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Deko im Anmarsch, Vorbereitungen laufen. Ende der Woche öffnet die Grüne Woche in Berlin.

© dpa

Landwirtschaft in der Systemkrise: Zwischen Industrie und Grüne-Woche-Niedlichkeit

Die Landwirtschaft ist längst zu einem Hochsubventionsbetrieb geworden, der neuerdings aber nicht mal mehr Bauern reich macht. Wo bleiben die vielen Milliarden Euro? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Torsten Hampel

Am Freitag beginnt die Grüne Woche in Berlin, Deutschlands große Leistungsschau der Versicherungsbranche. Deren Akteure werden sich auf dem Messegelände unterm Berliner Funkturm präsentieren und von ihren Besuchern Eintritt verlangen, sie werden ihnen gutes Essen verkaufen und ihnen die für ihren Wirtschaftszweig völlig irrelevanten Kaltbluthengste Egon von Grüneberg und Eros von Brück vorstellen. Sie werden gut genährte Deutsche Braunviehkühe herzeigen und auch die Rasse Fleckvieh – laut Grüne-Woche-Unterlagen „ein fitnessstarkes und leistungsbereites Doppelnutzungsrind“. Wenn es so läuft wie in den vergangenen Jahren, werden die Tiere shampooniert und die Traktoren matschbefreit sein, gewachst und glänzend. Den „Erlebnisbauernhof“ wird es auch wieder geben. Wer schon einmal dort gewesen ist, der weiß: Das alles wird mit „Landwirtschaft zum Anfassen“ beworben, und es ist toll.
Es ist bloß nicht die Wahrheit. Allein schon deshalb, weil es eine „Landwirtschaft“ in Deutschland gar nicht gibt – falls man mit „Wirtschaft“, sondern eine nach den ansonsten akzeptierten Regeln des Marktes arbeitende, die Mechanismen von Angebot und Nachfrage austarierende Branche im Sinn hat, die auf freiem und risikobewusstem Unternehmertum beruht und im guten Fall dann auch noch Wohlstand schafft.
Mit so einer Wirtschaft hat das Land kaum etwas zu tun. Das Land funktioniert nach einem anderen Prinzip: auf der seit Jahrzehnten nahezu unwidersprochenen Solidarität einer Mehrheit gegenüber einer winzigen Minderheit. Es ist das Prinzip Vollkasko. Dessen Geschäftsgrundlage sind massenhafte und nie versiegende Geldüberweisungen nahezu aller zugunsten weniger, auf dass die wenigen im Schadensfall finanziell abgesichert sind.
55 Milliarden Euro, das sind 41 Prozent der Gesamtausgaben, sieht der EU-Haushaltsplan im Jahr 2017 für die europäischen Bauern vor. Für einen Geschäftszweig also, der laut Statistischem Bundesamt in Deutschland ein gutes halbes Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt und eineinhalb Prozent der Erwerbstätigen beschäftigt. Die Exotenbranche hat sogar ein eigenes Bundesministerium. Mit zwei Dienstsitzen: Einer ist in Bonn, einer in Berlin.

Wenn es klemmt, hilft der Staat - immer

Bundes- und Landessubventionen in Milliardenhöhe kommen dazu. Zusätzliche Großbeträge – „Soforthilfen“ genannt – werden vom Staat ausgezahlt, wenn trotz Vollkasko Landwirtsexistenzen bedroht sind, so wie zuletzt bei den Milchbauern. Wenn Brüssel feststellt, deutsche Bauern hielten sich nicht an Gesetze und verseuchten durch Überdüngung das Grundwasser und deshalb Klage einreicht: Wer zahlt dann die zu erwartende Geldstrafe? Wer zahlt für den Mehraufwand, den Wasserwerke betreiben müssen, um die Substanzen wieder unschädlich zu machen? Wer für die oft tödlichen Folgen von Antibiotikaresistenzen bei Krankenhauspatienten, für die nach Meinung etlicher Wissenschaftler das Impfen dauerkranker Tiere in Großmastanlagen mitverantwortlich ist? Wer zahlt für die Energiewendegesetze und den dadurch immer teurer werdenden Strom, der aus Windrädern auf Äckern stammt? Aus lukrativ von Bauern gehörenden oder verpachteten Quadratmetern? Wieder vor allem alle anderen.
Über die Jahrzehnte ist aus der sogenannten Landwirtschaft ein bestaunenswertes System geworden, in dem eine Minderheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Hand aufhält. Alle von Bauern – jenseits der Essensproduktion – neu erschlossenen Geschäftsfelder werden staatlicherseits erneut in Geld aufgewogen. Jedes neue Risiko dagegen wird ignoriert. Oder es wird nicht den Verursachern, sondern den Opfern in Rechnung gestellt. Den Steuerzahlern ohnehin, den Beitragszahlern der Krankenkassen, den Wasser- und den Stromkunden. Ist das nicht perfekt?
Es ist perfekt. Bis auf einen Punkt: Das System ist nicht mehr in der Lage, seine Kinder gut zu ernähren. Die Einkommen der Durchschnittsbauern sinken. Im vergangenen Jahr sind sie laut Brancheninfo um acht Prozent im Vorjahresvergleich gesunken, auf 39.700 Euro Gewinn pro Betrieb im Jahr. Im Jahr zuvor hatte es mit minus 34 Prozent einen noch deutlicheren Rückgang gegeben.
Wo also bleibt das ganze Geld, die vielen Subventions- und Nothilfemilliarden? Diese Frage ihren Besuchern zu beantworten, wäre eine schöne Beschäftigung für die Aussteller auf der Grünen Woche, für die Bauern und die Funktionäre. Sie würden damit auf Interesse stoßen. Auf mehr vielleicht sogar als Egon und Eros, die Kaltbluthengste.

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