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„Mütter!“ von Anna-Elisabeth Frick ist wieder am 18. und 27. Januar in der Reithalle des Hans Otto Theaters zu sehen.

© Thomas M. Jauk/Thomas M. Jauk

Blut, Milch und Tränen: So war die Premiere von „Mütter!“ in der Reithalle des Hans Otto Theaters

Rund 40 Frauen hat Regisseurin Anna-Elisabeth Frick zum Thema Mutterschaft befragt und daraus einen Theaterabend gemacht. Vergnüglich und lehrreich, auch wenn er nicht ganz abhebt.

Dieser Abend beginnt mit einem Schrei. Womit auch sonst? Eine Art Urschrei, in dem alles Gepäck sich bündelt, das dem Thema des Abends über die paar Millionen Jahre Menschheitsgeschichte so angelastet wurde und weiter wird. Wut und Sehnsucht, Hilferuf und Abwehr, Vorwurf und Inbrunst. Der Schauspieler Paul Wilms schreit: „Mutter!“

Regisseurin Anna-Elisabeth Frick, die 2021 sehr sehenswert die Sibylle Bergsche Dystopie einer Welt ohne Männer in Potsdam auf die Bühne gebracht hatte, hat für ihre aktuelle Arbeit in der Reithalle bewusst den Plural gewählt: „Mütter!“. Darin klingt das Panorama an, das hier aufgemacht werden soll, und auch ein Stoßseufzer. Diese Mütter! Es gibt vor ihnen kein Entkommen. Jeder und jede hat eine, oder hatte. Die Literatur ist voll von ihnen, von Sophokles über Shakespeare bis Schleef.

Anna-Elisabeth Frick, laut Programmzettel selbst letztes Jahr Mutter geworden, hält sich textlich aber nicht an (Theater-)Literatur, sondern hat selbst rund 40 Frauen zum Thema befragt. Ein paar davon nennt das Programm, darunter die Potsdamer Schauspielerin Barbara Schaffernicht und die Autorin Christine Lambrecht. Immer wieder wehen Fetzen von DDR-Biografien durch diesen Abend. Wie alles Dokumentarische eingesprochen aus dem Off.

Die hier erzählten Geschichten bilden so etwas wie die alltagssatte, aus konkretem Erleben gemachte Firnis über dem Bühnengeschehen. Es geht um Fruchtbarkeitsbehandlungen und Abtreibungen, um miese Krankenhauserfahrungen und fehlende Kita-Plätze, um Panikattacken beim Stillen und Einsamkeit im Wochenbett („Und meine Hebamme sagte auch noch: Jaja, die Zeit, in der alles fließt: Blut, Milch und Tränen.“). Es geht es um das Muttersein jenseits des Klischees vom wärmespendenden Muttertier.

Geburtskanal, Vorhölle, Tempel?

Was auf der Bühne (Sophie Lichtenberg) hingegen zu sehen ist, könnte alltagsferner kaum sein: Es ist dies das künstlerisch überhöhte Zuhause der Muttertiere, die die Inszenierung wörtlich nimmt. Eine Landschaft irgendwo zwischen fleischigem Geburtskanal, heidnischem Tempel und seiden-schillernder Vorhölle. In der Mitte ein Tor, vaginagleich. Durch das treten die Muttertiere auf: fünf dämonische Unisex-Wesen in Ganzkörpersuits, ausgestattet mit Zitzen, Krallen, orangefarbener Haarpracht und langen Rattenschwänzen.

Ihre Babys fallen ihnen aus dem Bühnenhimmel zu, ob sie wollen oder nicht. Und schon sind diese Tiere ganz drin im menschlichen Rollenspiel, hegen und pflegen und präsentieren den Nachwuchs: „Schön, oder? Ja, schön!“ Nur einer (Laura Maria Hänsel) ist das blanke Entsetzen über das Neugeborene ins Gesicht geschrieben.

In dem Moment, in dem jemand erfährt, dass du Mutter oder Nichtmutter bist, ändert sich die Art und Weise, wie du angesehen wirst. Es gibt als Frau keine neutrale Position. Du bist immer Mutter oder Nichtmutter.

Zitat der kanadischen Autorin Sheila Heti in „Mütter!“

Laura Maria Hänsel, Janine Kreß, Mascha Schneider, Hannes Schumacher und Paul Wilms: Sie alle dürfen sich in der fratzenhaft überhöhten Seite von Mutterschaft aufs Schönste austoben. Dass sie mal Mutter sind, mal brüllender Säugling oder trotziges Kleinkind, das bis in die letzte Reihe im Saal stürmt: Das macht Spaß. Auch, dass die Inszenierung es schafft, Klischees zu thematisieren, ohne sie eins zu eins abzubilden (keine dicken Bäuche, keine Milch-Brüste, dafür dürfen auch Männer Mutter sein). Und trotzdem will dieser Abend nicht so richtig abheben. Warum?

„I will always love you“

Womöglich liegt es an dem Spagat, den der Abend versucht: Hier die Lust an Performance, dort die dokumentarisch ausgerichtete Soundschiene. Sie sorgt auch dafür, dass das Ganze einen ganz schön didaktischen Charakter bekommt. Neben den anonymisierten Müttern kommen auch Zeitungstexte und Expertinnen zu Wort. Klar ist das lehrreich, wenn es da zum Beispiel heißt: „Sheila Heti sagt: In dem Moment, in dem jemand erfährt, dass du Mutter oder Nichtmutter bist, ändert sich die Art und Weise, wie du angesehen wirst. Es gibt als Frau keine neutrale Position. Du bist immer Mutter oder Nichtmutter. Das ist bei Männern anders.“ 

Nur: Ton- und Bildspur wollen einfach nicht richtig zusammenkommen. Was dazu führt, dass die auf der Bühne sich ganz schön mühen müssen, um neben dem überbordenden dokumentarischen Material spielerisch ihren Platz zu finden. An einigen Stellen gelingt das. Einmal gegen Ende singt Mascha Schneider ein Lied, dass sich im Mütter-Kontext plötzlich ganz anders anhört: „I will always love you“. Zart erst, dann immer verbissener. Dann verlassen die Mitspielenden die Bühne („Mama, ich bin doch schon dreißig“), und lassen Mutter allein zurück.

Was Mascha Schneiders Figur am Ende ihres Liedes bleibt, ist das „I“. Was von diesem Abend bleibt, ist der Eindruck, dass er es nicht schafft, Mutterschaft auszuerzählen. Zum Glück. Und es bleibt der Gedanke, dass man die sprichwörtliche „gute Hoffnung“ tatsächlich auch anders verstehen kann: Sie beginnt, wenn das Kind in der Welt ist.

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