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In Atlanta/Georgia erinnert ein Mauerbild an John Lewis.

© Dustin Chambers/REUTERS

Zum Tod des Bürgerrechtlers John Lewis: Amerikas moralischer Kompass

Bis zum Schluss kämpfte der Bürgerrechtler friedlich gegen Rassismus und für Gerechtigkeit. Die Wiederauflage des Marschs auf Washington wird John Lewis nicht mehr erleben.

Seinen letzten Auftritt hatte John Lewis nicht weit vom Weißen Haus. Hier, auf dem Abschnitt der 16. Straße im Herzen Washingtons, der seit dem 5. Juni „Black Lives Matter Plaza“ heißt, nahm der Bürgerrechtler zwei Tage nach der Umbenennung das Erbe seines lebenslangen Kampfes für ein gerechteres Amerika in Augenschein.

Und obwohl dieser Kampf längst nicht zu Ende ist, war Lewis nicht unzufrieden: Die Demonstrationen nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz hätten ihn „inspiriert“, erklärte er in einem Videochat mit dem ehemaligen Präsidenten Barack Obama, weil sie Menschen aller Hautfarben und Bevölkerungsschichten auf die Straße gebracht hätten.

Nach diesem Auftritt war der 80-jährige demokratische Kongressabgeordnete öffentlich nicht mehr zu sehen. Am Freitag starb er an den Folgen seiner Bauchspeicheldrüsenkrebserkrankung.

Mit Martin Luther King stand er auf den Stufen des Lincoln Memorials

Lewis wird die Wiederauflage des Marschs auf Washington nicht mehr erleben, die am 28. August mehr als 50 Jahre nach der Kundgebung stattfinden soll, bei der er 1963 der jüngste Sprecher war. Neben Martin Luther King stand er damals vor 200.000 Menschen auf den Stufen des Lincoln Memorials, um ein Ende der Diskriminierung von Schwarzen zu fordern. Der spätere Friedensnobelpreisträger King, der 1968 erschossen wurde, hielt dabei seine Rede „I have a dream“.

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Lewis, 1940 als Sohn eines Kleinpächters in Troy im Südstaat Alabama geboren, hörte King 1955 im Radio. Dessen Vision eines gewaltfreien Widerstands, um das Leben der Schwarzen vor allem im Süden des Landes besser zu machen, begeisterte ihn, er nahm Kontakt zu dem Pastor auf. Zusammen kämpften sie jahrelang gewaltfrei für die Gleichberechtigung der Schwarzen in den USA.

Der damalige US-Präsident Barack Obama umarmt John Lewis 2015 beim 50-jährigen Jahrestag des „Bloody Sunday“ auf der Edmund-Pettus-Brücke in Selma.
Der damalige US-Präsident Barack Obama umarmt John Lewis 2015 beim 50-jährigen Jahrestag des „Bloody Sunday“ auf der Edmund-Pettus-Brücke in Selma.

© White House/Pete Souza via REUTERS

Mit 21 war Lewis einer der Mitbegründer der Bürgerrechtsgruppe Freedom Ride, die Anfang der 1960er Jahre gegen die Rassentrennung im Verkehrssystem kämpfte. Die Protestmärsche von Selma nach Montgomery (Alabama) markierten dann den politischen Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung. Am Tag des ersten Marsches im März 1965, der als „Bloody Sunday“ in die Geschichte einging, wurde Lewis von der Polizei an der Edmund-Pettus-Brücke brutal niedergeknüppelt und erlitt einen Schädelbruch. In einer Petition wird nun gefordert, die Brücke nach ihm zu benennen.

33 Jahre sorgte er im Repräsentantenhaus für „good trouble“

Seinen Kampf um Gleichberechtigung focht er ab 1987 in Washington aus, wo er seinen Wahlbezirk in Georgia 33 Jahre lang im Repräsentantenhaus vertrat. Auch hier stand Lewis für „good trouble“ – er protestierte, wenn er etwas für falsch und ungerecht hielt: 2003 gegen den Irak-Krieg, 2016 für schärfere Waffengesetze, und im Januar 2017 boykottierte er die Amtseinführung von Präsident Donald Trump.

Der revanchierte sich auf seine Art: Nach der Nachricht vom Tod Lewis’ brauchte Trump mehr als 16 Stunden, um am Samstagmittag einen dürren Tweet abzusetzen, in dem er erklärte, er sei „traurig“, vom Tod des Bürgerrechtlers zu erfahren. Zuvor hatte er mehrere Stunden lang Golf gespielt. Auch ließ der Präsident die Flaggen zwar auf Halbmast setzen, aber lediglich für den Rest des Tages.

Alle anderen Nachrufe lesen sich dagegen wie Würdigungen eines großen Staatsmannes. Darin wird er als „Titan der Bürgerrechtsbewegung“, als „moralischer Kompass Amerikas“, als „Gewissen des Kongresses“ beschrieben, traurig, aber vor allem dankbar erinnern viele an Treffen mit ihm, an seinen mutigen Einsatz, von dem sie bis heute profitierten.

Barack Obama nannte ihn „seinen Helden“

Obama sprach davon, wie sehr Lewis sein eigenes Leben geprägt habe. Schon bei der ersten Begegnung als Student habe er ihn „seinen Helden“ genannt. „Als ich zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, umarmte ich ihn vor der Vereidigung und sagte ihm, dass ich nur dort sei wegen der Opfer, die er erbracht habe“, schrieb er.

In ihrem Chat Anfang Juni hat Lewis den Menschen, die nicht müde werden, vor dem Weißen Haus und an vielen anderen Orten im Land gegen Rassismus zu demonstrieren, sein Vermächtnis mit auf den Weg gegeben. „Wir dürfen nicht aufgeben, nicht bitter oder feindselig werden. Wir werden es schaffen“, forderte er da. Mutig und entschlossen „müssen wir ziehen und zerren, bis wir die Seele Amerikas erlösen“.

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