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Ausstellung „Landgang“ im Kunstraum Potsdam.

© Rainer Sioda

Fotografische Spurensuche: Drei Jahrzehnte Uckermark in einer Doppelausstellung

Mit „Landgang“ präsentieren die Berliner Fotografen Rainer Sioda und Ulrich Wüst ein fotografisches Gesamtkunstwerk. Es ist im Laufe von drei Jahrzehnten entstanden.

Von Alicia Rust

Zwei unterschiedliche Blicke auf denselben Landstrich, wenngleich auch aus verschiedenen Perspektiven, entstanden im Laufe von 30 Jahren. Rainer Sioda und Ulrich Wüst hatten sich von 1989 bis 2019 teilweise zu Fuß, teils mit dem Fahrrad auf eine fotografische Spurensuche begeben. Ihr fotografischer „Landgang“ – so der Titel der Ausstellung im Kunstraum Potsdam – führte sie durch die Uckermark. Eine Grund- und Endmoränenlandschaft, die nach der letzten Eiszeit ideale Bedingungen für die menschliche Besiedlung hinterlassen hat. 

„Landgang“ steht somit anders, als möglicherweise erwartet, nicht für den Gang aufs Land von einem Schiff aus, es handelt sich vielmehr um den nüchternen Blick zweiter Großstädter aufs Land. Beide Fotografen leben seit Jahrzehnten im Friedrichshain und im Prenzlauer Berg, beide kommen aus der DDR und fanden einen Zugang zu einer Umgebung, die mit ihren eigenen Biografien verwoben war. 

1989 setzte sich Wüst in einen Zug nach Prenzlau, aus dem Fenster fotografierte er die vorüber fliegende Landschaft. Folgen wir seinem damaligen Blick, sind Ostberliner Stadtansichten zu erkennen, darunter Lichtenberg mit seinen Hochhäusern. Wüst porträtiert in seinen Schwarz Weiß Fotografien Zugtrassen, Oberleitungen, Häuserzeilen. Eine Fotografie ohne Schnörkel zu einem Leporello zusammengefügt. Bei näherer Betrachtung handelt es sich um vergrößerte Negativstreifen, zu erkennen am perforierten Rand des Films aus vordigitalen Zeiten. Der Titel der Arbeit „Landfahrt“ war Ausgangspunkt für die aktuelle Gemeinschaftsausstellung. 

Ausstellung „Landgang“ im Kunstraum Potsdam.

© Ulrich Wüst

Schicht für Schicht durch die Zeit

Sioda und Wüst geht es nicht um die Idealisierung der ländlichen Umgebung. In ihren Werken blättern sie sich vielmehr Schicht für Schicht durch die Zeit und legen somit die Veränderungen jenes Landstrichs offen. Wer möchte, kann darin den Wandel einer Region seit dem Fall der Mauer erkennen. Curry B96 steht auf einer knallroten Currywurstbude in Teschendorf, dahinter der ergraute Kratzputz der Hausfassaden. Ein Bild wie eine Collage und doch so vertraut.

Der fotografische Blick gilt stets dem Übergeordneten. In Siodas „Gatelands“ werden unbefahrene Straßen gezeigt, Schilder und Parkhäuser. Manche Aufnahmen wirken wie Filmkulissen, die Umgebung ist stets Menschenleer.

Ein verlassenes Haus in Bülowsiege in der Uckermark bildet den Ausgangspunkt für einen anderen Ansatz. Hier hat Wüst einige Gegenstände dokumentiert, die der frühere Bewohner vor seinem Umzug ins Altersheim zurückgelassen hat. Die Fundsachen hat er vor einer Tapete mit 50er-Jahre-Muster platziert, der Untergrund besteht aus einem hellblau-weiß-karierten Tischtuch. Eine Flasche Sonnenglanz-Politur als Aussage. Eine Iso-Teekanne, der die Gebrauchsspuren deutlich anzusehen sind, eine zerbeulte Nachtisch-Tütenlampe aus der Nierentisch-Zeit. Wie aus der Zeit gefallen, rufen diese Gegenstände eine merkwürdige Vertrautheit beim Betrachter hervor. Irgendwo hat man so etwas schon mal gesehen, nur wo? 

Verstärkt wird die Wirkung der Stillleben durch ihre Größe: Mit über einem Meter Höhe weichen sie deutlich von den anderen Werken ab, die allesamt kleinformatiger sind. Menschen werden allenfalls als abfotografierte Konterfeis auf einem Stapel historischer Zeitungen gezeigt. Relikte aus vergangenen Zeiten.

Sioda und Wüst zeigen kein Statement zur Lage der Welt, keine fotografische Mahnung. Der Reiz ihrer rund hundert Fotografien, die in sehr unterschiedlichen Hängung auf rund 200 Quadratmetern Ausstellungsfläche präsentiert werden, besteht vielmehr darin, dass sie miteinander korrespondieren, so eigen der jeweilige Ansatz des Fotografen dabei auch gewesen sein mag.

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