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Verwaistes Rednerpult im Willy-Brandt-Haus.

© Wolfgang Kumm/dpa

Zukunft der SPD: Wie die deutsche Sozialdemokratie zu retten ist

Neue Gesichter an der Parteispitze allein werden die Krise nicht beenden. Die SPD braucht ein neues Selbstbewusstsein und konkrete Antworten. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Siebzehn Kandidatinnen und Kandidaten für den Parteivorsitz, das ist einzigartig. Aber ist die SPD so zu retten? Keine Vorsitzende, kein Vorsitzender allein kann das schaffen, und auch ein Duo ist damit überfordert. Die SPD muss sich grundsätzlich anders positionieren – aber nicht programmatisch oder in die Links-Rechts-Falle stolpernd. Die SPD braucht ein neues Selbstbewusstsein, das sich nicht in ständiger Selbstbeschäftigung erschöpft. Sie muss Haltung zeigen, aber nicht wie ein wohlfeiler Bekenntnisautomat, sondern als verlässliche Institution. Sie muss aufhören zu hadern und zu lamentieren, an sich selbst zu appellieren und anzukündigen, was selbstverständlich ist. Ein politischer Orthopäde würden der SPD raten: Rücken gerade, aber die Nase nicht zu hoch.

Was sollen die Leute damit anfangen, dass führende SPD-Politiker nach den Landtagswahlen im Osten erklären, die Partei müsse „jetzt“ die Probleme „noch energischer“ angehen, müsse „jetzt noch mehr zuhören“? Warum jetzt? Weil die AfD so stark ist? Die Probleme waren ja schon vorher da. Glaubwürdig oder gar überzeugend ist das nicht. Was heißt kümmern konkret? Welchen Nutzwert hat eine Stimme für die SPD? Das wollen die Leute wissen. Nur zuhören oder gar anderen hinterherlaufen reicht da nicht.

Dorthin gehen, wo es wehtut

Authentisch wirkt die SPD nur noch in ihrer Angst vor der nächsten Wahl. Doch dafür gibt es keine Mitleidsstimmen. Die Beschäftigung mit Mikrothemen in Ermangelung einer Metastrategie ermüdet selbst die Treuesten. Dabei kann die SPD sich um Minderheiten kümmern, ohne Minderheitspartei zu sein – sie darf nur nicht die Sorgen der Mehrheit aus den Augen verlieren. Die SPD kann sich alltäglicher Beschwernisse annehmen, ohne auf Visionen zu verzichten – sie darf dann eben nur nicht abgehoben daherreden und muss dorthin gehen, wo es wehtut.

Die SPD kann sich angstfrei der Diskussion über Themen stellen, die als „rechts“ gelten, wie die Sicherheit – wenn sie unerschütterlich klar bleibt: „Rechts“ ist, wenn sich das Recht des Stärkeren durchsetzt, sozialdemokratisch ist es, dem schwachen Einzelnen zu helfen, ohne das Ganze aus dem Blick zu verlieren. Das ist mühsam. Aber wer's einfach haben will, geht besser gleich zur AfD.

Die SPD besiegt „die Rechten“ nicht, indem sie mit warnenden Worten gegen sie kämpft; sie muss für etwas kämpfen: für ihre eigene Politik, ihre Positionen und Überzeugungen, gerade dort, wo sie nicht populär sind. Ein Matthias Platzeck hat das gemacht, als Ministerpräsident verteidigte er Schröders Sozialgesetze auch dort, wo er ausgebuht wurde. Das wirkte stark, auch auf diejenigen, die ihm widersprachen. Dietmar Woidke dagegen warnte vor einem raschen Braunkohleausstieg mit der Begründung, das nutze der AfD. Er überließ der Rechtsaußenpartei damit die Hoheit über sein Handeln.

Ängstlichkeit und Verzagtheit schrecken Wähler ab

Die Leute wollen ein bisschen stolz sein auf die Partei, die sie wählen, und auf die Persönlichkeiten, die sie vertreten. Ängstlichkeit und Verzagtheit schrecken sie ab. Das ist auch ein Teil der Erklärung für den Erfolg der AfD. Wer selbst Angst hat, etwa vor dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes durch Digitalisierung und Automatisierung, wählt nicht gerne eine Partei, die halbherzig einen Aufschub durch Verzögerung des Unabwendbaren verspricht. Die SPD muss eine konkrete Antwort finden auf die Frage: Was wird aus mir, meinen Söhnen und Töchtern, meinen Enkeln? Aber die hat sie noch nicht.

Da ist es zweitrangig, wer an der Spitze steht. Anstatt bei 23 Regionalkonferenzen aus summiert 946 Jahren kandidierender SPD-Erfahrung eine neue Führung zu wählen, hätte die SPD lieber ausschwärmen sollen, egal ob gerade Wahlkampf ist oder nicht. Außerhalb der sozialdemokratischen Welt sind andere Fragen wichtiger als die Nahles-Nachfolge oder die Dauer der Koalition. Auch ein Jan Böhmermann hätte die Partei nicht gerettet. Das müssen die 430 000 Mitglieder, Abgeordneten und Funktionäre schon selber machen. Nicht nur in den kommenden Wochen, sondern jeden Tag aufs Neue.

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