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Die Statue in der Gedenkstätte Lindenstraße wurde vom VVN-BdA kritisiert, weil sie auch an inhaftierte NS-Täter erinnern würde.

© Andreas Klaer

Umstrittene Geschichte: Potsdamer Zankäpfel des Gedenkens

Immer wieder wird an Potsdamer Gedenkorten um das richtige Erinnern konkurriert – unter anderem rund um die Gedenkstätte Lindenstraße. Ein neues Buch zeichnet die Konflikte nach.

Die Gedenkstätte Lindenstraße, der Hiroshima-Nagasaki-Platz oder die Gedenkstätte Leistikowstraße – an all diesen Orten in Potsdam wird der Opfer von Unrecht und Gewalt gedacht. Doch das Gedenken lief nicht immer harmonisch ab: Opfergruppen fühlten sich nicht repräsentiert, Einweihungen wurden gestört, Gruppen der Zutritt verweigert.

Nun hat sich auch die Wissenschaft mit diesen Orten beschäftigt: Am Donnerstag wurde im Rahmen einer Podiumsdiskussion das Buch „Konkurrenz um öffentliches Gedenken – Erinnerungskulturen im Raum Potsdam und Brandenburg“ vorgestellt. Herausgeberinnen sind Amelié zu Eulenburg von der Stiftung Aufarbeitung und Irmgard Zündorf vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF).

„Wer hat eigentlich welchen Raum für seine Erinnerung, wer kann ihn nutzen, wo gibt es Konkurrenz um Fördergelder?“, nannte die Mitautorin Josephine Eckert vom ZZF bei der Diskussion einige der Ausgangsfragen. Zu den bekanntesten Beispielen gehört die Gedenkstätte Lindenstraße: In der NS-Zeit diente es als Untersuchungsgefängnis für politische Häftlinge, eine Funktion, die nach dem Krieg durch den sowjetischen Geheimdienst und später durch die Stasi fortgeführt wurde.

1989 wurde das Gefängnis aufgelöst, Bürgerinitiativen machten das Gebäude zugänglich und organisierten Führungen. Die Idee, aus dem Haus eine öffentliche Begegnungsstätte zu machen, scheiterte. 1990 brachte das Potsdam-Museum ein Schild mit der Aufschrift „Museum“ an der Eingangstür an. Auch die Potsdamer Denkmalbehörde war in einen Teil des Gebäudes eingezogen und nutzte den Innenhof als Lager für Skulpturen aus den Potsdamer Parks.

Lindenstraße: Konkurrenz unter den Opfergruppen

1995 erwarb die im selben Jahr gegründete Fördergemeinschaft „Lindenstraße 54“ die Bronzestatue „Das Opfer“ des DDR-Künstlers Wieland Förster und ließ sie im Innenhof des ehemaligen Gefängnisses aufstellen, um die Anerkennung als Gedenkstätte zu beschleunigen – allerdings standen dort immer noch die kaputten Skulpturen der Denkmalbehörde herum. „Das war ein Riesenstreit“, sagte Amelié zu Eulenburg. „Die Behörde wurde dazu ermahnt, den Innenhof zu beräumen.“

Ich denke, dass Konkurrenz an Gedenkorten etwas ganz Normales ist.

Amelié zu Eulenburg von der Stiftung Aufarbeitung

Doch auch die Förster-Statue gefiel nicht allen: „Die Figur entspringt eindeutig dem christlichen Bildkanon und erinnert an einen geschundenen Märtyrer“, sagt zu Eulenberg. „Das entspricht eher einer westdeutschen Denkmaltradition in Bezug auf den Nationalsozialismus.“ Der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) kritisierte, dass die Statue allen Opfern des Gefängnisses gewidmet ist, obwohl dort nach dem Krieg auch NS-Täter inhaftiert waren. Kritik gab es zudem daran, dass die Gedenkstätte ihren Fokus vor allem auf die DDR-Zeit legte.

Am 27. Januar 2005, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, kam es sogar zu Protesten vor der Gedenkstätte. Mittlerweile hat sich der Konflikt entspannt, da es seit einigen Jahren mit dem Willi-Frohwein-Platz einen eigenen Ort für das Gedenken an die NS-Opfer gibt. „Das hat die Situation in der Lindenstraße auf jeden Fall entzerrt“, sagte Josephine Eckert.

Nagasaki-Platz: Sorge um Beziehungen zu den USA

Weniger bekannt sind die Konflikte um den Hiroshima-Nagasaki-Platz, der an die rund 100.000 zivilen Opfer erinnert, die durch die Atombombenabwürfe der USA getötet wurden: Auf Initiative eines Grünen-Politikers war der Platz direkt gegenüber der Truman-Villa 2010 errichtet worden, dem Haus, in dem der amerikanische Präsident 1945 über den Abwurf der Atombomben beriet.

Ein CDU-Bundestagsabgeordneter schickte dem damaligen Oberbürgermeister einen Brief, in dem er davor warnte, dass der Platz die Beziehungen zu den USA stören könnte. Auch die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung, die die Truman-Villa damals und heute nutzt, weigerte sich, an dem Vorhaben mitzuwirken. Kritik kam auch vom ehemaligen Geschäftsführer der amerikanischen Industrie- und Handelskammer zu Berlin, der sogar versuchte, die Einweihungsfeier zu stören.

Auch die Gedenkstätte Leistikowstraße kommt im Buch vor: Der Konflikt um das ehemalige KGB-Gefängnis war 2023 eskaliert, weil die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten dem Verein „Gedenk- und Begegnungsstätte ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam“ verboten hatte, den Ort am 23. August für eine Gedenkveranstaltung zu nutzen. Die Stiftung selbst besteht auf einem Gedenken am 15. August, weil das Haus 1945 an diesem Tag in Betrieb genommen worden war (PNN berichteten).

Amelié zu Eulenburg bewertet die Konflikte gelassen: „Ich denke, dass Konkurrenz an Gedenkorten etwas ganz Normales ist.“ Dies sei letztlich ein Zeichen, dass bislang ungehörte Opfergruppen sich zusammengefunden hätten und ihre Stimme erheben, was grundsätzlich positiv sei. Ein universalistisches Gedenken, das alle einschließe, sei kaum möglich: „Der Wunsch nach Harmonie ist nachvollziehbar, aber steht in Konkurrenz zur Realität“, so zu Eulenburg.

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