zum Hauptinhalt

Kultur: Erinnerungen an den Süden

Nina Corti zu Gast bei Saisoneröffnung des Nikolaisaal / „Traum einer Sommernacht“ als Auftakt

Nina Corti zu Gast bei Saisoneröffnung des Nikolaisaal / „Traum einer Sommernacht“ als Auftakt Kulturland Brandenburg und der Nikolaisaal luden am Wochenende zum Europa-Fest ein. In Potsdams Konzerthaus, in dem auch die Saison eröffnet wurde, und in der Wilhelm-Staab-Straße hatte das südliche Europa das Sagen, mit Musik, Tanz, Speis, Trank und etlichem mehr. Die Sonne lachte nicht; sie lächelte vielmehr, verwies auf den anstehenden Herbst, statt den Sommer noch einmal wachzurufen. Auf der Haut jedenfalls vermisste man den angekündigten „Hauch von Süden“. Dafür war die Wilhelm-Staab-Straße sehr hübsch und südländisch zurechtgemacht: Da gab es auf einmal Palmen und Olivenbäume in großen Töpfen, Gartenstühle und karierte Tischdecken, nicht zu vergessen eine Wäscheleine, die quer über die Straße gespannt war. Der wichtigste Teil des Abends sollte jedoch drinnen, im Nikolaisaal, stattfinden: Nina Corti, gefeierte Flamenco-Tänzerin, trat auf in Begleitung der Kammerakademie und präsentierte ein recht spanisches Programm: de Fallas „Sieben spanische Volkslieder“, Bizets „Carmen“-Suite, im übrigen Werke von Albéniz, Robledo und Geminiani. Musik aus oder über Spanien, aber keine Folklore, an die man beim Flamenco denken würde. Selbst de Fallas „Volkslieder“ entstanden in Frankreich, Bizets „Carmen“ ist eine französische Oper, die allerdings in Spanien spielt. So tanzte dann auch Nina Corti keineswegs Flamenco in seiner ursprünglichen Form, sondern bewegte sich in Choreographien, die zwar viele Flamenco-Elemente enthielten, ebenso aber beim Ballett und anderen Tänzen Anleihen machte. Nina Cortis erster Auftritt in Geminianis Concerto grosso begann als barocker Schreittanz, bis Kastagnettenklang eine Verbindung zum Flamenco schuf. Die Kammerakademie spielte, so fremd das Programm des Abends dem Profil des Orchesters erscheint, auf hohem und höchstem Niveau, mit vielfarbigem Klang und einer faszinierenden Präzision: Nach dem Verklingen von Joaquín Turinas „Gebet des Toreros“ wurde noch sekundenlang gespannt der Atem angehalten. Das Orchester stellte sich der Herausforderung von Christoph Muellers Dirigat und setzte dessen Vorgaben meisterlich um. Nina Cortis Tanz war über alle Kritik erhaben: Wer sonst könnte ein Publikum einen ganzen Abend lang mit Solotanz fesseln? Die Abstimmung mit Dirigent und Orchester war hervorragend, die Choreographien bisweilen verhalten, oft aber enorm expressiv und mitreißend. Bei Antonio Robledos „Taranto del sol negro“, sehr einfühlsam gespielt von Camelia Sima am Flügel, erlagen denn auch Orchester und Dirigent als Zuschauer auf dem Podium ihrem Bann. Das Publikum konnte gar nicht anders als begeistert zu sein: Der ausverkaufte Saal gab stehende Ovationen. Mueller und Corti dankten es mit drei bejubelten Zugaben. Als die Massen dann aus dem Nikolaisaal strömten, fanden sie sich auf dem Straßenfest „Canzone della Strada“ wieder: Die Wilhelm-Staab-Straße voller Menschen, dazu zwei kleine Bühnen mit Jazz und Musik-Comedy. Lag Potsdam nun in Spanien? Sehr südländisch wirkte es trotz des großen Aufwandes nicht. Dass es ein bisschen zu kalt war, lag nicht in Menschenhand. Doch die Schlangen vor den Spanferkel- und Bierständen erinnerten eher an den Weihnachtsmarkt oder jedes andere Potsdamer Fest als an Sevilla oder Marseille. Dass es auch Paella gab, sorgte eher für einen Geruch als für einen Hauch von Süden. Was stimmte nicht? Hatte der Nikolaisaal etwas Südländisches vergessen? Was es hierzulande nicht gibt, ist die Möglichkeit, sich irgendwohin zu begeben und dort nichts zu tun, nur zu verweilen. An schönen Orten mangelt es Potsdam ja keineswegs. Aber wo soll man sich hinsetzen wie auf dem Campo in Siena oder den Marktplätzen der Provence? In der Brandenburger Straße, wo es keine Bänke gibt? Auf dem Luisenplatz, vom Verkehr umtobt? Auf dem Alten Markt, dem Parkplatz im Schatten der Nikolaikirche? Auf dem Neuen Markt, wo man nur in teuren Restaurants sitzen kann? Nein, in Potsdam, wo die Stadtplanung Straßenverkehrsplanung heißen müsste und Nicht-Orte wie das Potsdam-Center hervorbringt, gibt es kaum Orte zum Verweilen. Haben Sie sich schon einmal am neuen Kanal hingesetzt und die Beine baumeln lassen? Nein? Es ist unmöglich, wenn Sie nicht auf dem Geländer sitzen wollen, mit den Autos im Rücken. Umso lobenswerter ist die Bemühung des Nikolaisaals, den Autos eine Straße wegzunehmen und sie den Menschen wiederzugeben wie am Samstagabend die Wilhelm-Staab-Straße. Als die meisten Mägen gefüllt waren und es wieder ein wenig Platz zum Bewegen gab, konnte man sich tatsächlich an den Süden erinnern, da tanzten dann ein paar Leute, man konnte der Musik lauschen oder sich unterhalten oder eben einfach gar nichts tun. Nur schade, dass es das so selten gibt. Frederik Ahlgrimm Nachtspuk und Traurigkeit Was kann traumhafter sein als eine Sommernacht mit schöner Musik ? Wohl nur wenig Dinge können so viel friedliche Harmonie verbreiten wie eine milde Mischung aus Kunst und Natur. Unter dem Titel „Der Traum einer Sommernacht“ begann die diesjährige Saison des Nikolaisaals am Freitag Abend mit südländischen Klängen. Zwar wurde das Eröffnungskonzert mit den Brandenburger Symphoniker unter Michael Helmrath aus dem Freien kurzerhand in den Nikolaisaal verlegt, aber das kam der Musik, besonders dem fantastischen „Concierto de Aranjuez“, nur zu Gute. Der junge Gitarrist Joaquín Clerchs spielte das berühmte Werk des spanischen Komponisten Joaquín Rodrigo mit Leidenschaft und Noblesse. Zunächst ging es in das Haus des Teufels mit der 4. Sinfonie d-Moll. Op 12 von Luigi Boccherini. Der zeitweilige Hofkomponist von Friedrich Wilhelm II. verbrachte lange Jahre in Madrid, wo er wohl den Don-Juan-Stoff kennen lernte. Mit unheimlich verminderten Quarten und Septimen begann der Abstieg in das teuflische Haus, dem ein spannungsreicher Satz in flottem Allegro assai folgte. Ganz entspannt und federleicht hüpften kleine Teufelchen beim Andantino umher, die beim zart getupftem Spiccato der Streicher fast gar nichts Umheimliches mehr versprühten. Nach der Wiederholung der Don-Juan-Akkorde des Anfangs – Mozart grüßte aus der Ferne – entfesselten die sehr gut aufgelegten Streicher der Brandenburger Symphoniker wirbelnde Tänze, von den Bläsern mit – etwas schwachen – diabolischen Akzenten versehen. Wer einmal die Anfangsmelodie des Englischen Horns im zweiten Satz von Joaquín Rodrigos „Concierto de Aranjuez“ gehört hat, wird diese elegische Kantilene wohl nicht vergessen. Längst gilt das 1939 geschriebene Gitarrenkonzert nicht nur als nationales Denkmal der spanischen Musik, sondern als internationaler Klassiker. Bei der allfälligen Aufführung im Nikolaisaal trat der junge Gitarrist Joaquín Clerch auf, ein gebürtiger Kubaner, der seit einigen Jahren Gitarrenprofessor an der Düsseldorfer Musikhochschule ist. Schnell gelang es ihm, das Publikum in Bann zu ziehen. Die ersten Akkorde legte er noch mit lockerer Geste hin, um später auf seiner Gitarre ein Feuerwerk der Töne zu entfachen, das er rhythmisch mitreißend und klangvoll melodisch gestaltete. Im beschwingten, tänzerischen ersten Satz klingt alles nach heiteren Sommerspaziergängen in den Gärten von Aranjuez, dem Sommersitz der spanischen Könige. Dort hatte der seit seiner Kindheit blinde Komponist Joaquín Rodrigo glückliche Spaziergänge mit seiner späteren Ehefrau erlebt. In diese Idylle bricht im zweiten Satz unvermittelt eine unverstellt tiefe Traurigkeit hinein, die einen den Atem anhalten ließ. Zwei hochvirtuose Gitarren-Kadenzen markierten dramatische Krisenhöhepunkte, fügten sich aber letztlich wieder friedlich in das ununterbrochene Pulsieren des Klangflusses ein. Ein Klassiker durfte nicht fehlen: Felix Mendelssohn Bartholdys „Sommernachtstraum“ op. 21 setzt Maßstäbe für europäisch-romantische Spuknächte zwischen Traum und Wirklichkeit. Mit präzisen instrumentalen Details, lebendigen Motiven, farbig und fulminant malten die Brandenburger zauberische Klanggemälde, die den verheißungsvollen Schlusspunkt zu dieser Sommernacht setzten. Babette Kaiserkern

Frederik Ahlgrimm

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false