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Der Prozess steht kurz vor dem Abschluss.

© dpa

Prozess am Potsdamer Amtsgericht: Echte Schläge oder Verleumdungskampagne?

In einer amtlichen Mädchen-WG in Wilhelmshorst soll es mehrfach Prügel und Psychoterror gegeben haben. Die angeklagte Betreuerin bestreitet das aber vor dem Potsdamer Amtsgericht - und sieht sich selbst als Opfer.

Michendorf - War Brigitte F.* einfach nur eine ganz besonders strenge Pädagogin? Eine, die es schaffte, Mädchen zu disziplinieren, die als hoffnungslose Fälle galten? Und die jetzt Opfer einer Verleumdungskampagne dieser Mädchen ist? Oder hat sie den Bogen tatsächlich überspannt? Hat sie durch Psychoterror und Schläge ein Klima der Angst im „Haus für junge Mädchen und Frauen“ in Wilhelmshorst erzeugt, einer früheren Jugendhilfeeinrichtung mit acht Bewohnerinnen? Im Potsdamer Amtsgericht war am Montag von einem „schwierigen Fall“ die Rede.

Brigitte F. wird als Betreiberin und Chefin der ehemaligen Mädchen-WG Körperverletzung im Amt in zwölf Fällen und zweifache Nötigung vorgeworfen. Sie soll die ihr Anvertrauten an den Haaren und der Nase gepackt, geohrfeigt, geschubst haben. Häufig seien Bewohnerinnen dabei verletzt worden, heißt es in der Anklage. Es geht um Vorgänge aus den Jahren 2010 bis 2014, zu denen am Montag fünf frühere Bewohnerinnen aussagten – als Betroffene oder Augenzeuginnen. Es soll zwei weitere Verhandlungstage geben, bevor am 27. Juli das Urteil fällt.

Die Angeklagte schüttelte den Kopf

Die 55-jährige Angeklagte bestreitet alles, schüttelte während der Aussagen fast pausenlos den Kopf oder raufte sich ihre blondierten langen Haare. So auch, als Janina K.* erzählte, wie sie von Brigitte F. an den Haaren durchs Zimmer gezogen und gegen den Schrank geschubst wurde, wie sie danach trotz Rückenschmerzen nicht zum Arzt gehen durfte. Zu den Angriffen sei es gekommen, nachdem sie eine im Streit gefallene Aussage der Betreuerin beim Wort genommen hatte, so Janina K. „Dann geh doch“, habe Brigitte F. gesagt. Da wollte sie eigentlich packen.

Janina K. war nach dem Suizid ihres Vaters in die Jugendhilfeeinrichtung gekommen, als sie mit dem neuen Freund ihrer Mutter nicht zurechtkam. Bei Nina M.* war es ein eigener Suizidversuch. Die Mutter war mit ihrer Tochter, die sie belog und die Schule schwänzte, zweimal abhaute, überfordert. Mit der Mädchen-WG, die das Jugendamt vermittelt hatte, hoffte man, Abstand voneinander zu gewinnen. Nina M. schilderte, dass sie das Klima schnell unerträglich fand, ihre Mutter ihr nicht glauben wollte, was sich abspielte. Sie berichtete, wie eine Mitbewohnerin, mit der es Stress gegeben habe, bei minus zwei Grad vor die Tür gesetzt worden sei, wie sie den Ausweis des Mädchens zerschneiden musste, dem auch das Geld abgenommen worden sei. Nach einem Fluchtversuch sei sie auch mal selbst ins Zimmer gestoßen und geohrfeigt worden, so Nina M.

An den Haaren durch die Küche gezogen

Zeugin Sofie L. erzählte derweil, wie sie wegen einer Essstörung in die Mädchen-WG gekommen war, wie Brigitte F. sie zwingen wollte, einen Pilz zu essen, obwohl sie keine Pilze aß. Sie hatte von einer Käse-Lauch-Suppe einen Champignon auf dem Teller gelassen, stocherte nach eigener Aussage daran herum. Brigitte F. habe gesagt, sie müsse das essen, habe mit der vollen Tee-Tasse auf den Tisch gehauen, sich dabei die Hand verbrannt. Dann habe sie Sofie L. an den Haaren durch die Küche gezogen.

Zum Teil wollen die Zeuginnen dabei gewesen sein, wie andere Bewohnerinnen drangsaliert wurden. Der Anwalt von Brigitte F., Steffen Voigt, machte auf Widersprüche aufmerksam, die es in den polizeilichen Vernehmungsprotokollen gegenüber Gerichtsaussagen gab: Bei der Polizei etwa war Nina M. noch Augenzeugin einer Ohrfeige, im Amtsgericht waren es drei. Voigt wunderte sich zudem, dass sich die Mädchen häufig nicht an genaue Zeitpunkte, teilweise nicht mal ans Jahr von Vorfällen erinnern konnten, die doch einschneidend gewesen sein mussten.

Eine Racheaktion?

Genüsslich zitierte er aus einer WhatsApp-Gruppe, in der die inzwischen erwachsenen Mädchen diskutierten, wofür sie Brigitte F. anzeigen wollten. „Körperverletzung? Beleidigung?Diskriminierung?“ – „Alles, Haha“, habe Nina M. geantwortet. Eine Racheaktion? Anwalt Voigt sieht einen Zusammenhang zu einem anderen Vorgang: Die Mutter von Nina M. hatte während des Wilhelmshorster Aufenthaltes ihrer Tochter Vertrauen zu Brigitte F. gefasst, gemeinsam gründete man ein Pflegeunternehmen, das noch existiert – ohne die Mutter, die sich von Brigitte F. herausgedrängt fühlt. Und nun mit den Mädchen den Racheakt inszeniert?

(*Name geändert)

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