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Alfred Dreifuß war nach seiner Rückkehr aus dem Exil 1950 Intendant des Landestheaters Brandenburg.

© privat

Kurzfestival „Jüdische Ossis“ in Potsdam: Alte Fragen neu bewertet

Lesungen, Podiumsdiskussionen, Gespräche: Am Hans Otto Theater wird sich der deutsch-jüdischen Vergangenheit der DDR gewidmet – ein bisher wenig beleuchtetes Kapitel.

Von Alicia Rust

Ein sogenannter „antifaschistischer Staat“, der ehemalige Opfer des Nationalsozialismus weiterverfolgte? Ressentiments gegenüber Juden, die zu DDR-Zeiten – unter dem Deckmantel einer neuen Ideologie – recycelt wurden? Der Prozess gegen Alfred Dreifuß, der nach seiner Rückkehr aus dem Exil von 1949 bis 1950 Intendant des Landestheaters Brandenburg (wie das Hans Otto Theater damals noch hieß) war, macht deutlich, dass die DDR – anders als oftmals dargestellt – durchaus von einem stalinistischen Antisemitismus geprägt war. 

Das Kurzfestival „Jüdische Ossis“, eine Kooperation zwischen dem Hans Otto Theater und dem Institut für Neue Soziale Plastik e.V., will sich am 11. und 12. März diesem bislang noch wenig beleuchteten Kapitel widmen. Es wird Lesungen geben, Podiumsdiskussionen sowie Angebote zu Gesprächen. Kurzum: „Jüdische Ossis“ ist eine Einladung zum Erfahrungsaustausch über die Frage, wie es den jüdischen Remigranten, die oftmals aus einer tiefen kommunistischen Überzeugung heraus in die damals noch junge DDR kamen, nach dem Zweiten Weltkrieg ergangen ist.

Verfolgung im neuen Gewand

In den 50er Jahren gerieten Hunderte von Juden in die Mühlen einer politischen Säuberungswelle, was sie erneut zu Ausgestoßenen und Verfolgten werden ließ. Auch Alfred Dreifuß geriet wegen einer angeblichen Spionagetätigkeit in einen Schauprozess und wurde zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Dabei hatte er noch 1953 verlauten lassen: „Den Theatern in den ‘Provinzen’ der DDR ist eine Aufgabe zugewiesen, deren Größe weit über das hinausgeht, was einstens der Zweck der Provinzbühnen war. Sie sind die ‘moralischen Anstalten’ einer kommenden sozialistischen Generation.“

Die erneute Diskriminierung von Menschen jüdischer Zugehörigkeit innerhalb der DDR führte schließlich vor genau 70 Jahren zu einem Exodus von hunderten Juden, die das Land fluchtartig verließen. Anders als Dreifuß, der trotzdem blieb. Dabei war die jüdische Gemeinschaft schon zuvor relativ klein und überschaubar gewesen, vor allem war sie ziemlich divers. 

Nach der Schoah habe es acht jüdische Gemeinden in der DDR gegeben, weiß Verlegerin Dr. Nora Pester. 1946 lebten in der Sowjetischen Besatzungszone und Ostberlin noch um die 4000 Gemeindemitglieder. „Gegen Ende der DDR gab es nur noch 400 jüdische Gemeindemitglieder“, so Pester.

30 Jahre nach dem Ende der DDR ist es immer noch eine Ausnahme, wenn man sich mit dem Thema „Antisemitismus in Ostdeutschland beschäftigt.

Stella Leder vom Institut für neue soziale Plastik e.V.

„30 Jahre nach dem Ende der DDR ist es immer noch eine Ausnahme, wenn man sich mit dem Thema ‘Antisemitismus in Ostdeutschland’ beschäftigt“, sagte Stella Leder vom Institut für neue soziale Plastik e.V., die das Festival mit konzipiert hat und sich sehr für die Auseinandersetzung mit diesem Thema engagiert.

Auch sie sei erschüttert über dieses dunkle Kapitel der Geschichte, pflichtete ihr Bettina Jahnke, Intendantin des Hans Otto Theaters, bei. Umso wichtiger sei es, ein solches Projekt auch einmal ans Theater zu holen. „Wir wollen diese Art von Geschichten aus der DDR aus verschiedenen Perspektiven zeigen“, sagte Jahnke. Dies werfe natürlich auch Widersprüche auf. „Das ist aber auch gewollt“, so Jahnke. Es bestehe mehr denn je eine Notwendigkeit, ein politisches Theater zu machen. Gerade jetzt. 

Antisemitismus als Dauerthema

Nach wie vor sei die Judenfeindlichkeit ein Thema, wie zuletzt der Antisemitismus-Skandal rund um die Documenta 2022 in Kassel sehr deutlich gezeigt habe. „Umso wichtiger ist es, diese Debatten zu führen“, so Kuratorin Stella Leder. Das Theater betrachte sie als einen geeigneten Ort dafür. Intendantin Bettina Jahnke betonte die Notwendigkeit, das Thema Antisemitismus kontinuierlich zu behandeln, nicht nur an Jahrestagen oder zu besonderen Anlässen.

Was Jahnke aber zu denken gebe, sei die Tatsache, dass ein Festival wie „Jüdische Ossis“ als derart brisant eingestuft werde, dass eine solche Veranstaltung drei Wochen vorab bei der Polizei angemeldet werden müsse, um die Gefahrenlage einschätzen zu lassen. „So etwas erleben wir bei keiner anderen Veranstaltung“, sagte Jahnke. Eine Normalität im Umgang mit dem Thema Judentum, egal, ob es sich um die Vergangenheit handelt oder um die gegenwärtige Situation, sieht anders aus.

Abschließend soll sich eine Lesung und die anschließende Podiumsdiskussion mit der Frage beschäftigen, ob es eigentlich überhaupt so etwas wie „jüdische Ossis“ gab oder gibt. Thematisiert wird auch die Einwanderung von rund 200.000 jüdischen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion und wie sich die jüdische Gemeinschaft in Deutschland dadurch verändert hat. Was haben die Immigranten von heute mit dem Remigranten von einst gemein. Und was könnte die neue Generation an Juden möglicherweise aus der Geschichte lernen?

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