem gefragten Gesprächspartner. Insbesondere für die jüngeren Generationen, die die deutsch-deutsche Geschichte allenfalls vom Hörensagen kennen.

„Es gibt viele Wissenslücken über diese Zeit“, sagt der Zeitzeuge. Deshalb mache er das ja auch. Aber was für einen Rat hat er für die jungen Menschen heute? „Mein Rat wäre, wach zu bleiben, sich nicht mit anderen gemein zu machen. Eine Haltung zu haben und sich auch nicht so schnell einschüchtern zu lassen“, sagt der 81-Jährige.

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