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Potsdam-Mittelmark: Raubritter, Mörder – Patrioten?

Vor 600 Jahren betraten die Hohenzollern die märkische Bühne. Die Quitzows haben seitdem ein Image-Problem

Potsdam-Mittelmark – Kurz vor Weihnachten kam der Quitzow über Töplitz. „Mit Raub und mit Brand“ fielen die Männer in das kleine Dorf bei Werder ein und sorgten für erheblichen Schaden. So ungefähr schildert es der Lehniner Abt Heinrich Stich am Anfang des 15. Jahrhunderts in seinen Erinnerungen. Auch über Schmergow, Trechwitz und weitere Dörfer zwischen Havel und Zauche soll die Truppe hergefallen sein und dabei Pferde, Schweine, Schafe und Rinder gestohlen haben. Die Angriffe richteten sich gegen das Zisterzienserkloster Lehnin, zu dessen Besitz die Orte gehörten. Denn Hans von Quitzow lag schon seit geraumer Zeit mit den Mönchen im Clinch.

Dass dieser Streit mit Waffen ausgetragen wurde, war alles andere als gesetzwidrig, meint der Historiker Clemens Bergstedt. Die Fehde, sagt er, sei kein Selbstzweck gewesen, sondern gängiges Mittel, einen Rechtsstreit auszutragen. „Die Quitzows haben sich an die damaligen Regeln gehalten“, so der Experte, der das Museum in der „Bischofsresidenz Burg Ziesar“ leitet. Zurzeit arbeitet er an einer Ausstellung über das Prignitzer Adelsgeschlecht und deren Darstellung in der Landesgeschichte. Die sei böse überzeichnet, meint er. Anlass ist ein Jubiläum, das eher indirekt mit den Quitzows zu tun hat: Vor 600 Jahren, am 8. Juli 1411, wurde der Nürnberger Burggraf Friedrich VI. zum Landeshauptmann über die Mark Brandenburg ernannt. Mit ihm kam der erste Hohenzoller ins Land – und traf auf eine breite Opposition hiesiger Adeliger wie Hans und Dietrich von Quitzow.

Wohl niemand ist so eng mit dem Bild des märkischen Raubritters verbunden wie diese beiden Brüder. Dabei befanden sie sich in bester Gesellschaft: Auch die Maltiz’ aus Trebbin plünderten Dörfer, auch die Pommernherzöge verheerten die Mark. Sogar der Erzbischof von Magdeburg vergaß bisweilen die christliche Nächstenliebe und fiel über seine Nachbarn her. Und die Rochows? Die sollen auf dem Räuberberg bei Phöben gelauert haben, um von dort aus Handelskähne zu überfallen. Nachdem 1320 die Askanier ausgestorben waren und Brandenburg erst bayerisch, dann böhmisch wurde, fehlte es an einer Autorität, der sich Adel, Klerus und Städte untergeordnet hätten.

Die Quitzow-Brüder liebäugelten mit dieser Rolle. Immerhin hatten sie durch wechselnde Bündnisse und die Eroberung diverser Burgen ihre Macht ausgebaut. So sollen sie im bitterkalten Winter des Jahres 1407 auch die Burg Saarmund mit Gewalt an sich gebracht haben. Die Grenzfestung zum Teltow hatte Jobst von Mähren erst kurz zuvor an den Markgrafen von Meißen verpfändet. Solche Deals waren symptomatisch für den Ausverkauf der Mark durch ihre auswärtigen Herrscher, die sich selbst kaum blicken ließen.

Und dennoch war längst nicht jeder auf Seiten des heimischen Adels – so wie die Lehniner Mönche. Der Streit mit Hans von Quitzow ging zurück auf die Frage, wem die Havel bei Plaue gehörte: Dem Adligen, der 1400 durch Heirat Herr über die dortige Burg geworden war, oder dem Kloster, das eine über hundert Jahre alte Besitz-Urkunde vorweisen konnte? Der Quitzow führte darüber einen Gerichtsprozess – und er verlor. Abt Heinrich zahlte seinem Kontrahenten zwar trotzdem ein hohes Friedensgeld, der Groll aber blieb. Und nun schlug die Geistlichkeit zurück: Nicht mit dem Schwert, sondern mit der Feder.

Der Schreiber Engelbert Wusterwitz, der den Prozess begleitete und nicht gut auf den Adel zu sprechen war, schrieb eine Chronik und betonte darin vermeintliche und tatsächliche Untaten sowie das „boshaftige Gemüt“ der Quitzows. Wusterwitz ist heute eine der wenigen Quellen, die aus jener Zeit überliefert sind. Die Geschichtswissenschaft hat ihm gezwungenermaßen den Anspruch auf Allgemeingültigkeit eingeräumt. Seine Schilderungen boten Jahrhunderte später den Stoff für eine beispiellose Image-Kampagne.

Denn als Deutschland 1871 zur Nation wurde, geschah das nicht durch Wahlen, sondern mit „Eisen und Blut“, so wie Bismarck es wollte. Die Hohenzollern, plötzlich Träger der Deutschen Kaiserkrone, mussten auf anderem Wege legitimiert werden – und zwar durch die Betonung ihrer dynastischen Wurzeln und einer historischen Mission. Den Quitzows wurde die Rolle des Bösen übergestülpt. Wissenschaftler, Politiker, Bürger strickten fleißig mit an der Legende vom ersten Friedrich, der die Mark von den Raubrittern befreite und nach Anarchie für Ordnung sorgte. Denkmäler wurden gebaut, patriotische Schriften herausgegeben und die bildende Kunst in die Pflicht genommen. Allseits bekannt sind die Zeichnungen, auf denen Hans von Quitzow aus der Burg Plaue geführt wird, oder Friedrichs Truppen 1414 mit der „Faulen Grete“ Dietrichs Feste Friesack sturmreif schießen.

„Ich habe allein sechs Theater-Stücke gefunden“, sagt Clemens Bergstedt. Das wohl bekannteste ist der Schwank „Die Quitzows“ von Ernst von Wildenbruch. Die Leute lechzten danach: Im Berliner Schauspielhaus wurde er bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 300 Mal aufgeführt. Auch Karl May stellte seine Feder in den Dienst der Sache. In dem Roman „Der beiden Quitzows letzte Fahrt“ schildert er, wie Dietrich aus Friesack flieht, feige den Sohn des Landesherrn entführt, in bester Wild-West-Manier einen Überfall auf einen Geldtransport plant – und schließlich in einer Schlacht sein Leben lässt.

Tatsächlich aber soll er nach seiner Flucht in der Mittelmark weiter gewütet haben. Niemegk, Wittbrietzen, Schönefeld, sie alle wurden von ihm überfallen, wenn man den Überlieferungen glaubt. Der Ausbruch der Pest bewahrte immerhin die Beelitzer davor, dass er auch an ihre Tore klopfte. Drei Jahre später starb Dietrich krank und geschwächt. Sein Bruder erkannte die Hohenzollern-Herrschaft an – und tat das, was er am besten konnte: Für Friedrich zog er gegen die Stadt Hamburg, bevor er 1437 starb.

Bis auf ihren schlechten Ruf ist nicht viel geblieben von den märkischen Quitzows. Die direkten Nachfahren sind ausgestorben, lediglich eine Nebenlinie hat sich gehalten – in Schweden. Mit dem Malmöer Jura-Professor Carl Michael von Quitzow steht Bergstedt in Kontakt. Exponate aus dem Familienfundus, Wappen, Portraits, Dokumente und Kunstwerke sollen das Bild vom bösen Raubritter aufbrechen helfen. Dabei muss man gar nicht so weit gehen wie Heimathistoriker aus der Prignitz, welche die Quitzows heute als Patrioten feiern, die „gegen den Nürnberger Tand“ zu Felde zogen. Er wolle nur Skepsis wecken gegenüber traditionellen Bildern, sagt Bergstedt, mögen sie auch noch so plausibel klingen.

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