zum Hauptinhalt

Sport: Schlägerei im Hafen

In einem brutalen Freiwasserrennen erkämpft sich Thomas Lurz WM-Silber über 10 Kilometer

Barcelona - Bei der Suche nach den Tätern, die für die dicken roten Striemen unterhalb seiner linken Schulter verantwortlich waren, hatte Thomas Lurz nach dem knapp zweistündigen Hauen und Stechen im Yachthafen von Barcelona sofort einen klaren Verdacht. Das salzige Mittelmeerwasser habe womöglich seinen Teil dazu beigetragen, vermutete der 33-Jährige, nachdem er am Montag mit einem beeindruckenden Finish über zehn Kilometer noch Silber hinter dem Griechen Spyridon Giannotis ergattert hatte. Wirklich schlimm war für den mit allen Wassern der Welt gewaschenen Würzburger aber die tobende Konkurrenz um ihn herum.

„Ich weiß nicht, wie die Trainer ihre Leute einstellen. Die sind losgeschwommen wie bei einem Marathonlauf – alle volle Kanne, von Anfang an“, staunte der Olympia- Zweite von London und schüttelte den Kopf: „Dafür habe ich kein Verständnis.“ Aber Lurz kam unter der stechenden spanischen Sonne auch bei dem Versuch ins Grübeln, in die Köpfe der WM-Organisatoren und der Funktionäre im Weltverband Fina zu blicken. 66 Starter hatten sich um zwölf Uhr mittags in das 25 Grad warme Wasser geschmissen, 62 von ihnen kamen ins Ziel. Und dort begehrte der malträtierte Lurz auf: „So eine hohe Teilnehmerzahl und so ein enger Kurs. Das ist unmöglich und hat mit Schwimmen nicht mehr viel zu tun.“

Teamkollege Christian Reichert, der als Neunter sein Tagwerk beendete, hatte das Ringen unter und über Wasser ebenfalls ordentlich zugesetzt. „Das war ein schweres Rennen heute, an den Bojen wurde doch ziemlich geschlagen“, berichtete der 28-Jährige. „Immerhin waren die Temperaturen angenehm, das war perfekt.“

Perfekt wäre auch das Rennen von Thomas Lurz gewesen, wenn er am Ende seines Schlussspurts nicht nur seinen speziellen Konkurrenten Oussama Mellouli, der ihn bei den Spielen 2012 Gold weggeschnappt hatte und diesmal Dritter wurde, und den Franzosen Damien Cattin-Vidal noch abgefangen hätte. Sondern auch den schlauen Hellenen Giannotis. Aber der Franke beglückwünschte den Weltmeister: „Er hat das sehr clever gemacht. Er wusste, dass Mellouli und ich schon die fünf Kilometer in den Knochen hatten.“ Zudem konnte er mit dem Sieg des 33-jährigen Griechen auch aus einem anderen Grund gut leben. „Ich schwimme jetzt schon zehn Jahre mit ihm. Letztes Jahr hatte er Pech, als er bei Olympia knapp eine Medaille verpasst hat“, erklärte Lurz. „Er ist ein Top- Schwimmer, dem gönne ich es.“

Im Fall des Tunesiers Mellouli, einem Kollegen mit Dopingvergangenheit im Becken, sind vergleichbare Komplimente kaum vorstellbar. Vor zwölf Monaten durchkreuzte der 29-Jährige den letzten großen Plan in der Freiwasserkarriere des zehnmaligen Weltmeisters Thomas Lurz: einen Olympiasieg. Deshalb steht Lurz nun vor der Frage, ob er noch bis Rio de Janeiro 2016 weitermachen soll. Nach der Heim-EM im nächsten Jahr steht die Entscheidung an. „Meine berufliche Zukunft ist das A und O. Wenn ich nach der EM noch zwei Jahre weitermache, hilft mir später auch keiner. Die Erfolge von jetzt sind dann schnell vergessen.“

Umso mehr genießt Lurz das Jetzt und Hier, freut sich auf den Teamwettbewerb am Donnerstag und überlegt sogar, am Samstag zum Abschluss erstmals über 25 Kilometer zu starten. „Die zehn Kilometer heute waren jedenfalls schon mal eines der härtesten Rennen, das ich je geschwommen bin“, betonte er. Und dazu applaudierte, mit Sonnenbrille auf der Nase, Freiwasser-Coach Stefan Lurz: „Heute hat er einen Kampfgeist und eine Willensstärke an den Tag gelegt, ich bin ganz stolz auf ihn. Ich ziehe wirklich den Hut vor meinem Bruder.“ Andreas Morbach

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false