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Die Recherche als szenische Lesung.

© Thomas M. Jauk

„Das Wir ist unfassbar kompliziert”: Correctiv-Recherche in Potsdamer Theater auf der Bühne

Das Hans Otto Theater hat die Enthüllung über ein Rechtsfront-Geheimtreffen als Lesung inszeniert. Die Vorführung war angemessen nüchtern, die Debatte im Anschluss ein wenig zu bequem. 

Das Theater ist grundsätzlich das Gegenteil von einem Geheimtreffen. Die Kunstform sei von ihren „Wurzeln her ein Forum der Demokratie”, sagte Bettina Jahnke, Intendantin des Hans-Otto-Theaters. So gesehen ist es nur folgerichtig, die Recherche von Correctiv, die ein Geheimtreffen der Rechtsfront in der Potsdamer Villa Adlon aufgedeckt hat, auf die Bühne zu bringen. „Es gibt eine ganz andere Dynamik, wenn Dinge öffentlich ausgesprochen werden”, so Jahnke am Samstag vor Beginn der Aufführung.

Deutlich über 500 Menschen sind an diesem Abend ins Hans-Otto-Theater gekommen. Der Theatersaal war voll besetzt, im Foyer des Hauses sammelten sich die Gäste vor Bildschirmen, auf denen man die Lesung auch mitverfolgen konnte. Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) und einige Stadtverordnete waren zu Gast, ebenso die brandenburgische Kulturministerin Manja Schüle (SPD) und Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne).

Inszenierung bleibt nüchtern und nah am Text

Wie inszeniert man überhaupt eine journalistische Recherche? Intendantin Jahnke, verantwortlich für die künstlerische Leitung der szenischen Lesung, hat sich für die nüchterne Variante entschieden: Joachim Berger, Jörg Dathe, Arne Lenk, Nadine Nollau und Alina Wolff trugen den Correctiv-Text abwechselnd vor. Dabei hielten sich die Schauspielerinnen und Schauspieler streng an die Vorlage, also den auch auf der Correctiv-Website veröffentlichten Text zur Recherche.

Das unterscheidet die Potsdamer Inszenierung von der des Berliner Ensembles: Dort haben die Schauspieler Recherche-Ergebnisse mit fiktiven Elementen vermischt, spielten zugleich Teilnehmer des Geheimtreffens und Kommentatoren des Geschilderten. Künstlerisch war das durchaus reizvoll. Die Darstellung im Hans-Otto-Theater bot dafür einen unverstellten Blick auf die Recherche-Ergebnisse. 

Die SS waren auch gebildete Leute. Man kann auch hochmusikalisch sein und dann abknallen.

Politikwissenschaftlerin und Ex-Viadrina-Präsidentin Gesine Schwan (SPD)

„Für mich war der Text nicht besonders schockierend, leider“, sagte Sineb El Masrar auf der Podiumsdiskussion im Anschluss an die Vorführung. Die Autorin hat sich für ihr Theaterstück „Dunkle Mächte“ (2021) mit Antisemitismus und Verschwörungsglaube auseinandergesetzt. Auch die Journalistin Antonie Rietzschel, die für die Leipziger Volkszeitung über die rechtsextreme Szene in Sachsen recherchiert, sagte, sie sei nicht überrascht von den mutmaßlichen Inhalten des Geheimtreffens gewesen. Durch die Correctiv-Veröffentlichung „wurde aber plastischer, was es bedeutet, wenn die AfD regieren würde“, sagte sie. 

Auch Neonazis können Bücher schreiben

Moderator Vladimir Balzer wies darauf hin, dass einige Teilnehmer des Treffens aus bürgerlichen Kreisen stammten, sogar „Leute, die Bücher schreiben“, seien dabei gewesen, staunte er. „Die SS waren auch gebildete Leute. Man kann auch hochmusikalisch sein und dann abknallen“, entgegnete Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan (SPD), die frühere Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).  

Expertenrunde im Anschluss an die Aufführung: Neonazi-Aussteiger Christian Weißgerber, Gesine Schwan (SPD), Journalistin Antonie Rietzschel, Autorin Sineb El Masrar und Moderator Vladimir Balzer (v.l.)
Expertenrunde im Anschluss an die Aufführung: Neonazi-Aussteiger Christian Weißgerber, Gesine Schwan (SPD), Journalistin Antonie Rietzschel, Autorin Sineb El Masrar und Moderator Vladimir Balzer (v.l.)

© Thomas M. Jauk

Den Gastgebern des Geheimtreffens in Potsdam kann man ebenso keine mangelnde Bildung vorwerfen: Gernot Mörig, der zum Rechtsfront-Treffen im November eingeladen hatte, war angesehener Zahnarzt in Düsseldorf, aber auch „Bundesführer” einer rechtsextremen Gruppierung. Landhaus-Chefin Mathilda Huss forschte einst an der Universität Cambridge, heute verbreitet sie krude Rassenideologie, was sie freilich bestreitet.

Und Wilhelm Wilderink, Eigentümer des Landhauses und nach PNN-Informationen mindestens ausreichend informiert über das rechte Treiben auf seinem Anwesen, ist Mitglied im Vorstand der Potsdamer CDU. Doch die unangenehmen Fragen nach der Nähe zwischen extremer Rechten und bürgerlicher Mitte wurden an diesem Abend nur am Rande angesprochen. 

„Es reicht nicht, sich den Bauch zu pinseln“

Angemessen unbequem zeigten sich allerdings Journalistin Rietzschel und Neonazi-Aussteiger Christian Weißgerber. „Es reicht nicht, sich nur bei Kulturveranstaltungen den Bauch zu pinseln. Wir brauchen materielle Argumente“, sagte Weißgerber. „Wenn Menschen eine 40-Stunden-Woche kloppen müssen, wann sollen die sich mit Politik auseinandersetzen?“ Für politische Teilhabe müsse eine Gesellschaft den wirtschaftlichen Druck reduzieren. Das wäre doch ein Ansatz für die „Wiedergeburt der Sozialdemokratie“, sagte er neckisch in Richtung von Gesine Schwan.

„‚Wir sind mehr‘ ist ein schöner Hashtag. Aber wer sind Wir?“, fragte Journalistin Rietzschel. 60.000 hätten auf dem Leipziger Marktplatz gegen die AfD demonstriert, einen Tag später hieß es in einer Studie, zwei Drittel der Sachsen halten Deutschland für „gefährlich überfremdet”. „Das Wir ist unfassbar kompliziert“, so Rietzschel.

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