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Debatte zur Einkommensverteilung. Der französische Ökonom Thomas Piketty in Den Haag bei einer Sitzung des niederländischen Senats.

© Bart Maat/dpa

Ziwischen Wirtschaft und Politik: Eine Weltkarte der Ungleichheit

In seinem neuen Buch „Kapital und Ideologie“ ergreift der französische Star-Ökonom Thomas Piketty offen Partei für die Abgehängten.

Die soziale Ungleichheit ist weder ein technologisches noch ein ökonomisches Phänomen, sondern ein politisches und ideologisches.“ So lautet die Hauptthese von Thomas Pikettys neuem Buch „Kapital und Ideologie“.

1300 Seiten Text umfasst der Band, in dem der französische Starökonom sich anschickt, eine ökonomische, soziale und politische Geschichte inegalitärer Systeme von den Feudal- und Sklavenhaltergesellschaften bis zu den postkolonialen und „hyperkapitalistischen“ Gesellschaften der Gegenwart zu schreiben. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Ideologie, denn „jede Gesellschaft muss ihren Ungleichheiten einen Sinn geben“, damit diese gerechtfertigt und akzeptiert werden können.

Der erste Teil des Buchs bietet einen ökonometrisch fundierten Aufriss der europäischen Geschichte der Ungleichheit vom Mittelalter bis zu den modernen Gesellschaften. Im zweiten Teil geht Piketty auf Kolonial- und Sklavenhaltergesellschaften ein, wobei auch die indische, die chinesische und die russische Geschichte Berücksichtigung finden.

Der dritte Teil schließt diese Erzählung mit der Darstellung der Selbstzerstörung der europäischen Eigentümergesellschaften in den beiden Weltkriegen, der sozialdemokratischen Nachkriegsprojekte, der kommunistischen und postkommunistischen Erfahrungen und schließlich des heutigen „Hyperkapitalismus“. Im vierten Teil weicht die Geschichtsschreibung einer politischen und soziologischen Gegenwartsanalyse.

Die identitäre Falle

Als entscheidende politische Herausforderung unserer Zeit wird die „identitäre Falle“ identifiziert. Die Sozialdemokratie sei Opfer ihres eigenen bildungspolitischen Erfolgs geworden, indem sie sich von einer Arbeiterpartei in eine Akademikerpartei verwandelt habe. Die ehemalige Klientel empfinde sich heute als Globalisierungsverlierer und drohe, zwischen einer „Kulturlinken“ und einer „Businessrechten“ heimatlos geworden, sich auf die nationale Identität zurückzuziehen.

In der Regierung Macrons, de facto aber auch bei den britischen Remainers, sieht Piketty eine Koalition dieser zwei Lager von Globalisierungsgewinnern, die sich selbst als progressiv betrachten und einen verächtlichen Blick auf die Abgehängten werfen. Die Rechte verstehe, an die aufkeimenden Ressentiments dieser Schicht zu appellieren, ohne dabei von einer neoliberalen Wirtschaftspolitik abrücken zu müssen.

Die Sozialdemokratie hingegen stehe mit leeren Händen da, da sie es schon vor Jahrzehnten verpasst habe, ein postnationales Programm zu entwickeln. Piketty antwortet auf diese politische Herausforderung mit dem Programm eines „partizipativen und dezentralen Sozialismus“.

Ein Grunderbe für jeden Bürger

Dieser stützt sich im Wesentlichen auf die stark progressive Besteuerung von Einkommen, Besitz und Erbe, beinhaltet aber auch neuartige Elemente wie eine radikalisierte Mitbestimmung in Betrieben und eine Art „Grunderbe“ von 120000 Euro, das im Alter von 25 Jahren an jeden Bürger ausbezahlt werden soll.

Das neue Buch fällt insgesamt durch eine radikalere politische Positionierung auf. Piketty ergreift konkret Partei, stellt sich auf die Seite der „Abgehängten“, die er gegen den Klassenhass der Eliten und Globalisierungsgewinner in Schutz nimmt. Er solidarisiert sich der Sache nach mit den gilets jaunes und greift das neoliberale Europa an.

Piketty präsentiert sein Buch als eine Fortsetzung des Vorgängerwerks „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ (2013/2014). In diesem Buch rekonstruierte der Autor minutiös die Vermögensverteilung in Europa und Nordamerika über drei Jahrhunderte. Piketty konnte zum einen zeigen, dass sich über das 19. Jahrhundert hinweg das Eigentum immer weiter konzentrierte.

Dieser Trend wurde erst durch die „politischen Schocks“ der Weltkriege beendet, bevor die Eigentumskonzentration ab den 1970er Jahren wieder einsetzte. Zum anderen benannte Piketty einen konkreten Mechanismus: Wenn das Wirtschaftswachstum hinter die Kapitalrendite zurückfällt, wächst das bestehende und vererbte Vermögen „von alleine“ schneller als die Einkommen aus Arbeit, womit auch die Ungleichheit weiter zunimmt.

Die Versprechen des Kapitalismus mussten scheitern

Piketty war mit „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ ein echter Coup gelungen: Ein gestandener Schulökonom wies mit empirischen Daten akribisch nach, dass der Kapitalismus an seinem moralischen Versprechen, die Schranken der Ständegesellschaften zu überwinden und zu einer gerechteren Gesellschaft zu führen, gescheitert ist – und sogar scheitern musste.

Denn den Kapitalismus hinderten ja nicht widrige Umstände daran, seine wohltuende Wirkung zu entfalten. Er bringt die wachsende Ungleichheit vielmehr nach seinen eigensten Gesetzen hervor. Piketty stellte sich damit offen gegen den Mainstream seines Fachs. Die Empörung unter den liberalen Kollegen war groß.

Aber auch auf der anderen Seite des Spektrums war die Verwirrung beträchtlich. Der reiche Datenregen war den traditionell kapitalismuskritischen heterodoxen Ökonomen hochwillkommen, aber die orthodoxen ökonomischen Modelle und Begriffe hinter den Zahlen waren nicht zu übersehen.

Überhaupt bemerkte man bei Piketty eine gefährliche Nonchalance im Umgang mit Begriffen wie „Kapital“ oder „Kapitalismus“. Insbesondere den Kapitalbegriff fasste Piketty als bloße Summe jeglichen Besitzes, von Maschinen ebenso wie Luxusgütern, womit unklar wurde, welche Rolle das Kapital in der Produktion spielt.

Mit „Kapital und Ideologie“ folgt nun die Fortsetzung. Hauptunterschied ist laut Piketty der in zweifacher Weise erweiterte Fokus: Zum einen finden nun auch außereuropäische Länder Berücksichtigung, zum anderen wagt sich Piketty daran, die Blackbox der „Ideologie“ zu öffnen.

Geschichte als Geschichte von Ideologien

Die Geschichte, so sucht sich Piketty von Marx abzusetzen, sei keine Geschichte von Klassenkämpfen, sondern von Ideologien. Der deutsche Leser sei an dieser Stelle gewarnt, dass Pikettys Begriff der „Ideologie“ problematisch ist. Zum einen ist das französische „idéologie“ weiter gefasst und wird nicht nur pejorativ gebraucht.

Ideologie bezeichnet hier einfach die normative Grundlage einer jeden Gesellschaft. Dazu kommt, dass „Idéologie“ bei Piketty so etwas wie das geteilte intellektuelle und moralische Koordinatensystem einer Gesellschaft umfasst, wie es sich in der politischen Rede, aber auch in Roman und Kino ausdrückt, auf die sich der Autor immer wieder bezieht.

Vor allem aber meint Piketty mit Ideologie deren kristallisierte Gestalt in Form der Institutionen, nämlich der Rechts-, Steuer-, und Bildungssysteme. Niemals aber versteht er unter Ideologie philosophische und politische Theorien. Was findet man in „Kapital und Ideologie“? Piketty selbst spricht von einer „histoire raisonnée“ der inegalitären Gesellschaften. Diese Bezeichnung lässt an das Dictionnaire Raisonné der französischen Enzyklopädisten denken.

Zunächst teilt Piketty mit den Aufklärern den Empirismus. Seine Geschichte beginnt mit den Quellen in Gestalt von Zahlenmaterial. Auf dieser Grundlage entfaltet er seine Geschichte der Ungleichheit und die soziologische Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation. Nach allen Regeln der Kunst entlarvt er die gängigen Narrative einer Elite, die die erfolglosere Mehrheit der Gesellschaft als rückständig abstempelt und alle Kritik, die sie selbst treffen könnte, als „populistisch“ abtut. Triumpg des

Das Herzstück - die Geschichte des Eigentums

Als Historiker vermag Piketty zunächst weniger zu beeindrucken. Die Kapitel über die außereuropäischen sowie die kommunistischen und postkommunistischen Gesellschaften wirken streckenweise angelesen und sind bei weitem nicht so informativ, wie es der Umfang gestatten würde. Das Bild ändert sich freilich, wenn man zum Herzstück des Buchs vordringt: der Geschichte des Eigentums. Die Erzählung verläuft in fünf Akten.

Sie beginnt mit der Französischen Revolution, in der sich die Aufgabe stellte, die Privilegien des Adels und die Facetten der feudalen Eigentumsbeziehung in zwei Klassen zu sortieren: hoheitliche Rechte einerseits, die nunmehr dem Staat zufallen sollten, und Eigentumsrechte andererseits, die aufgrund einer quasi vertraglichen Natur als legitim anerkannt und dem Adel belassen werden konnten.

Diese Trennung ist für uns heute banal, stellte in der historischen Situation aber eine Herausforderung dar. Die Rekonstruktion dieser Trennung ist eines der Glanzstücke von Pikettys Buch.

Triumph des Eigentums

Die Französische Revolution erscheint hier nicht als Erringung von Demokratie und Menschenrechten, sondern als Triumph von Eigentum und Geldstabilität. Es folgt das 19. Jahrhundert als eine Epoche der „Sakralisierung“ des Eigentums und der Ungleichheit.

Das Eigentum wird zum Naturrecht mit verfassungsrechtlicher Absicherung. Als schockierendes Sinnbild dieser Epoche wählt Piketty ein Kapitel aus der Geschichte der Abschaffung der Sklaverei: Es waren die Sklavenhalter, die für das verlorene Eigentum entschädigt wurden, nicht aber die Sklaven für das erlittene Leid und die unentgeltliche Arbeit.

Die Ungleichheit steigert sich bis zu dem großen Crash in den beiden Weltkriegen. Sie eröffnen den dritten Akt, in dem sozialdemokratische Gesellschaftsentwürfe das Eigentum einzuhegen helfen. Mit der „konservativen Revolution“ der 1980er Jahre und dem Zusammenbruch des Ostblocks wird der vierte Akt der „neoproprietaristischen“ Gegenwartsepoche eingeläutet.

Sinnbildlich ist für Piketty hier vor allem das neoliberale Europa, das seine politische Einheit allein auf freien Kapitalfluss zu gründen trachtet. Man denke an den Investorenschutz, dem eine Art Recht auf Profit eingeschrieben ist. Wenn Piketty diese Verabsolutierung des Eigentums als einen „Archaismus“ bezeichnet, enthält dies eine subtile Spitze.

Die Eliten sind die wahren Rückständigen

Als „archaisch“ – nämlich rückständig, nationalistisch, ressentimentgeladen – nehmen die heutigen Eliten die Globalisierungsverlierer wahr. Piketty wirft den verächtlichen Blick der Eliten auf diese selbst zurück: Sie sind die wahren Rückständigen. Der fünfte Akt schließlich ist der Zukunft vorbehalten. In der Finanzkrise von 2008 sieht Piketty einen Wendepunkt zu einem Klima, in dem auch seine Pläne eines partizipativen Sozialismus gedeihen können.

Taucht man tiefer in die Geschichte ein, die Piketty zu erzählen hat, begreift man allmählich, dass „Kapital und Ideologie“ mitnichten einfach eine Fortsetzung von „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ darstellt, sondern ihm eine fundamental veränderte Geschichtskonstruktion zugrunde liegt. 2013 ging er davon aus, dass ökonomische Gesetzmäßigkeiten die Langzeittendenzen regeln.

Diese können durch externe, politische Schocks gestört werden, woraufhin das System allmählich wieder in die ökonomisch definierten Bahnen zurückkehrt. Bereits 2015 hatte Piketty freilich angemerkt, dass er die Schocks nicht als wirtschaftsfremde Größen verstanden wissen will, sondern diese großteils als Resultat der Ungleichheit.

Umgestülptes Geschichtsmodell

Überraschenderweise führt diese „Endogenisierung“ der politischen Schocks aber nicht zu einer rein ökonomischen Geschichtskonstruktion, die die Politik nur mehr als abhängige Variable zulässt. Das Gegenteil ist der Fall, es tritt ein geradezu umgestülptes Geschichtsmodell zutage.

Zwar unterscheidet Piketty wieder zwischen langfristig wirkenden „tieferliegenden Ursachen“ einerseits und einer kurzfristigen „Ereignislogik“ andererseits. Als Erstere nennt er aber nun in genauer Umkehrung „längerfristige politisch-ideologische Entwicklungen“.

Erreichen diese einen kritischen Punkt der Instabilität, entscheiden die lokalen Verhältnisse, welcher „Abzweigung“ die Geschichte folgt (richtiger wäre in der Übersetzung „Bifurkation“, ein Schlüsselbegriff, den Piketty der Weltsystemtheorie Wallersteins entlehnt). Ideologie – also die institutionelle Infrastruktur – wird in Pikettys Geschichtsmodell zum wichtigsten erklärenden Faktor. Damit steht das neue Buch diametral gegen den Vorgängerband.

Die Annahme von ökonomischen Gesetzen als einer fundamentalen Schicht der historischen Wirklichkeit im Buch von 2013 war noch der Vorstellung verpflichtet, dass Prozesse wie die Kapitalakkumulation und insbesondere die Rekonsolidierung des Kapitals gleichsam „aus sich selbst heraus“ geschehen, also Naturprozessen gleichen.

Naturrecht und soziales Verhältnis

Nun hält Piketty dagegen, dass sich solche Prozesse der öffentlichen institutionellen Infrastruktur verdanken. Diese Einsicht ist auch politisch entscheidend. In diesem Bild verliert das Privateigentum den Anschein des Naturrechts und wird als soziales Verhältnis sichtbar.

Dieser Ansatz Pikettys mag naiv erscheinen, insofern die herrschende Klasse ihre Ideologie oft selbst nicht ernst nimmt. Piketty nennt immer wieder Beispiele, die einen guten Schuss Heuchelei, Verlogenheit und Zynismus enthalten: England rechtfertigt seine Kolonialherrschaft in Indien mit dem Schutz des Landes vor seiner brutalen Oberschicht, empfindet den Versuch Chinas, sich vor der Opiumflut zu schützen, als Verletzung der Prinzipien des Freihandels, setzt sich aber der indischen Konkurrenz auf dem Textilmarkt erst dann aus, als die heimische Industrie bereits einen klaren Vorteil errungen hat. Auch das auf „Chancengleichheit“ ausgelegte französische Bildungssystem brandmarkt Piketty als heuchlerisch.

Viel wertvoller als diese Anklagen ist die Einsicht, dass die Ideologie des Eigentums die Heuchelei im Grunde überflüssig macht und den Besitzenden erlaubt, einfach auf ihr natürliches Recht zu pochen. So können die „absentee landlords“ von der britischen Hauptinsel aus das benachbarte Irland in eine Hungersnot stürzen, so können sich Sklavenhalter bei der Durchsetzung der Menschenrechte entschädigen lassen, so kann der Kapitalist einen Teil des kargen Lohns sogleich als Miete der Wohnung, die er ebenfalls besitzt, zurückfordern, so können Deutschland und Frankreich noch mit den Zinsen der Notkredite, die sie Griechenland gewährten, Geld verdienen.

Gesellschaften vergleichen, die nicht verglichen werden wollen

Den Einwand, dass sich die historischen und kulturellen Fälle nicht vergleichen ließen, pariert Piketty raffiniert, indem er ihn dem Verdacht einer politischen Unaufrichtigkeit aussetzt: Er vergleiche nicht Unvergleichbares, sondern gerade Gesellschaften, die „lieber nicht miteinander verglichen würden“.

Ungeachtet dieser geschickten Verteidigung steht Pikettys Projekt auf Messers Schneide. Der tiefere Grund dafür ist, dass die Ökonomie nicht über allgemeine, überhistorische Kategorien verfügt, sondern in ihren Begriffen an die je spezifische, im vorliegenden Fall kapitalistische Wirtschaftsform rückgebunden bleibt. Konkret bedeutet dies, dass Piketty in der Messung der Ungleichheit mit Größen arbeitet, die in Geldmengen, mithin der Sprache des Marktes ausgedrückt werden. Dieser Ansatz steht in einem Spannungsverhältnis zu Pikettys übergeordnetem Ziel, die Kategorie des Eigentums zu historisieren.

Just in dem Maß, in dem das Projekt gelingt, muss die Sprache problematisch werden, in der es nur gelingen kann. Wie ist zum Beispiel in der Eigentumsverteilung ein Sklave abzubilden, der sich nicht einmal selbst besitzt, wie die nichtmonetäre Ungleichheit in einer Planwirtschaft, wie das durch die Naziokkupationen verursachte Leid, wie der Wertverlust geschädigter Ökosysteme?

Schwammige Grundbegriffe

Zu dieser prinzipiellen Schwierigkeit gesellen sich weitere Probleme. Auch im neuen Buch werden die Grundbegriffe – Ideologie, Kapital, Kapitalismus – nicht mit der gebotenen Sorgfalt definiert. Auch darüber hinaus legt Piketty eine verblüffende Nonchalance an den Tag. Auf der einen Seite trifft man unentwegt Begriffe aus der orthodoxen ökonomischen Theoriebildung: „Humankapital“, „Naturkapital“, „Externalitäten“. Daneben stehen unvermittelt sozialwissenschaftliche Begriffe wie „säkulare Trends“, „Dispositive“ (Foucault), „symbolisches Kapital“ (Bourdieu) oder „Schocktherapie“ (Naomi Klein). Dies wird zu einem echten Problem, insofern diese beiden Stränge von Begriffsbildungen inkompatibel sind.

Die ökonomischen Begriffe spiegeln die Perspektive des individuellen Akteurs wider, während die sozialwissenschaftlichen Begriffe gesellschaftliche und strukturelle Mechanismen benennen. Zu dieser theoretischen Unschärfe gesellen sich inhaltliche Leerstellen.

Die wichtigste: Gleich ob er die Ungleichheit als Hemmschuh der Entwicklung geißelt, dem Kapitalismus einen kurzsichtigen Egoismus vorwirft oder in seiner vergleichenden Geschichtsschreibung nach vermeintlich besseren Lösungen sucht – überall schwingt eine Vorstellung von Fortschritt mit, die angesichts der ökologischen Krise problematisch geworden ist.

Mangel an ökologischem Bewusstsein

Worin besteht der Fortschritt? Letzten Endes doch nur in mehr materiellem Wohlstand, abgesichert durch weiteres Wachstum, wie es im Modell der sozialen Marktwirtschaft vorgesehen war? Piketty weicht dieser Frage systematisch aus. Er betont zwar, dass die ökologische Frage nur bewältigt werden kann, wenn dies sozial verträglich geschieht.

Die komplementäre Einsicht allerdings, dass auch Sozialpolitik ökologisch verträglich sein muss, fehlt. Eine Ideengeschichte der Ungleichheit liefert Piketty somit nicht.

Oliver Schlaudt, geboren 1978, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Universität Heidelberg. 2018 veröffentlichte er „Die politischem Zahlen – Über Quantifizierung im Neoliberalismus“. Sein hier gekürzt dokumentierter Essay ist vollständig im „Merkur“ ( Nr. 850, März 2020, merkur-zeitschrift.de) erschienen.

Oliver Schlaudt

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