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Das Theaterlabor Hatschisi nähert sich der Liebe von allen Seiten.

© Andreas Klaer

Was Liebe ist: Inkludierendes Festival im Potsdamer Rechenzentrum

Das Theaterlabor Hatschisi hat viereinhalb Jahre nach der Liebe gesucht. Mit dem Festival „Wa(h)re Liebe - Inklusiv“ zeigen die Ensemblemitglieder, was sie gefunden haben.

Wie nur kriegt man die Liebe zu fassen? So flüchtig wie sie ist und schwer zu beschreiben. Und was, wenn man in den üblichen Bildern von der Liebe nicht einmal vorkommt?

Vor viereinhalb Jahren macht sich das Theaterlabor Hatschisi auf die Suche nach einer Antwort; es umkreist sie, tastet sich langsam heran. Normalerweise nehmen die Ensemblemitglieder sich ein Jahr, um ein Thema zu erforschen. Für die Liebe sind es viereinhalb geworden. Wegen Corona und: Das Thema braucht Luft.

Ihre Experimente, Erkenntnisse, Erfahrungen verdichten sich in dem Festival „Wa(h)re Liebe – inklusiv“, das von Freitag bis Sonntag mit Ausstellungen, Aufführungen, Kursen, aphrodisierenden Liebesgerichten und einer Party im Potsdamer Rechenzentrum stattfindet.

„Weich, die Liebe. Weich da drin. Versteckt. Ganz versteckt. Mein Herz versteckt unter der Decke. Rolle gerade weiter“, schreibt Ensemblemitglied Celina Franoschek zu ihrem „Liebes Ding“. Eine gehäkelte Decke, eine Hundeschnauze in der Sonne. Leergegessene Kuchenteller, ausgetrunkene Kaffeetassen; ein verblichenes Foto von einem Paar, eine Porzellanblume. Happy Birthday. Gedruckt auf Papier: Mit Liebe muss man vorsichtig umgehen. Tapeziert bis unter die Decke bekommt man ein Gefühl dafür, wie divers die Dinge sind, die verschiedenen Menschen am Herzen liegen können.

Henry Rauhut, umgeben von „Liebes Dingen“ des Ensembles.

© Andreas Klaer

Wie divers die Formen der Liebe sind. Die Foto-Reihe entsteht erst im zweiten Schritt. Mit der Theorie geht es los: Juristen, Philosophen, Glücksforscher teilen ihre Gedanken in einfacher Sprache mit den Ensemblemitgliedern.

„In den Modellen haben wir uns zwar erkannt, aber viele von uns können sie nicht in ihrem Alltag umsetzen“, sagt die künstlerische Leiterin Lidy Mouw. „Viele wohnen in besonderen Wohnformen; die fehlende Privatheit macht es schwierig, Beziehungen aufzubauen und zu leben.“

Unsicheres probieren

Das künstlerische Labor versteht Inklusion nicht als Hilfestellung, sondern als Assistenz. Wenn jemand Hilfe braucht, fragt er. „Schwierig bei Institutionen, die gewohnt sind, alles zu regeln, damit alle sauber, satt und sicher sind“, so Mouw. „Für uns ist es interessant, etwas Unsauberes zu machen, etwas Unsicheres zu probieren und vielleicht ein bisschen weniger satt zu sein, damit man besser teilnehmen kann an Gesellschaft.“

Lidy Mouw ist seit der Gründung 2016 künstlerische Leiterin des Theaterlabors.

© Andreas Klaer

Also erproben die 15 Ensemblemitglieder Selbstbestimmtheit. In den viereinhalb Jahren kommen sie alle zwei Wochen für ein Wochenende zusammen, zeigen Aufführungen, entwerfen Vorträge und Workshops, nähern sich über die Sinne, probieren sich aus – immer im Dialog mit dem Publikum.

Dabei entstehen Bilder, mit denen sich das Thema besser greifen lässt, Schaum zum Beispiel. Flüchtigkeit, Intimität, Sehnsucht, Verwöhnung. Im Labor experimentieren die Ensemblemitglieder mit Schäumen: Schlagsahne, Schaumkronen, Zuckerwatte. Auch während des Festivals pustet eine Maschine die feinen schillernden Bläschen zu Walzerklängen in die Luft, um damit zu spielen.

Nah ran, an die Liebe

Gab es anfangs noch Berührungsängste, tastet sich das Ensemble im Laufe der Zeit sehr nah heran, an die Liebe. Sie formen sich gegenseitig aus Ton, malen Selbstporträts ihrer Genitalien. An einem Wochenende kommt eine Sex-Assistentin vorbei, ein Paar aus dem Ensemble teilt seine eigenen sexuellen Erfahrungen.

Ilhami Tas ist kurz davor, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

© Andreas Klaer

In einem Shibori-Workshop zur japanischen Fesselkunst findet das Labor sein Resümee zum Projekt; die Performance „Halten“ während des Festivals bündelt es. Ein netzartiges Gebilde windet sich durch den pink ausgeleuchteten Raum, weiche Kokons aus Nylon hängen von der Decke. Die Ensemblemitglieder suchen ihre Wege durch das Gewirr, verbinden sich damit, entfesseln sich wieder und lassen sich von dem weichen Stoff tragen. Um alles zu sehen, muss man permanent seinen Blickwinkel verändern.

Im Akt des Fesselns verbinden sich zwei Menschen durch das Seil; sie halten sich und beziehen sich aufeinander, Vertrauen vorausgesetzt. Ein passendes Bild für unsere Beziehungen, finden die Hatschisis. Eines, das sie körperlich erfahrbar macht – auch in Bezug auf Selbstbestimmtheit. Die große Frage am Ende: Wie wollen wir in unserem Leben gehalten werden?

Ensemblemitglied Ilhami Tas lässt sich in „Halten“ fesseln. Kunstvoll geknüpfte Knoten; Knoten um Knoten, um Brustkorb und Füße. Und dann die Hängung, ein großer Moment: Vertrauen, loslassen. Den Boden unter den Füßen verlieren – und schweben.

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