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Ein Mann lässt sich in Delhi auf das Coronavirus testen.

© AFP

Indiens Hauptstadt Neu-Delhi: Zwischen Coronavirus und giftigem Smog

In Delhi steigen die Corona-Totenzahlen, die Krematorien sind überlastet. Indien hofft nun auf den Impfstoff – und sichert sich 1,6 Milliarden Dosen.

„Wir dachten Covid sei vorbei, doch dieser Monat war schockierend“, erzählt Rajesh. Der 27-Jährige arbeitet in der Pathologie des staatlichen Lok-Nayak-Krankenhauses in New Delhi. „Es gab Tage, an denen habe ich zehn, zwölf Tote hierher gebracht“, sagt er dem „Indian Express“. Rajesh hat keine Zeit für eine Pause bei seiner Arbeit am Nigambodh Ghat, Delhis größter und ältester Verbrennungsstätte am Yamuna-Ufer. Jeder fünfte Tote hier ist ein Corona-Patient. Indiens Metropole verzeichnet inzwischen über eine halbe Million Corona-Ansteckungen. Die Zahl der Todesopfer erreichte im November mit 2612 Fällen einen traurigen Rekord. Krankenhäuser haben keine freien Betten mehr, Krematorien sind überlastet.

Nach dem Ende des Diwali-Festes im Oktober und dem Beginn der kalten Jahreszeit sind die Corona-Fälle in Delhi merklich in die Höhe geschossen. Delhis notorische schlechte Luftqualität im Winter verschärft die Lage: die indische Hauptstadt verzeichnete in dieser Woche Feinstaub-Werte von über 350 Mikrogramm. Auch in den kommenden Tagen soll der giftige Winter-Smog anhalten.

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Zwar sind die Corona-Neuansteckungen in dieser Woche leicht gesunken, aber gleichzeitig protestieren Tausende Bauern in und außerhalb der Stadt gegen das neue Landwirtschaftsreform-Gesetz der Regierung, das den Sektor für private Investoren öffnet. Experten fürchten einen Super-Spreader-Event, zumal die Bauern keine Anstalten machen, ihre Demonstrationen aufzugeben. Gurmeet Singh aus Faridkot in der Punjab-Provinz harrt mit Hunderten Landwirte seit Tagen im Norden der Stadt aus – die wenigsten von ihnen mit Mund-Nasen-Schutz und sicherem Abstand zueinander. „Wir könnten Corona vielleicht überleben, aber wie werden wir dieses grausame Gesetz überleben, dass uns unser Brot und unsere Butter nimmt?“, klagte Singh der Nachrichtenagentur PTI. Singhs Mitstreiter sehen das ähnlich. Die Regierung hätte diese Versammlung nie erlauben dürfen, findet Ärztepräsident Krishan Kumar Aggarwal. Die Protestkundgebungen der Bauern seien nicht nur eine Gefahr für die Hauptstadt, sondern für ganz Indien.

Indien verzeichnet bisher insgesamt 9,5 Millionen Coronavirus-Infektionen

Delhi mit seinen über 20 Millionen Einwohnern erlebt bereits die dritte Corona-Welle: nicht nur die schlechte Luft ist ein Grund, warum das Virus sich hier so rasch verbreitet. Viele Stadtgebiete sind dicht besiedelt. In den Slums und Industriegebieten leben viele Wanderarbeiter, die auf engstem Raum zusammenleben. Millionen Migranten hatten im März die Stadt verlassen, weil sie mit dem harten Lockdown der Regierung ihre Arbeit und oft sogar ihre Unterkunft verloren hatten. Die meisten machten sich auf, in ihre Dörfer zurückzukehren, doch weil es dort keine Arbeit gibt, sind fast alle inzwischen wieder nach Delhi und die anderen Großstädte zurückgekehrt.

Anders als die Finanzmetropole Mumbai, die schon früh wissenschaftliche Erhebungen in den Armenviertels gemacht und Unterstützung geleistet hat, ist in Delhi wenig bekannt darüber, wie und wo das Virus sich in der Stadt genau verbreitet. Schätzungen zufolge haben bis Ende September zwischen 40 bis 60 Prozent der Bevölkerung von Delhi eine Corona-Infektion durchgemacht. In den Slums von Mumbai haben wohl viele Bewohner bereits Corona-Antikörper, weil sie eine Infektion durchgemacht haben, in reicheren Vierteln dürfte der Anteil viel niedriger liegen. Dieser Teile der Bevölkerung sei weiterhin gefährdet, auch wenn die Gesamtzahl der Infektionen in der Stadt hoch sei, schreibt der Londoner Mathematiker Murad Banaji im Magazin „Scroll“.

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Die Hoffnung auf eine Impfung ist daher groß. Indien verzeichnet bislang insgesamt mehr als 9,5 Millionen Corona-Infektionen und fast 140 000 Todesfälle. Am Donnerstag meldete das Gesundheitsministerium 35 551 neue Ansteckungen. Indiens Gesundheitsminister Harsh Vardhan hat bereits verlauten lassen, er wolle im August 2021 zwischen 250 und 300 Millionen Menschen geimpft haben. Dies ist immer noch vergleichsweise wenig für eine Bevölkerung von über 1,3 Milliarden Menschen. Im Moment vertritt Indiens Regierung jedoch die Meinung, dass nicht ganz Indien immunisiert werden muss, um die Übertragung des Virus zu verhindern. „Wissenschaft ist die einzige Exit-Strategie bei Covid-19“, sagte Vardhan kürzlich. Das Land ist weltweit der größte Impfstoffersteller der Welt und hat sich 1,6 Milliarden Dosen Impfstoff gesichert. Laut einer Erhebung der Duke University setzt Indien hauptsächlich auf das Präparat der Firma Novavax mit einer Milliarde Dosen, gefolgt von der Vakzine der Universität Oxford und des Pharma-Konzerns AstraZeneca mit einer halben Million Dosen. Beide Impfstoffe können in einem herkömmlichen Kühlschrank gelagert werden und eignen sich daher für Länder wie Indien, in denen Kühlketten und Lagerung bei sehr niedrigen Temperaturen eine Herausforderung darstellen.

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