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Brandenburg: Geheimnisverrat

Vor 80 Jahren: Der mutigste Protestanten-Brief an Hitler und die Verhaftung des Friedrich Weissler

Berlin - Gute Stimmung aus Staatsräson war, wegen Olympia und des weltweiten Rampenlichts, im Sommer 1936 besonders angesagt. Auch deswegen sollte die Denkschrift einer „Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche“ wohl vertraulich bleiben. Der Text war Ende Mai – adressiert „An den Führer und Reichskanzler“ – fertig. In diesem schärfsten offiziellen Statement der Protestanten während der NS-Zeit wurde dem Diktator im dritten Jahr an der Macht „ehrerbietiger Gruß“ entboten und Fürbitte zugesichert. Aber die Kritiker zur Lage der Nation trauen sich was:

„Wie nie seit 1918“ werde ihre Kirche von Staat und Partei offen angegriffen. „Klare Frage an den Führer“: Ob die Entchristlichung Regierungskurs sei? „Keine Macht der Welt vermag die Kirche Gottes zu zerstören“, schreiben sie, doch würden Deutschlands „getaufte Christen mit zeitlichem und ewigem Unheil bedroht.“ Hitlerverehrung finde statt, wie sie „nur Gott zukommt“. Und „wenn hier Blut, Volkstum, Rasse und Ehre den Rang von Ewigkeitswerten erhalten, wird der evangelische Christ durch das erste Gebot gezwungen, diese Bewertung abzulehnen“, heißt es in der Denkschrift.

Der von einem Ministerium kontrollierten Kirche raube man die Freiheit der Verkündigung, zwinge sie zur Duldung von Irrlehren. „Wenn der arische Mensch verherrlicht wird, so bezeugt Gottes Wort die Sündhaftigkeit aller Menschen, wenn dem Christen im Rahmen der nationalsozialistischen Weltanschauung ein Antisemitismus aufgedrängt wird, der zum Judenhass verpflichtet, so steht für ihn dagegen das christliche Gebot der Nächstenliebe.“ Als gut gelte, „was dem Volke nützt“. Deutschland nenne sich Rechtsstaat, doch es gebe „immer noch Konzentrationslager“: Das belaste „evangelische Gewissen“, die auch von gegenseitiger Bespitzelei „unheilvoll“ beeinflusst würden.

Unterzeichnet haben das Dokument zehn Vertreter jener regimekritischen Bekennenden Kirche (BK), die sich seit 1934 gegenüber den „Deutschen Christen“ der Reichskirche als glaubenstreue Gemeinschaft formiert. Ihr Memorandum wird am 4. Juni 1936 in der Reichskanzlei an der Wilhelmstraße übergeben. „Not to be published or quoted before made public in Germany“ hatte auf dem Manuskript gestanden. Als die Theologen noch erwägen, das Dokument wegen der ausbleibenden Antwort von Kanzeln verlesen zu lassen, erscheint der vertrauliche Text Mitte Juli in der „New York Herald Tribune“ und in europäischen Zeitungen. Hat die BK ausländischen Regime- Feinden zugeliefert? Die Gestapo ermittelt. Von den drei Verhaftungen, die im Herbst erfolgen, wird am schwersten der Jurist Friedrich Weissler getroffen.

Der 1891 in Schlesien geborene, als Kind getaufte Weissler war Träger des Eisernen Kreuzes; er hatte eine Pfarrerstochter geheiratet, galt den Nationalsozialisten aber wegen seiner Herkunft als „Volljude“. Als Landgerichtsdirektor in Magdeburg verurteilt er im Februar 1933 einen SA-Mann, der regelwidrig mit Uniform vor Gericht auftritt, zur Ordnungsstrafe (3 Mark); er wird im Büro zusammengeschlagen, auf dem Gerichtsbalkon vor Publikum verhöhnt, in ein Lager verschleppt. Begründung für die folgende Dienstentlassung: seine Abstammung. Mit seiner Frau und den zwei Söhnen zieht Weissler nach Berlin, wo er die BK erst berät, dann ihre Kanzleileitung übernimmt. Die Zeitschrift „Junge Kirche“ veröffentlicht 1935 seinen Aufsatz „Von der rechtlichen Bedeutung des Bekenntnisses“, der die ideologische Instrumentalisierung der Glaubensinstitution und damit Hitlers „Deutsche Christen“ angreift: „Was innerhalb der Kirche gegen das Bekenntnis verstößt, ist rechtsunwirksam Das kirchliche Amt erlischt ohne Weiteres, sobald es zu einer Verletzung des Auftrages der Kirche missbraucht wird.“

Im März 1936 fällt auf Weissler und den Journalisten Werner Koch, die sich oft in Weisslers Wohnung in Westend getroffen hatten, der begründete Verdacht, dass beide einen illegalen Auslandspressedienst der BK betreiben. An der Denkschrift für Hitler hat der Bürochef maßgeblich mitgewirkt. Die Verbreitung des brisanten Textes lanciert er nicht, überlässt ihn aber Kochs Freund Ernst Tillich für eine Nacht – dessen Abschrift geht um die Welt. Am 7. Oktober wird Weissler in seiner Wohnung an der Meiningenallee, die heute durch Gedenktafel und Stolpersteine für ihn und für seine deportierte Mutter markiert ist, wegen „Geheimnisverrat“ verhaftet, im Polizeigefängnis am Alexanderplatz gefoltert; im Februar 1937 wird er, wie die gleichfalls verhafteten Tillich und Koch, ins KZ Sachsenhausen verlegt. Sechs Tage Einzelhaft, er wird als „Judenschwein“ beschimpft, gequält, zu Tode getrampelt. Seine Mörder täuschen Suizid durch Erhängen vor. Er gilt seit seinem Tod als „erster Märtyrer der Bekennenden Kirche“.

Als Jude, Jurist und Christ ist er das erste NS-Mordopfer aus der BK, deren Mitglieder im August 1936 von der Denkschrift mehrheitlich abgerückt sind. Der kirchliche Konflikt zwischen Obrigkeits- und Glaubenstreue tritt durch diesen mutigen Text und Weisslers Tod erst recht zutage. Als Einschüchterung wirkte der Racheakt nur bedingt: Bei der Befreiung des KZ Dachau im April 1945 befanden sich unter den überlebenden 1240 Geistlichen aus fünf Bekenntnissen 109 evangelische Pfarrer. Thomas Lackmann

Die Veranstaltungsreihe der Stiftung Topographie des Terrors und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz will anlässlich des 80. Jahrestags an die Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler erinnern. Im Rahmen eines Vortrags, einer Lesung und eines Seminars sollen die Vorgänge um die Entstehung, ihre Inhalte und ihre Verbreitung sowie die Folgen für die Beteiligten dargestellt werden. 26. Mai, 19 Uhr, St. Annen-Kirche (Dahlem), Lesung: Gefängnishaft - Konzentrationslager - Tod. Aus dem Briefwechsel Friedrich Weisslers mit seiner Frau. 28. Mai, 14 bis 18 Uhr, Topographie des Terrors, Seminar: Die Denkschrift der Bekennenden Kirche von 1936 und die Ermordung Friedrich Weisslers im KZ Sachsenhausen.

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