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Die Zahl von Gewalt betroffener Frauen steigt.

© dpa/Sophia Kembowski

Gewalt an Frauen steigt: Mehr Geld, aber zu wenig Plätze in Brandenburger Frauenhäusern

Die Frauenhäuser im Land bekommen seit 2023 eine Million Euro extra. Doch der Platzmangel bleibt. Wie gut sind die Frauen im Land versorgt?

Wenn Lili Schipurow einen Anruf bekommt, ist oft eine Frau in Not am Telefon. Eine Frau, die körperliche oder psychische Gewalt erfährt, Opfer sexualisierter Übergriffe wurde oder plötzlich wohnungslos ist. Nicht allen Frauen kann die Sozialarbeiterin im Frauenhaus Potsdam einen sicheren Ort bieten. „Im letzten Jahr konnten wir 192 Frauen nicht aufnehmen“, sagt Lili Schipurow. Die Gründe: Platzmangel und Personalmangel. Zudem müssen sie wohnungslose und psychisch erkrankte Frauen weitervermitteln, genauso die Risikofälle, bei denen durch die Wohnortnähe zum Partner eine Gefahr besteht.

Am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, wird vielerorts die Bedrohung von Frauen mit Fahnenhissungen und Veranstaltungen thematisiert. Wie gut sind sie in Brandenburg versorgt?

Die Gewalt an Frauen bleibt auf einem hohen Niveau. 2022 wurden 4291 Frauen in Brandenburg Opfer häuslicher Gewalt, acht mehr als im Vorjahr, so das Lagebild des Landeskriminalamtes, das lediglich die angezeigten Straftaten erfasst. Für das Jahr 2023 verzeichnet das Polizeipräsidium des Landes bisher einen Anstieg an Delikten häuslicher Gewalt, so Sprecherin Stefanie Pilz. Betroffen waren 2022 zu 70 Prozent Frauen, die Täter sind zu 74 Prozent männlich und zu 83 Prozent deutsch. 2022 waren 464 Frauen und 585 Kinder in Brandenburger Frauenhäusern untergebracht.

Für die Frauen ist es eine Riesenerleichterung. Sie müssen nicht mehr überlegen, ob sie sich das Frauenhaus leisten können.

Catrin Seeger, Vorstand des Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser. 

Zugleich hat sich die Situation für Schutzsuchende verbessert. „In diesem Jahr können wir erstmals kostenfrei Unterkunft anbieten“, berichtet Catrin Seeger vom Vorstand des Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser. Mit einer neuen Richtlinie, die das Landessozialministerium im Juni rückwirkend verabschiedete, stehen den Frauenhäusern 2023 und 2024 jeweils eine Million Euro extra zur Verfügung, unter anderem für eine bessere Bezahlung der Mitarbeiterinnen, zusätzliche Personalbedarfe und die Abschaffung der Nutzungsentgelte.

„Für die Frauen ist es eine Riesenerleichterung. Sie müssen nicht mehr überlegen, ob sie sich das Frauenhaus leisten können“, sagt Seeger. Trotz erhöhter Landesförderung bestehen „noch deutliche Versorgungslücken im Hilfesystem“, so das Sozialministerium.

Fehlende Plätze werden langsam aufgestockt

Als größte Herausforderung benennt Seeger den Platzbedarf. Im gesamten Bundesland gibt es 17 Frauenhäuser und vier Schutzwohnungen mit insgesamt 131 Familienplätzen. Laut der Istanbul-Konvention, die Deutschland 2018 unterzeichnete und die pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern einen Familienplatz vorsieht, müssten es 237 sein. 106 Plätze für Frauen und ihre Kinder fehlen.

Mehr Frauenhausplätze werden seit Jahren gefordert, hier bei einer Kundgebung in Potsdam 2021.
Mehr Frauenhausplätze werden seit Jahren gefordert, hier bei einer Kundgebung in Potsdam 2021.

© imago images/Martin Müller/Martin Müller via www.imago-images.de

Bis 2024 könnten laut Sozialministerium 23 Familienplätze dazukommen. Dank Fördermittel des Bundesinvestitionsprogrammes „Gemeinsam Gegen Gewalt an Frauen“ können einige Frauenhäuser, darunter das in Fürstenwalde, Cottbus und Lauchhammer, an-, aus- oder umbauen. In Rathenow sollen die fünf Familienplätze auf 14 aufgestockt werden, berichtet Catrin Seeger, die das dortige Frauenhaus leitet.

Auf Fördermittel wartet noch der Landkreis Potsdam-Mittelmark, der als letzter Kreis Brandenburgs den Bau eines eigenen Frauenhauses plant. Sobald die Gelder bewilligt sind, soll in Berlin naher Region neu gebaut werden, teilt Kreissprecher Kai-Uwe Schwinzert mit. „Ende 2024 wollen wir fertig sein“, sagt er. Anfang 2025 sollen insgesamt 27 Betten für Frauen und Kinder, die bisher in den Frauenhäusern in Potsdam oder Brandenburg/ Havel untergebracht waren, bereitstehen.

Zusätzliche Plätze gibt es bereits in Teltow-Fläming. Durch die Fusion zweier Frauenhäuser stehen seit Sommer 18 Zimmer mit 44 Betten zur Verfügung und bieten somit sechs weiteren Frauen mit ihren Kindern Schutz.

Mehr Migrantinnen und digitale Gewalt

„Der Bedarf ist gestiegen und hat sich verändert“, berichtet Catrin Seeger. Viele der Schutzsuchenden seien Migrantinnen. „Von 28 Frauen hatten im vergangenen Jahr 15 einen Migrationshintergrund“, berichtet sie vom Frauenhaus in Rathenow. Gedolmetscht wird seit Juli per Anruf oder Videotelefonie, finanziert aus dem Brandenburg-Paket bis Ende 2024. „Das ist eine Riesenentlastung für uns und die Frauen“, sagt Seeger.

Wir kriegen für die Frauen keinen Wohnraum.

Catrin Seeger, Vorstand des Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser. 

Sorgen macht ihr die Versorgung der Frauen und deren Kinder. Kita-, Schul- und Arztplätze seien schwer zu bekommen, vor allem wenn Betroffene aufgrund von Sicherheitsbedenken ein Frauenhaus in einem anderen Landkreis aufsuchen. „Wir kriegen für die Frauen keinen Wohnraum.“ So bleiben die Betroffenen um die 50 Tage in der Einrichtung, in den Vorjahren waren es 30 Tage. Das bedeutet zugleich: Sie belegen die Betten für neue Betroffene.

Ein weiteres Problem: Viele Frauen können nicht mehr untertauchen. Sie oder ihre Kinder bleiben für Täter per Smartphone erreichbar, sei es über Ortungsdienste oder Anrufe. In allen Einrichtungen bräuchte es eine IT-Fachkraft, die Tablets und Telefone beim Einzug durchcheckt, sagt Seeger. Auch in den Beratungsstellen spiele das Thema digitale Gewalt eine große Rolle.

Landesaktionsplan nach Istanbul-Konvention

Trotz steigender Nachfrage und knapper Plätze sagt Seeger: „Brandenburg ist auf einem guten Weg.“ Die Istanbul-Konvention soll im „Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder“ umgesetzt werden. Verwaltung und Zivilgesellschaft haben unter anderem Maßnahmen zu Prävention, Versorgung, Gesundheit sowie Strafrecht und Justiz erarbeitet. Der Landesaktionsplan werde voraussichtlich noch 2023 dem Kabinett vorgelegt, so das Sozialministerium. Eine Kontaktstelle der zivilgesellschaftlichen Akteure zur Umsetzung der Istanbul-Konvention (Kiko) befindet sich im Aufbau. 

Angesichts eines erstarkenden Antifeminismus müssten die erreichten Zwischenziele krisenfest abgesichert werden, appellieren der Frauenpolitische Rat Land Brandenburg und das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser. 

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