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Wer schläft, verpasst halt was – nachts auf dem Wurzelfestival

© Wurzelfestival

„Wir wollten endlich mal länger tanzen“: Das Festival „Zurück zu den Wurzeln“ in Niedergörsdorf setzt auf Inklusion

Den Spirit illegaler Raves wollte Joana Steinbach erhalten – das Festival „Zurück zu den Wurzeln“ verwandelt ein Flughafengelände für ein Wochenende in einen Spielplatz für Erwachsene. Menschen mit Behinderung haben die Macher besonders im Blick.

Schon die Frage nach dem Line-up beweist, dass man keine Ahnung hat. Diesen Kult um den oder die Headliner wollen sie nicht mitmachen, erklärt Projektleiterin Joana Steinbach (29) freundlich, das „Zurück zu den Wurzeln“ lebe von der Atmosphäre und einem ganzheitlichen Konzept. Vom 8. bis 11. Juni findet es in Niedergörsdorf (in der Nähe von Jüterbog) auf einem ehemaligen Flugplatz statt, zum zehnten Mal. Besonderheiten: fantasievolle Gestaltung, Workshops, Sauna, zehn Floors und ein außergewöhnliches Bemühen um Inklusion. Mit 8000 Besucher:innen ist es eines der größeren Festivals im Land.

Frau Steinbach, wie muss ich mir das „Zurück zu den Wurzeln“-Feeling vorstellen?
Das ist ein riesiges, weitläufiges Gelände im Wald, früher war das ein Flugplatz. Wir bauen seit Wochen mit vielen Kräften auf, da kommt gerade jeden Tag etwas Neues dazu. Typisch ist, dass wir im Vorfeld Ebay-Kleinanzeigen nach Sachen durchforsten, die zu verschenken sind, und die einbauen. Aus einem Sofa wird vielleicht ein Häuschen, ein Staubsauger verwandelt sich in eine Rakete – das wird dann alles angeleuchtet, bewegt sich vielleicht noch. Ein bisschen wie ein Spielplatz für Erwachsene.

Am Festivalwochenende gibt es dann zehn Floors mit Musik von Techno über Reggae und 80er bis Punk, dazu ein breites Angebot an Workshops und Veranstaltungen, von Lachyoga bis Poetry Slam.

Das klingt nach viel Arbeit für ein Wochenende feiern?
Wir bereiten das schon ein Jahr vorher vor, vier Wochen vorher ziehen wir komplett aufs Gelände. Wir haben einige festangestellte Kräfte, dann Handwerker:innen, mit denen wir schon lange zusammenarbeiten und auch viele Freiwillige. Unsere Firma Secret Forest betreut auf dem Gelände übers Jahr aber auch noch andere Veranstaltungen. Unsere selbst gezimmerten Bühnen bleiben stehen.

Ihrer Homepage kann man entnehmen, dass Ihnen Inklusion am Herzen liegt. Behaupten das nicht alle Festivalmacher?
Das kann sein, es ist auf jeden Fall gar nicht so einfach umzusetzen. Wir haben von Anfang an gesagt, wir wollen Feiern für alle! Egal, welches Geschlecht, welche Hautfarbe, ob behindert oder nicht-behindert. Über die Jahre haben wir viel gelernt und immer wieder Rollifahrer:innen übers Gelände geschickt; da kam zum Beispiel auf, dass an den Bars die Tresen zu hoch sind – die sind inzwischen niedriger gebaut. Mittlerweile sind wir so weit, dass wir zu dem Thema auch andere Festivals beraten.

Grundgedanke: die Ellbogen mal runterkriegen

© Wurzelfestival

Was für Ideen haben Sie konkret entwickelt?
Zum Beispiel unser Inklusions-Camp für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Es bietet einen ruhigen Rückzugsort, besondere Betreuung, auch Ladestationen für E-Rollis; dann gibt es Buddys, die Hindernisse aus dem Weg räumen; wir legen Matten aus, sodass 90 Prozent des Geländes wirklich befahrbar sind. Sonst gibt es bei Festivals oft nur Podeste, aber bei uns kommt man mit dem Rollstuhl tatsächlich gut bis auf die Tanzfläche.

Ein großes Problem ist ein rollstuhlgängiger Duschcontainer – da gibt es in Brandenburg exakt einen im Verleih! Wir haben gerade über Crowdfunding das Geld zusammen, uns selbst einen anzuschaffen, den verleihen wir dann auch gerne. Außerdem haben wir ein Clean-Camp, wo nur Zelte erlaubt sind, gemütlich unter Bäumen. Dort wird nicht geraucht, kein Alkohol konsumiert, und es ist ruhig.

Wo liegen denn die Wurzeln des Wurzel-Festivals?
Wir kommen aus der Techno-Szene, das waren damals meist illegale Raves. Irgendwann wollten wir dann länger feiern, ohne dass immer gleich die Polizei kommt (lacht). Wir haben das Gelände in Niedergörsdorf gefunden und gepachtet; anfangs war das rein Elektro, dann hat sich das vergrößert, es wurden mehr Floors. Geblieben ist der Grundgedanke, dass wir die Ellenbogen mal runterkriegen wollen. Es geht ums Miteinander. Man sieht das den Leuten an – die lachen die ganze Zeit. Wir haben ein Stammpublikum, für viele ist das eine Art Familientreffen. Den Spirit der illegalen Open Airs wollen wir aber weiter vermitteln.

Wie ist die Zusammenarbeit mit den Locals?
Sehr entspannt. Die Behörden sind kooperativ, viele Dienstleister kommen aus der Umgebung. Wir brauchen allein an Security 50 bis 60 Leute pro Schicht, weil das Gelände eben so riesig ist. Wir haben ein Lärmschutzkonzept, an das halten wir uns. Klar, gibt es mal einen, der sich beschwert, aber zu 99 Prozent sind die Reaktionen positiv. 

Was steht am Festival-Wochenende auf Ihrem To-Do-Zettel? 
Während des Festivals ist pausenlos Action, da schlafen wir kaum. Das kann man eigentlich nicht voraussagen, was es konkret zu tun gibt – ich bin da in einer Art Kommandozentrale im Einsatz, wir steuern nach und improvisieren. Das kann vom ausfallenden Shuttlebus bis zu nicht funktionierender Technik alles sein. Zum Feiern kommen wir eigentlich nicht. Erst beim Abschluss-Set kommt das Team zusammen und tanzt, da kann man dann loslassen. Dann schlafen wir erst mal – und dann kommt der Abbau. Da wird dann sortiert, aufgeräumt und eingelagert für den Winter.

Verraten Sie uns noch einen Geheimtipp in der Region?
Am Rand des Festivalgeländes ist eine Kart-Bahn, und der Fläming-Skate führt direkt am Gelände vorbei. Ansonsten ist es eine geschichtsträchtige Gegend mit vielen Lost-Places-Orten.

Service: Zurück zu den Wurzeln, 8.-11. Juni, Vier-Tages-Ticket mit Camping 170 Euro plus 16 Euro Umweltzulage, Vergünstigungen für Gruppen. Das Festival ist ab 18 Jahre, die Macher arbeiten an einer Familienvariante. Flugplatzweg 6, 14913 Niedergörsdorf

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