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Schauspieler Devid Striesow liest „Die Verwandlung“ von Franz Kafka.

© Edith Held / Edith Held

Ein Klassiker wird lebendig: Schauspieler Striesow liest in Potsdam Kafkas „Verwandlung“ – mit Klavierbegleitung

Am Samstagabend ließ Schauspieler Devid Striesow Kafkas „Verwandlung“ für die Zuhörer lebendig werden. Pianist Markus Becker schmückte die Lesung am Klavier aus.

Von Andrea Lütkewitz

Es ist bedauerlich, wie brillante Texte der Weltliteratur von vielen Menschen oftmals nur als anstrengende Schullektüre erinnert werden. Wie wertvoll ist es da, wenn sie, empathisch in Szene gesetzt, neu entdeckt werden können. Diese Möglichkeit bot sich am Samstagabend im vollbesetzten Nikolaisaal mit „Die Verwandlung“ von Franz Kafka.

Schauspieler Devid Striesow und Pianist Markus Becker luden ein zu einer Konzertlesung, die erfüllte, was Franz Kafka in einem Brief an einen Zeitgenossen, den Kunsthistoriker Oskar Pollak, schrieb: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.” Striesow las zu Beginn und ein weiteres Mal während der Veranstaltung aus diesem Brief – und beschwor so gewissermaßen die zeitlose Kraft von Kafkas Erzählung, die sich durch Beckers Klavierspiel potenzierte: Er bot Kompositionen von Philipp Glass dar.

Die Geschichte von Gregor Samsa, der eines Morgens als großes Insekt in seinem Bett aufwacht, ist eine sehr düstere. Es ist traurig, zu lesen, wie er sich zunehmend von seiner Familie entfremdet, von ihr verstoßen wird, vereinsamt und stirbt. Eigentlich schwierig für eine Abendunterhaltung.

Striesow schafft es aber, mit seiner charismatischen Stimme den Spannungsbogen der Geschichte auszuloten, ihr Dynamik und eine mitreißende Lebendigkeit zu verleihen. Das gelingt ihm, ohne dass er sich dabei als Schauspieler – bekannt aus diversen Fernsehserien und Filmen wie zuletzt „Nahschuss“ und aktuell im Oscar-Kandidaten „Im Westen nichts Neues“ – in den Vordergrund drängt.

Es war nicht Striesows erstes Kafka-Projekt

Es ist sein Talent als Hörbuchsprecher, mittels seiner Stimme in die verschiedenen Rollen zu schlüpfen. Für Striesow war es auch nicht das erste Kafka-Projekt, er war bereits Teil des 2020 vielgelobten Hörbuchs „Das Schloss“, dem unvollendet gebliebenen Roman des Autors, erschienen beim Bayrischen Rundfunk.

Überhaupt diente die gesamte Aufführung dazu, Kafka wirken zu lassen. Striesow saß an einem alten, dunklen Holztisch, nur ein paar Blätter Papier vor sich, die meiste Zeit nahezu unbeweglich. Licht wurde spärlich eingesetzt, was alles in allem die Visualisierung des Zimmers, in dem Samsa vor sich hin vegetiert, begünstigte. Es gab keine Interaktion mit dem Publikum – das hätte auch nicht gepasst zu dem dunklen Ort, an dem Kafkas Geschichte spielt.

Von Kafkas „Verwandlung“ hat sich auch der amerikanische Komponist Philipp Glass inspirieren lassen, der weltweit vor allem bekannt ist für seine Filmmusiken wie für „The Hours“ oder „The Truman Show“. Unter anderem aus einer transkribierten Bühnenmusik zu „Die Verwandlung“ entstand Ende der 80er-Jahre die Klaviersuite „Metamorphosis“, die auf dem weltweit gefeierten Album „Solo Piano“ enthalten ist.

Musik und Sprache berühren zutiefst

Pianist Markus Becker spielte Auszüge aus diesem Werk – im Wechsel mit Striesows Lesepassagen. Die klaren, sich zuspitzenden Melodien von Philipp Glass, aus denen sich Werden und Vergehen eines Lebens heraushören lassen, passen hervorragend zur ebenso schnörkellosen und dadurch zeitlosen Sprache Kafkas.

Beide faszinieren damit, dass sie trotz oder gerade wegen ihrer Direktheit, die bei Glass auch gerne Minimalismus genannt wird, zutiefst berühren. Bei Markus Becker waren die Werke von Glass im wahrsten Sinne des Wortes in den richtigen Händen, sein fließendes und gefühlvolles Spiel ließ zwischen den Lese-Parts die Bilder der Erzählung noch einmal vor dem inneren Auge lebendig werden.

Jeder, der „Die Verwandlung“ noch aus Schulzeiten kennt, dürfte die Erzählung an diesem Abend neu erfahren haben. Veranstaltungen wie diese mit feinfühligen Künstlern wie Striesow und Becker tragen dazu bei, dass kulturelles Erbe nicht nur gepflegt, sondern auch erlebt wird.

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