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Ministerin Nonnemacher (Grüne, 3.v.r.) mit Chefärztin Dreesmann (rechts), Leitern des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) in Potsdam.

© Andreas Klaer

Kinder-Medizin wird neu gedacht: Was Potsdams Sozialpädiatrisches Zentrum leistet

Diagnose, Behandlung, Beratung: Das SPZ bietet Betreuung aus einer Hand für Kinder mit Defiziten und ihre Familien. Auch in Cottbus, Neuruppin und Frankfurt (Oder) gibt es solche Einrichtungen.

Der zweijährige Junge ist das erste Kind seiner Eltern. Ein Wunschkind. Doch er spricht kaum, sucht wenig Blickkontakt. Dem Kinderarzt kommt das merkwürdig vor: Er empfiehlt dem jungen Paar, den Sohn einmal im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) des Klinikums Westbrandenburg in der Potsdamer Behlertstraße vorzustellen. „Die Eltern kamen rein, und mir war klar: Das Kind hat ein fragiles X-Syndrom“, erinnert sich Chefärztin Mona Dreesmann. Eine Erbkrankheit, die zu Entwicklungsdefiziten und einer verminderten Intelligenz des Kindes führen kann.

Eine genetische Untersuchung bestätigte den ersten Verdacht. „Wir haben dem Kind dann einen Platz in der Integrationskita besorgt, eine Therapie beim Logopäden besorgt und ganz nebenbei festgestellt, dass die vermeintliche Parkinson-Erkrankung des Großvaters in Wirklichkeit ebenfalls Symptome der Erbkrankheit waren“, sagt Dreesmann. „Vor allem aber haben wir die Eltern darauf vorbereiten können, wie es für sie weitergeht: Es ist ihnen heute klar, dass ihr Sohn vermutlich nie alleine leben können wird.“

Das Ziel ist eine umfassende und individuell angepasste Unterstützung für jedes Kind.

Hans-Ulrich Schmidt, Geschäftsführer Klinikum Westbrandenburg

Die Idee der SPZ ist genial: an einem Ort aus einer Hand kann zusammen mit dem Kind oder Jugendlichen und den Angehörigen eine Behandlung besprochen und auf den Weg gebracht werden“, sagt Hans-Ulrich Schmidt, Geschäftsführer des Klinikums Westbrandenburg, der Kinder- und Jugendklinik in Potsdam. „Das Ziel ist eine umfassende und individuell angepasste Unterstützung für jedes Kind und jeden Jugendlichen zu bieten, damit sie ihre Potenziale bestmöglich entfalten können und um ihnen eine möglichst hohe Lebensqualität zu ermöglichen.“

Insgesamt vier Sozialpädiatrische Zentren gibt es im Land Brandenburg: Sie befinden sich in Cottbus, Neuruppin, Potsdam und Frankfurt (Oder), und sie sind dort an die großen Krankenhäuser angedockt. 8.500 Patienten betreuen sie im Jahr, in der Regel nach Überweisungen des Hausarztes oder Kinderarztes. „Wir sind die High-End-Versorger für Kinder und Jugendliche mit neurologischen Erkrankungen“, sagt Dreesmann.

Doch auch diese Einrichtungen haben Probleme: 1,5 Jahre beträgt die Wartezeit, bevor Kinder einen Termin in den SPZs bekommen. Es fehlt an Geld für Personal und größere Räume – und an einer fünften Einrichtung im Nordosten des Landes. „Zwischen Berlin-Buch und Greifswald gibt es kein SPZ“, sagt Dreesmann.

Während die Medizinerin spricht, hört eine andere Ärztin aufmerksam zu: Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) war am Freitag in das Potsdamer SPZ gekommen, um sich über die Arbeit der Zentren zu informieren. Bei einem Gespräch, an dem auch Vertreter der Einrichtungen in Cottbus, Neuruppin und Frankfurt (Oder) teilnahmen, betonte sie die Bedeutung dieser Einrichtungen.

„Es ist unsere Pflicht als Gesellschaft sicherzustellen, dass jedes Kind, jeder Jugendliche und jeder Erwachsene mit besonderen Bedürfnissen die bestmögliche Gesundheitsversorgung erhält“, sagte Nonnemacher. Die Sozialpädiatrischen Zentren im Land Brandenburg leisteten dafür einen sehr wichtigen Beitrag. „Sie begleiten junge Patientinnen und Patienten und deren Familien in schwierigen Situationen und Zeiten und bieten ihnen die bestmögliche medizinische und psychosoziale Versorgung.“

Doch wenn die Kinder und Jugendlichen 18 sind, stehen sie vor einem Problem. Denn dann sind nicht mehr die hochspezialisierten Kinderärzte mit ihren aus Logopäden, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und anderen Experten bestehenden multiprofessionellen Teams zuständig, dann fallen sie in den Bereich der Erwachsenenmedizin.

Hier aber gibt es in Brandenburg große Probleme: „Medizinische Zentren für Erwachsene mit Behinderung“ (MZEB) gibt es in Brandenburg nur ein Einziges – nämlich in Luckau. Eine Einrichtung in Beelitz ist nach Angaben von Dreesmann derzeit außer Betrieb. In den Städten, in denen sich die SPZs befinden, fehlen solche Einrichtungen völlig. „Wir sind in der großen Not, dass wir die Patienten nicht zur weiteren Versorgung abgeben können“, sagt Dreesmann. Nonnemacher verspricht, sich an dieser Stelle weiter für Verbesserungen einsetzen zu wollen.

Und an einer Stelle, die den SPZs und ihren Medizinern besonders am Herzen liegt, scheint es aus Sicht der Ministerin nicht nur einen Silberstreif, sondern eine veritable Morgenröte am Horizont zu geben: Die Versorgung der Kinder und Jugendlichen mit Hilfsmitteln, wie etwa einem Rollstuhl oder einer Orthese, soll vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen künftig nicht mehr verweigert werden können, sagte Nonnemacher. Dies sei auf der Bundesebene im neuen „Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz“ so geplant. Für Dreesmann und ihre Kollegen ist das eine gute Nachricht: „Wenn das wirklich so kommt, wären wir ein großes Stück weiter“, ist die Potsdamer Ärztin überzeugt.

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