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Neben Bundesaußenministerin Annalena Baerbock waren auch ihre Amtskollegen Dmytro Kuleba (l.) aus der Ukraine und Tony Blinken aus den USA zu Gast.

© Stephan Gorl/ZUMA Press Wire/action press

Zehn Zitate der Sicherheitskonferenz: Von Steinschleudern, Sternstunden und Boykott

Drei Tage lang ist in München Weltpolitik besprochen und gemacht worden. Wir haben zehn Sätze ausgesucht und erklären, was sie bedeuten.

Die 59. Münchner Sicherheitskonferenz ist eine ganz besondere gewesen, weil die vorangegangene noch vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stattfand. Wir präsentieren eine Auswahl von dort gesagten Sätzen, die besonders herausstachen.

Die Steinschleuder muss noch stärker werden – und zwar jetzt.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

Mit dem biblischen Bild vom kleinen David, der mit einer Steinschleuder den großen Goliath besiegt, warb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für umfangreichere Waffenlieferungen. Mit der richtigen Militärhilfe werde „Goliath auf jeden Fall dieses Jahr fallen“.

Selenskyj war per Video nach München zugeschaltet worden. Seine Unterstützer nutzen die Konferenz, um die Lieferung von Panzern abzustimmen und auch über Kampfjets zu diskutieren. Am dringlichsten aber ist der Nachschub von Ersatzteilen und Munition für die ukrainische Luftabwehr.

Uns leitet das humanitäre Völkerrecht.

Annalena Baerbock, Außenministerin

Für die Verteidigung gegen die russische Armee wünschten ukrainische Regierungsvertreter während der Konferenz auch Streumunition und Phosphor-Bomben.

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Warum sagte Annalena Baerbock in ihren ersten Reaktionen nicht unmissverständlich, was sie davon hält? Das habe sie doch getan, hört man von der Spitze ihres Ministeriums – in zwei kurzen Worten: „Humanitäres Völkerrecht.“

Deutschland hat internationale Konventionen unterschrieben, die den Einsatz dieser Munition verbieten. Sie möchte der russischen Propaganda andererseits kein Videomaterial liefern, das sich als harte Absage an Kiewer Wünsche ausschlachten lässt. Diplomatie ist mitunter kompliziert.

Die Ukraine muss den Krieg gewinnen.

Boris Pistorius, Verteidigungsminister

Einen Monat ist der neue Verteidigungsminister im Amt. Boris Pistorius machte eine Kunstpause, bevor er den Satz aussprach. Sein Chef und SPD-Parteifreund Olaf Scholz hat ihn bisher nicht gesagt. Der Bundeskanzler verwendet die Formulierung: Russland darf nicht gewinnen, die Ukraine darf nicht verlieren. Ist das nur ein semantischer Unterschied, oder hat er Bedeutung für die Frage, welche Waffen mit welchem Ziel geliefert werden?

Es geht, zum Beispiel, darum, ob es Kiew ermöglicht wird, die seit 2014 von Russland annektierte Krim zu befreien. Wenn der Verlust der Halbinsel droht, könnte das den russischen Präsidenten Wladimir Putin verhandlungsbereit machen, meinen manche Teilnehmer in München. Andere fürchten das Risiko einer Eskalation, wenn der Kreml sich in die Ecke gedrängt fühlt.

Ich werde weiter tanzen.

Sanna Marin, Finnlands Ministerpräsidentin

Finnland Ministerpräsidentin Sanna Marin wurde in München auf das Partyvideo angesprochen, das vergangenen Sommer im Internet kursierte und Fragen nach ihrer Arbeitsmoral inmitten der ernsten Bedrohung aufwarf.

Damals war der Verdacht aufgekommen, russische Trollfabriken hätten die Verbreitung des Videos organisiert.

Erst vor wenigen Tagen hatte ein internationaler Rechercheverbund über den Einfluss gesteuerter Desinformationskampagnen auf die Öffentlichkeit in westlichen Ländern berichtet. Mit dem Satz wollte Marin ausdrücken, dass sie sich davon nicht einschüchtern lassen will.

Deutschland wird seine Verteidigungsausgaben dauerhaft auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben.

Olaf Scholz, Bundeskanzler

Neu ist die Zusage des Bundeskanzlers an die Bündnispartner nicht. Sie war eine Kernaussage seiner „Zeitenwende-Rede“ im Bundestag am 27. Februar 2022. Der laufende Bundeshaushalt erfüllt das Nato-Ziel aber noch nicht – die Quote für 2023 dürfte bei rund 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen.

Bedeutsam ist Olaf Scholz‘ Wiederholung mit Blick auf das Budget 2024. Die Regierung wird darüber in den nächsten Wochen beraten.

Eine Erhöhung des Wehretats hätte bei Einhaltung der Schuldenbremse die Folge, dass für andere Posten weniger Geld zur Verfügung steht. Dazu gab es vergangene Woche einen giftigen Briefwechsel zwischen Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Mit dem Satz zurrt Scholz (SPD) schon einmal fest, dass das Zwei-Prozent-Ziel unter dem Etatstreit nicht leiden darf.

Eine Sternstunde der Menschheit.

Mette Frederiksen, dänische Ministerpräsidentin

Beim Staatsdinner in der Bayrischen Residenz wurde der Ewald-von-Kleist-Preis an Finnland und Schweden verliehen – für ihre Entscheidung, der Nato beizutreten. Das sei eine „Sternstunde der Menschheit“ ganz im Sinne Stefan Zweigs, sagte Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen in ihrer Laudatio.

Aus drei Gründen. Erstens sei es ein starkes Signal an Putin: Einschüchterung funktioniert nicht. Zweitens hätten die aktuelle finnische Regierungschefin Marin ihre damalige schwedische Kollegin Magdalena Andersson mit klarer Führung die Bürger mitgenommen.

Drittens tragen beide Länder zur militärischen Stärkung der Nato bei. Die Nordischen Länder seien in ihrer Bündnispolitik nun wieder vereint. 1949 hatten sich Dänemark, Island und Norwegen der Nato angeschlossen, Finnland und Schweden blieben neutral. Einen kleinen Seitenhieb auf die vielen Männer im Kaisersaal wollte Frederiksen sich nicht verkneifen.

In Anspielung auf ein populäres Zitat des Western-Helden John Wayne – A man’s got to do what a man’s got to do – lobte Frederiksen: Zwei Frauen hätten getan, was Frauen in der Lage tun müssen. Der Ewald-von-Kleist-Preis ist nach dem Gründer der Münchner Sicherheitskonferenz benannt, einem Widerstandskämpfer gegen Hitler.

Eine Friedenslösung muss die territoriale Integrität der Ukraine achten.

Wang Yi, Staatsrat und oberster Außenpolitiker Chinas

China wirkt im Ukrainekrieg zwiegespalten. Es leidet ökonomisch unter den Kriegsfolgen und hat beträchtliche Investitionen in der Ukraine verloren. Aber es unterstützt Russland mit „Dual use“–Gütern, die sich sowohl zivil als auch militärisch nutzen lassen. Für den Jahrestag des Kriegsbeginns kündigte Wang Yi einen Friedensvorschlag an. Eines der Prinzipien sei die territoriale Integrität der Ukraine. Ist ein Rückzug Russlands aus der Krim und der Ostukraine realistisch?

Chinas Dilemma: Der Krieg soll rasch enden, aber nicht als ein klarer Sieg des Westens und seiner Militärhilfe für die Ukraine. Peking begründet auch seinen Anspruch auf Taiwan mit dem Recht auf territoriale Integrität.

Irans Regime darf nie mehr die Bühne in München bekommen.

Nazanin Boniadi, Botschafterin von Amnesty International mit iranischen Wurzeln

Christoph Heusgen, neuer Vorsitzender der Sicherheitskonferenz, hat 2023 weder Vertreter des Mullah-Regimes noch Russlands eingeladen.

Die Bühne bekamen stattdessen Stimmen der Opposition. Im Fall Irans Frauen, die im westlichen Ausland leben. Nazanin Boniadi nannte das einen „Riesenerfolg“.

Irans Frauen erwarteten nicht, dass der Westen einen Machtwechsel in Teheran herbeiführt. Der müsse aus dem Iran kommen. Es sei aber eine große Hilfe, wenn das Ausland den Mullahs den Geldhahn abdrehe und ihnen keine Bühne mehr zur Verbreitung ihrer Propaganda biete.

Uns wird Doppelzüngigkeit vorgeworfen.

Emmanuel Macron, französischer Präsident

Warum verurteilen viele Staaten Afrikas und Südamerikas den Krieg nicht eindeutig? Warum sind manche im „Globalen Süden“ so empfänglich für die russische Propaganda, der Westen habe den Angriff auf die Ukraine verschuldet? Zwei Gründe durchziehen die Debatten in München.

Die Länder im Süden sehen in dem Krieg keinen Konflikt, der sie betrifft. Die reichen Staaten im Norden hätten sich für die meisten Kriege auf der südlichen Halbkugel auch nicht interessiert. Oder sich aus egoistischen Interessen eingemischt, die wenig mit den angeblichen Werten des Westens zu tun haben. Der Süden sieht Doppelstandards und Doppelzüngigkeit.

Die russische Rüstungsindustrie arbeitet in drei Schichten.

Kaja Kallas, Premierministerin Estlands

Die estnische Premierministerin zeigte sich besorgt über das schleppende Anlaufen der Rüstungsproduktion in Europa. Vor allem bei der Munition drohten in der Ukraine erhebliche Versorgungslücken. „Russland verfeuert an einem Tag so viele Artilleriegranaten, wie in Europa in einem Monat produziert werden“, erläuterte Kaja Kallas am Sonntag auf der Sicherheitskonferenz.

Trotzdem lägen den europäischen Unternehmen bislang nicht ausreichend Großaufträge vor, um ihre Produktion zu steigern. Den Grund dafür sieht Kallas im fehlenden politischen Willen: „Einige EU-Mitglieder glauben immer noch, dass die russische Aggression von selbst wieder verschwindet.“

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte, dass die EU an einem neuen Beschaffungsverfahren arbeite. Kallas zufolge orientiert sich der Vorschlag an den Erfahrungen mit der gemeinsamen Impfstoffbeschaffung während der Corona-Pandemie. Man wolle über die EU gebündelt Großaufträge an die Rüstungsindustrie vergeben und so sicherstellen, dass die Unternehmen die für die Ausweitung der Produktion notwendigen Investitionen tätigen könnten.

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