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ARCHIV - 01.12.2015, USA, Los Angeles: Tardar Sauce genannt «Grumpy Cat», die inzwischen verstorbene US-Katze, die durch ihr stets mürrisches Gesicht 2012 zur Internet-Sensation wurde. (zu dpa «Das Phänomen der «sprechenden Petfluencer»») Foto: Richard Vogel/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Richard Vogel

Tierisch berühmt: Brandenburgerin erforscht Phänomen der sprechenden „Petfluencer“

Linguistin Miriam Lind untersucht, wie Hund und Katze im Netz vermenschlicht werden. Besitzer verleihen ihren Haustieren dabei nicht selten eine Stimme und erschaffen eine heile Parallelwelt.

Von Jeanette Bederke, dpa

Die inzwischen verstorbene „Grumpy Cat“ mit ihrem grimmigen Gesichtsausdruck war im Internet ein Star, ebenso wie die Katze „Choupette“ von Modeschöpfer Karl Lagerfeld. Die beiden gehörten zu den ersten „Petfluencern“ - also Haustieren, die durch ihre Präsenz im Netz weltberühmt wurden. Inzwischen gibt es unzählige niedliche Vierbeiner, die bei Instagram, Snapchat oder Tiktok von ihren Besitzern ein eigenes Profil bekamen, teils Millionen Follower haben - und weitaus kommunikativer erscheinen als „Grumpy Cat“.

„Mir fiel auf, wie viele Accounts es inzwischen gibt, auf denen hauptsächlich Hunde und Katzen nicht nur putzig aussehen, sondern angeblich auch sprechen“, erzählt Miriam Lind, Linguistin an der Frankfurter Europa-Universität Viadrina. Die Besitzer der Tiere tun in sozialen Netzwerken so, als würden ihre Vierbeiner scheinbar selbst ihre Gedanken und Gefühle teilen.

Lind beschäftigt sich in einem sechs Jahre laufenden Forschungsprojekt mit der Kommunikation zwischen Mensch und Tier. Wie sich die Sprache verändere, wenn Menschen nicht nur untereinander, sondern mit ihren Tieren kommunizieren, ist ihr Forschungsschwerpunkt. „Sprache ist ja eigentlich das zentrale Merkmal, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Was bedeutet diese zunehmende Interaktion zwischen beiden für das Verständnis von Sprache?“, fragt die 38-Jährige.

Haustiere als Familienmitglieder oder Partnerersatz

„Vor 100 Jahren waren Katze oder Hund - heute die häufigsten Tierarten bei den „Petfluencern“ - eher Nutztiere. Da wäre kaum einer auf die Idee gekommen, persönliche Gespräche mit ihnen führen zu wollen“, glaubt die Forscherin. Inzwischen aber scheine es ein grundlegendes Bedürfnis der Menschen zu sein, da Tiere zu echten Familienmitgliedern oder auch zum Ersatz menschlicher Lebenspartner würden.

Das kann auch Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund bestätigen. Sein Haustier in den sozialen Medien zu präsentieren, sei inzwischen Teil menschlicher Kultur geworden, sagt die Tierschützerin, die diese Entwicklung durchaus zwiespältig sieht. „Das Problem: Je erfolgreicher ein Tier als Petfluencer wird, umso höher ist das Risiko, dass Profit und Likes in den Vordergrund des Halters rücken und das Wohl des Vierbeiners aus den Augen verloren wird.“ Besonders kritisch sehen Tierschützer ihren Angaben nach die Vermenschlichung von Hund oder Katze, beispielsweise durch das Anziehen von Kleidung oder die Präsentation als Werbestar.

Miriam Lind, Linguistin an der Frankfurter Europa-Universität Viadrina.
Miriam Lind, Linguistin an der Frankfurter Europa-Universität Viadrina.

© dpa/Patrick Pleul

Follower würden dadurch ein falsches Bild von den tatsächlichen Bedürfnissen und Verhaltensweisen von Tieren vermittelt bekommen. „Tiere sollten nicht künstlich in Szene gesetzt, sondern wenn überhaupt in ihrem normalen Alltag fotografiert werden“, sagt Pommerening.

Etwa 12.000 „Petfluencer“-Posts von Hunden und rund 8000 von Katzen hat sich Forscherin Lind inzwischen näher angeschaut. Was ihr bei den im Herbst vergangenen Jahres begonnenen Recherchen als spezifisch deutsch aufgefallen ist: „Wer sein Tier nicht kommerziell vermarktet - etwa um besonderes Futter oder Zubehör von Kooperations-Firmen an Follower zu verkaufen - der kreiert mit ihm eine heile Parallel-Welt“, sagt die Sprach-Forscherin.

Süße Tierbilder im Internet seien der Renner, um vom stressigen oder problembehafteten Alltag abzuschalten. Infantil und verkindlicht würden Hund oder Katze zunehmend scheinbar sprechen. „Die Besitzer schreiben unter ihre Tierfotos Texte in der Ich-Form ihres Vierbeiners“, so Lind. Wer Kommentare zu diesen Posts hinterlasse, tue das häufig auch aus der Perspektive des eigenen Haustiers. „Da sind richtige Communities entstanden - vor der Nutzung des Internets undenkbar. Man bleibt unter sich, kritische Einträge gibt es kaum.“

Das Problem: Je erfolgreicher ein Tier als Petfluencer wird, umso höher ist das Risiko, dass Profit und Likes in den Vordergrund des Halters rücken und das Wohl des Vierbeiners aus den Augen verloren wird.

Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund

Das kann auch Linguistin Naomi Truan, an der holländischen Universität Leiden tätig, bestätigen. Sie hat speziell auf Twitter die Posts französischer Katzenbesitzer analysiert. „Die Besitzer tun, als wären sie ihre eigene Katze und transferieren eigene Emotionen auf das Tier. Da hat sich im Französischen eine Art Katzensprache mit bestimmten Begriffen und Formulierungen entwickelt, die jedes Mitglied der betreffenden Community übernimmt.“ Auch Dialekte würden dabei eine Rolle spielen. „Wer sich zugehörig fühlt, übernimmt diese Eigenheiten und passt sich an.“

Von ihrer Forschung erhofft sich Linguistin Lind vor allem Erkenntnisse, die beispielsweise in der Psychologie genutzt werden könnten. „Ich will erfahren, wie fundamental sich das Verhältnis zum Haustier gewandelt hat, das inzwischen quasi einen menschlichen Status bekommt und ich will verstehen, wie durch Sprache und Kommunikation eine Art Parallelwelt konstruiert wird, in der das Leben scheinbar noch in Ordnung ist.“ Zudem interessiere sie, was die Internetkultur mit den Menschen mache und wie durch Beiträge in den sozialen Medien neue Identitäten als Katzen- oder Hunde-Mama entstünden.

Wie KI bei der Kommunikation helfen soll

Auch Maschinen und Künstliche Intelligenz (KI) spielen bei der Kommunikation zwischen Mensch und Tier mittlerweile eine Rolle. „Da sollen Sprachassistenten oder KI-Programme entwickelt werden, die das Bellen übersetzen oder die Videotelefonie mit dem Vierbeiner ermöglichen sollen“, beschreibt Forscherin Lind.

Unternehmen würden Geräte entwickeln, die den Hund auch in Abwesenheit der Halter mit KI trainieren sollen. Zur Belohnung spucke die Maschine Leckerlis aus. „In einer Zeit, wo viele Leute kaum mehr Zeit für das Familienleben haben, sollen diese Geräte bei der Beschäftigung helfen“, erklärt Lind.

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