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Gedenken an Reichspogromnacht mit Landesrabbiner Ariel Kirzon am Platz der Einheit, dem Standort der früheren Synagoge in Potsdam.

© Andreas Klaer

„Wir haben uns sicher gefühlt. Das ist leider vorbei“: Angst in Potsdams jüdischer Gemeinde

85 Jahre nach der Reichspogromnacht wurde in Potsdam an den 9. November 1938 erinnert. Dabei kam es auch zu Kritik aus der jüdischen Gemeinde an den aktuellen Zuständen.

| Update:

Deutlich mehr Menschen als in den vergangenen Jahren haben am Donnerstagabend am Platz der Einheit, dem Ort der früheren Potsdamer Synagoge, der Opfer der Reichspogromnacht vor 85 Jahren gedacht. Das Gotteshaus war am 9. November 1938 im Innern völlig zerstört worden. Die Torarollen wurden vernichtet. 1939 musste die Synagoge zwangsverkauft werden.

Leider lebe die jüdische Gemeinde heute wieder in Angst, sagte ihr Vorsitzender Evgeni Kutikow. Eltern hätten ihre Kinder aus Sorge nicht mit zur Gedenkveranstaltung genommen. Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) zeigte sich besorgt. „Wir stehen an Ihrer Seite und lassen alle, die sich mit Israel verbunden fühlen, nicht allein“, sagte Schubert. Innenminister Michael Stübgen (CDU) sagte, „wer Jüdinnen und Juden angreift, greift auch Deutschland an“. Es mache ihn betroffen, dass jüdische Einrichtungen in Deutschland einen besonderen Schutz benötigten, nicht erst seit dem 7. Oktober.

Landesrabbiner Ariel Kirzon verband sein Gebet mit einer Hoffnung. „Wir wollen ohne Angst, ohne Schutz und in Frieden leben“, sagte er.

Zusammen mit Star-Violinist Daniel Hope wurde bereits am Vormittag auf dem jüdischen Friedhof am Pfingstberg an die Reichspogromnacht vor 85 Jahren erinnert. Am 9. November 1938 war auch der Friedhof von Nazis geschändet worden. „Die Bewahrung unseres jüdischen Erbes und die Erinnerung daran ist mir ein besonderes Anliegen“, sagte Hope, aus dessen Familie der erste Potsdaner Rabbiner Michel Hirsch stammte. Er ist auf dem Friedhof begraben.

Daniel Hope (M.) beim Progrom-Gedenken auf dem jüdischen Friedhof in Potsdam.

© Andreas Klaer

Er wünsche sich, „dass wir alle in Frieden und Toleranz miteinander leben können“, sagte Hope. Doch gerade jetzt erfahren Juden auf der ganzen Welt und auch in Potsdam wieder Antisemitismus. Dabei müssen jüdische Einrichtungen, anders als christliche Kirchen, schon lange besonders geschützt werden. „Unser Gemeindehaus sieht aus wie eine Justizvollzugsanstalt“, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Evgeni Kutikow.

Doch die Gefahr sei real. „Ich hätte nie gedacht, dass wir unsere Gemeinde hinter Stacheldraht und Betonklötzen verstecken müssen. Dass wir Angst haben müssen um unsere Kinder, die in der Schule oder an der Universität als Juden erkannt und ausgegrenzt oder gar bedroht werden“, sagte Kutikow.

Wir haben uns sicher gefühlt. Das ist leider vorbei.

 Evgeni Kutikow, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Potsdam.

Als er vor etwa 30 Jahren mit seiner Familie nach Deutschland kam, sei er froh und dankbar gewesen, in ein demokratisches Land gekommen zu sein, in dem Juden sicher und ein geachteter Teil der Gesellschaft sind. „Wir haben uns viele Jahre sehr sicher gefühlt. Das ist leider vorbei“, sagte Kutikow. „Wo sind wir gelandet?“, fragte er. „Wir können auch lesen, was nicht weit von hier an einer linken und liberalen Universität verbreitet wird. Auch wenn in erster Linie Israel verteufelt wird, so wissen wir, dass Jüdinnen und Juden insgesamt gemeint sind.“

Umso bedauerlicher sei es, dass die jüdischen Gemeinden im Land gerade jetzt keinen richtigen Ansprechpartner hätten. Ein Antisemitismusbeauftragter werde in diesen Tagen mehr denn je gebraucht. Doch die Ernennung werde durch parteipolitische Spiele verhindert, kritisierte Kutikow.

Die Gemeinde freue sich jedoch sehr auf die neue Synagoge. Gemeinsam mit der Instandsetzung der Trauerhalle und der Erweiterung des Friedhofs werde ein Zeichen gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben in Deutschland gesetzt, sagte Kutikow. Die Gemeinde hoffe auf Spenden zur Instandsetzung der Trauerhalle. Daniel Hope schloss sich dem Aufruf an. „Wenn ich hier stehe, sehe ich, wie schön die Halle ist und wie schön sie sein könnte. Ich werde heute spenden und bitte Sie um Spenden.“

Susanne Krause-Hinrichs, Chefin der FC Flick Stiftung und Vertreterin des neuen Fördervereins des jüdischen Friedhofs, forderte eine große gemeinsame Anstrengung auf allen gesellschaftlichen Ebenen, um sich dem stärker werden Antisemitismus entgegenzustellen. Dies sei eine Aufgabe von Politik und Gesellschaft. Kulturministerin Manja Schüle (SPD) sagte, dass es 85 Jahre nach dem Pogrom und wenige Wochen nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober gelte, zusammenzustehen. Schüle sagte, „beiden Gewaltexzessen liegt der blindwütige Hass auf Jüdinnen und Juden zugrunde, die Unfähigkeit zur Empathie, der Wille zu Tod, Zerstörung und Leid“.

Spenden für die Trauerhalle: Konto der Jüdischen Gemeinde Potsdam, MBS Potsdam, IBAN: DE42 1605 0000 1000 6163 94, Stichwort „Trauerhalle“

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