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Thomas Arnold "Sehnsucht nach der Sehnsucht" - Foto: Sans Titre Potsdam

© Sans Titre Potsdam

„Sehnsucht nach der Sehnsucht“: Doreen und Thomas Arnold holen Tucholsky ins Hier und Jetzt

Bissig, düster, grotesk, amüsant: Beim Tucholsky-Abend im Kunsthaus „sans titre“ fuhren die Gefühle Achterbahn. Thomas und Doreen Arnold lasen und spielten Tucholsky auf ihre Art.

Von Andrea Lütkewitz

Eine dunkle Bühne, darauf nur ein Tisch und zwei Stühle – mehr war am Sonnabend im Kunsthaus sans titre zunächst nicht zu sehen. Eine Begleitung am Piano solle man sich einfach vorstellen, begrüßte Thomas Arnold seine Zuschauer:innen. Sie erwartete die „Sehnsucht nach der Sehnsucht: Ein Tucholsky-Abend mit Doreen und Thomas Arnold“.

Trotz aller Schmucklosigkeit dauerte es gefühlt nur Sekunden, bis der aus Fernseh- und Kinofilmen bekannte Schauspieler das Publikum in eine andere Welt katapultierte, und zwar mit einem Text von Hans Hyan, einem Zeitgenossen Tucholskys, der süffisante Kriminalgeschichten verfasste. Dass nicht „jemand aus’n Milljöh“, sondern Arnold die Geschichte von einem Juwelenraub und einer darin verwickelten Prostituierten erzählte, ließ sich wunderbar vergessen. Der Darsteller erschuf durch eine natürlich wirkende Gestik und versiertes Sprechen – mühelos im Berliner Dialekt – gleich allerlei vor dem geistigen Auge: schillernde Damen genauso wie verruchte Lokalitäten, die Heinrich Zille Zeit seines Lebens zu zeichnen pflegte.

Danach folgte eines der bekanntesten Gedichte von Kurt Tucholsky: „Der Mensch“. Schon die ersten Zeilen deuteten an, wie bissig es nun wurde: „Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenn’s ihm gut geht, und eine, wenn’s ihm schlecht geht“. Gut weg kommt die Menschheit nicht in diesem Gedicht: „Menschen miteinander gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die herrschen, und solche, die beherrscht werden“, heißt es zum Beispiel. Und am Ende dann lapidar: „Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot“. Trotzdem, oder gerade weil spitzbübisch von Thomas Arnold vorgetragen, gibt es viel „Oha“ und Gelächter im Publikum.

Nach weiteren vor allem politischen Texten trat Puppenspielkünstlerin Doreen Arnold auf die Bühne. Seit vielen Jahren lebt sie mit ihrem Mann Thomas Arnold in Potsdam, ist an verschiedenen Orten in der Stadt mit ihrem Puppenspiel präsent. Sie nahm sich den Text „Der Fliegengott“ vor. Hier geht es um einen Mann, der im Selbstgespräch mit seinem schlechten Gewissen hadert: Ist schon das Töten von Fliegen falsch? Steht es dem Menschen zu, zu töten? Doreen Arnold spielte nun gleichwohl den Mann (bekleidet mit einem Pyjama) als auch das Gewissen, von ihr frei interpretiert und dargestellt mit einer Handpuppe, die aussieht wie ein Fliegenkopf mit wirrem Haar. Dadurch wurde es düsterer, ernster und durch die Puppe auch grotesker, die Zuschauer:innen wurden ein wenig aus der Atmosphäre, die davor entstanden war, herausgeholt.

Vielleicht hätte zwischen den beiden Darstellungen der Arnolds verbindend gewirkt, was sie erst relativ spät in der Vorstellung wagten: eine gemeinsame Darbietung anhand des Textes „Ein Ehepaar erzählt einen Witz“. Hier scheitern Eheleute daran, jemandem einen Witz zu erzählen, weil sie, genervt voneinander, in Streit geraten. Selbstironisch schlüpften die beiden in die Rollen der Streitenden, seltsam und sehr amüsant durch Kleidung und Gesten einander angeglichen. Davon hätte es gerne mehr sein dürfen.

Auch hätten die Gäste anhand des Titels „Sehnsucht nach der Sehnsucht“ – einem Liebesgedicht Tucholskys über die Enttäuschung in der Liebe – vermuten könnte, das Gefühl aller Gefühle stünde im Mittelpunkt. Doch wer sich nicht daran festhielt, genoss, dass auch Gesellschaftskritisches und Politisches aufs Tableau kam.

Dennoch gelang dem Künstlerehepaar, die Anwesenden in die geistreiche Welt von Tucholsky hineinzuziehen – sowie in das politisch und kulturell aufgewühlte Berlin der Weimarer Republik. Und obwohl sich Text an Text reihte, entstand nicht eine Sekunde das Gefühl eines Zuviels. Das lag zum einen an den vergnüglichen, teilweise sehr aktuell wirkenden Texten Tucholskys selbst, aber auch an der Kunst der Arnolds, sie mit ihren Stimmen und Schauspielkünsten auf sehr unterhaltsame Weise ins Hier und Jetzt zu holen.

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