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Kultur: Die Pose als solche: Graffiti im Waschhaus

Viel war noch nicht zu sehen vom Ausstellungskonzept der beiden „sehr jungen, noch unbekannten“ Berliner Künstler aus der Graffiti-Szene, als das Waschhaus gestern zu einem Vorgespräch einlud. Aber die fünf, drei Meter hohen, mit handelsüblichem braunen Paketklebeband versehenen und mit Spraydosen weiter bearbeiteten Papierbahnen reichen aus, um, wenn schon nicht den künstlerischen Wert der Arbeiten, wenigstens die gesellschaftlichen Implikationen dieser Schau zu umreißen.

Viel war noch nicht zu sehen vom Ausstellungskonzept der beiden „sehr jungen, noch unbekannten“ Berliner Künstler aus der Graffiti-Szene, als das Waschhaus gestern zu einem Vorgespräch einlud. Aber die fünf, drei Meter hohen, mit handelsüblichem braunen Paketklebeband versehenen und mit Spraydosen weiter bearbeiteten Papierbahnen reichen aus, um, wenn schon nicht den künstlerischen Wert der Arbeiten, wenigstens die gesellschaftlichen Implikationen dieser Schau zu umreißen. Doch es könnte sein, dass die Akzeptanz oder völlige Ablehnung in den verschiedenen Generationgruppen von „Graffiti“ oder „Street Art“ ein künstlerisches Urteil ohnehin nur schwer möglich machen. Diejenigen, die der Szene nahe stehen und auch die „Künstler“, die Sprayer selbst, neigen zu einer Heroisierung der Sprühereien: Man fühlt sich verfolgt und unverstanden. So heißt es in der Presseankündigung vom Waschhaus: „Die Wirting-Kultur ist eine gehasste, verfolgte, heiß diskutierte, nicht leicht zu erfassende, sich geistig in jungen Jahren befindende Bewegung.“ Tatsächlich besteht eine Art von Verfolgung, wenn sich die Schriftzüge auf öffentlichem oder privatem Eigentum wiederfinden. Egal, wie künstlerisch wertvoll dieser jugendliche Ausdruck auf der S-Bahn sein mag, es handelt sich um Sachbeschädigung. Aus dieser „Verfolgung“ nun aber gleich für das eigene Selbstverständnis eine Zugehörigkeit zu einer „Underground-Kultur“ abzuleiten, ist die eigentliche Unverfrorenheit einer Kunstform, die auf diese Attitude unbedingt angewiesen ist. Ohne den Hauch des Illegalen, ohne die coole Anonymität, hinter der sich auch der im Waschhaus ausstellende Künstler „idee“, ein sogenannter „Writer“, verbirgt, könnte man die Kunst als Kunst bewerten. Zu vermuten ist, dass ohne diese affektierte Zurschaustellung im Vergleich mit den übrigen kulturellen Ausdrucksweisen die Pose als solche übrig bleibt. Thomas Naumann, der zweite junge, unbekannte Staßenartist, erklärt allen Ernstes, die auf seinen Papierbahnen in Silhouetten in flagranti festgehaltenen Vermummten hätten Schwierigkeiten „etwas von sich preis zu geben.“ Deswegen hätte er sie um Texte gebeten, die in seine Arbeiten eingebaut sind. Beispiel: „Das werk. Das werk. Das werk fordert uns heraus. Es fordert Ausdauer.“ Anscheinend reicht es nicht, ganze Züge zu besprayen. Vermutlich reichte der Platz eines ganzen Bahnhofes nicht, um bei manchem der Sprayer zu bewirken, dass er etwas von sich preiszugeben hat. Vielleicht ist der Zug auch nur zu schnell wieder losgefahren, ohne auf eine tiefe Preisgabe gewartet zu haben. Der Sprayer als verletzliche, hochkünstlerische Seele. Dabei warten in jedem sozialen Brennpunkt mittlerweile Dutzende Jugendprojekte, um diesen Meistern entweder kostenlos Leinwände zu übergeben oder mit Genehmigung der Stromkonzerne völlig legal Trafo-Häuschen zu bemalen. Das Waschhaus, das meint, endlich eine Kunstform in seiner Galerie zu betreuen, die von ihrem nächtlichen Publikum auch verstanden und gemocht wird, denkt da einen Schritt zu kurz. Es begibt sich in eine provozierende Welt der Pseudokunst, der die garstige Spießer-Gesellschaft bislang die Anerkennung verweigert hat, um der Jugend wohlgefällig zu sein. Und könnte damit seinen Anspruch, eine ernst zu nehmende Galerie zu führen, verspielen. Matthias Hassenpflug Vernissage Freitag, 20 Uhr

Matthias Hassenpflug

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