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Im neuen Studiengang Jüdische Theologie an der Universität Potsdam lernen zukünftige Rabbiner und Konfessionslose mehr über das Judentum. Für einige ist es auch eine Suche nach persönlicher Wahrheit

Warum sie sich für ihr Studium entschieden hat? Diese Frage fällt Jasmin Bruck gar nicht so leicht. Seit ihrer Grundschulzeit in Berlin beschäftigt sich die 30-Jährige gerne mit der jüdischen Bibel. Auch ihr Entschluss, Rabbinerin werden zu wollen, steht für sie fest. Aber nach dem Grund zu fragen, warum sie ab diesem Semester Jüdische Theologie an der Universität Potsdam studiert, das führt schnell zu den grundsätzlichen Fragen, die sie umtreiben: Warum sind Menschen auf dieser Welt und was will Gott mit ihnen? Was gibt es für einen Sinn? Auch wenn Jasmin Bruck häufig gefragt wird, sie hat sich noch keine Standard-Antwort zurechtgelegt. Sie überlegt jedes Mal neu.

47 Studierende beginnen diesen Herbst im ersten Semester der neu geschaffenen School of Jewish Theology. Am 19. November wird dieser einzige jüdisch-konfessionelle Studiengang Europas offiziell eröffnet. Die ersten Lehrveranstaltungen sind bereits diese Woche angelaufen: Sprachkurse in modernem und rabbinischem Hebräisch sowie Aramäisch, eine Einführung in die hebräische Bibel, ein Seminar zum jüdischen Gottesdienst. Noten gibt es nur in den Sprachkursen. Die fünf Professuren für den neu eingerichteten Studiengang sollen bis Sommer vollständig besetzt sein, sie sind konfessionell gebunden. Das Studium ist aber unabhängig von einer Religionszugehörigkeit. Der 24-jährige Maximilan Feldhake gründet gerade die Fachschaft. Er ist im Alter von 17 Jahren zum Judentum konvertiert. Aus Phoenix in den USA kam er als Au-Pair zu einer Gastfamilie in Dresden, bei der er im Moment noch wohnt. Gemeinsam mit Kommilitonen sucht er eine Wohnung in Berlin.

Theologie an einer öffentlichen Hochschule? Dazu gibt es auch kritische Stimmen. Jasmin Bruck könnte sich auch mit einem Modell wie in den USA anfreunden, sagt sie, wo die theologische Ausbildung ganz in der Verantwortung der Religionsgemeinschaften liegt. Wenn aber wie in Deutschland christliche Theologie an Universitäten gelehrt werde, dann sollen auch andere Religionen wie das Judentum und der Islam vergleichbar gefördert werden, findet sie. Bruck war als 16-Jährige mit einem Austauschprogramm zum ersten Mal in New York und lernte dort ein liberales Judentum mit Rabbinerinnen und Gitarrenmusik während des Gottesdienstes kennen. Ihr ist wichtig, dass in den Seminaren jüdische und nicht-jüdische, gläubige und nicht-gläubige Studierende miteinander lernen. Auch wenn die Diskussionen etwa über Israel oder das Thema Beschneidung sie manchmal verletzen. Sie möchte lernen, auch in diesen Fragen liberaler zu sein. Gleichzeitig wünscht sie sich auch mehr Bewusstsein für die Religionsgruppen. Das beginnt zum Beispiel in der Mensa der Uni. Beim Mittagessen mache sie schon Kompromisse und verwende die nicht-koscheren Teller. Aber muss es wirklich so oft Schweinefleisch geben?

Jasmin Bruck besucht schon seit zwei Jahren das Abraham-Geiger-Kolleg, das an die Universität Potsdam angegliedert ist und auf ein liberales Rabbinat vorbereitet. Während dieser Zeit war sie für Jüdische Studien eingeschrieben, die in Potsdam ebenfalls angeboten werden. Den Unterschied zwischen dem Fach Jüdische Studien und Jüdische Theologie erklärt Bruck so: Hat sie zuvor gelernt, welche Feste es im jüdischen Kalender gibt und wie sie sich kultur- und sozialgeschichtlich einordnen lassen, möchte sie nun lernen, was diese Feste bedeuten. Die School of Jewish Theology richtet sich nicht nur an zukünftige Rabbiner und Kantoren, sondern will auch auf Vermittlungsberufe etwa in Museen oder anderen Bildungseinrichtungen vorbereiten.

Die konfessionslose Alex Richter möchte später gerne religionspädagogisch arbeiten, zum Beispiel in einem Museum mit Kindern. Am Fach Jüdische Theologie reizt sie, sich neben den historisch-sozialen Rahmenbedingungen des Judentums nun auch tatsächlich mit den verschiedenen Denkkonzepten auseinanderzusetzen. Schon in ihrem vorangegangenen Studium der Geschichte, Religion und Literatur hatte sie den Schwerpunkt auf deutsch-jüdische Geschichte gelegt. Auch für Richter hat das Studium einen persönlichen Bezug: Die Rolle ihrer 1921 geborenen Großmutter im Nationalsozialismus hat sie wie auch ihren Bruder dazu gebracht, sich mit dem Judentum zu beschäftigen. Ihr Bruder habe sich für Geschichte entschieden. „Ich bin die Religiösere von uns beiden“, sagt Richter.

Ihre Studienkollegin Dana Rothschild hofft auf eine gemischte Studentengruppe. Sie ist vor anderthalb Jahren aus Tel Aviv nach Berlin gezogen. In Tel Aviv hatte sie neben Jüdischer Theologie unter anderem Gender Studies belegt. Dass Ultraorthodoxe zusammen mit Studierenden in Seminaren saßen, die sie als „Avantgarde“ bezeichnen würde, empfand sie sehr bereichernd. Sie studiert erst einmal um des Studierens willen. Die Grenzen zwischen den Disziplinen kommen ihr teilweise sehr willkürlich vor. Sie will alles dafür tun, um im Talmud zu lesen und über Interpretationen zu diskutieren. Die Frage, ob sie sich mit ihrer Studienkombination also mehr für die jüdische Philosophie interessiere, kontert sie mit: „Definiere: Was ist Philosophie?“

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