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Eine Jungsau schaut neugierig in die Kamera.

© Christoph Schmidt/dpa

Würde, Wohl und blutige Wahrheit: Warum Tierschutz nur vorgegaukelt wird, das Schnitzel aber sakrosankt bleibt

Welche politischen Rechte haben Tiere? Und ist der Mensch verpflichtet, diese zu vertreten? Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Max Tholl

Man stelle sich vor, gleich in Artikel 1 des Grundgesetzes stünde: Auch die Würde des Tieres ist unantastbar. Keine sinnlosen Schlachtungen, artfremde Haltung oder qualvollen Experimente mehr. Es klingt radikal, dabei wäre es moralisch konsequent. Das Unrecht, welches wir Menschen den Tieren antun, hat System, gehört gar zu unserer gesellschaftlichen Grundordnung, schreibt der Berliner Philosoph Bernd Ladwig in seinem neuen Buch „Politische Philosophie der Tierrechte“ (Suhrkamp).

Im Interview mit dem Deutschlandfunk argumentiert er, dass Tiere ein „Recht aufs Gedeihen“ haben und unser Gerechtigkeitsempfinden nicht an der Speziesgrenze enden darf. Normative Schlussfolgerungen, etwa, dass es in Ordnung ist, ein Tier zum Verzehr zu töten, dürften nicht aus biologischen Feststellungen resultieren. Stattdessen solle zum Beispiel die Leidensfähigkeit in den Fokus der Bewertung rücken.

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Mehr noch, Ladwig spricht Tieren sogar eine politische Mitgliedschaft zu, die stellvertretend vom Menschen eingefordert werden soll. Nicht weniger als das Ende der industriellen Tierausbeutung wäre die Konsequenz. Daran haben aber weder Gesellschaft noch Politik ein starkes Interesse. Nicht einmal die erneuten Gräuelberichte über die tier- und menschenverachtenden Schlachtbedingungen vermögen das zu ändern.

Fleischgipfel gegen die Ramschpreise

Die Regierung in Form von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner zeigt sich derzeit zwar bemüht, die Missstände in der Fleischindustrie zu korrigieren. So twitterte sie etwa kürzlich, Fleisch sei zu billig und lud am vergangenen Freitag unter anderem Branchenvertreter, Tierschützer und Verbraucher zum „Fleischgipfel“ ein, um konkrete Schritte gegen die „Ramschpreise“ zu diskutieren – etwa eine höhere Mehrwertsteuer oder eine sogenannte Tierwohlabgabe.

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Trotzdem, so Klöckner, dürfe Fleisch nicht zu einem Luxusprodukt werden. Es ist bezeichnend für eine Politik, die das Tierwohl dem Konsum unterordnet, die das Recht auf Fleisch trotz Wissen um die verursachten Leiden und Schäden verteidigt und mittels Subventionen sogar fördert. Sie gaukelt einen Tierschutz vor, der wenig am guten Leben der Tiere interessiert ist, und allenfalls deren „guten“ Tod garantieren soll.

Die Haltung ist verständlich. Man erinnere sich an die kollektive Schnappatmung, die der Vorschlag der Grünen 2013 auslöste, einen fleischlosen Tag pro Woche einzuführen. Und so bleiben Politik und Gesellschaft im Widerspruch gefangen, dass das Tierwohl zwar immer mehr Konsumenten wichtiger wird und die Bereitschaft fleischlose Alternativen zu probieren steigt. Die Bratwurst oder das Schnitzel aber bleiben sakrosankte Güter, die es gegen Verzichtspredigten zu schützen gilt.

Bloßer Appell ans Gewissen?

Angesichts dessen wirkt Ladwigs Forderung, Tieren politische Rechte zuzusprechen, wie ein naiver Appell ans Gewissen der Menschen, die nicht einmal ihresgleichen gleichberechtigt behandeln. Und doch wäre damit viel erreicht.

Eine politische oder juristische Gleichstellung ist unrealistisch und wenig praktikabel, doch konkrete Tierrechte würden uns zumindest stärker in die Pflicht nehmen, etwa Nutztiere primär als Lebewesen und nicht als Ressourcen und Produktionsmaschinen zu betrachten.

Dieses Umdenken ist die Voraussetzung für alle politischen Schritte, die sich am tatsächlichen Tierwohl statt am Konsum orientieren. Preiserhöhungen beim Fleisch und strengere Kontrollen sind notwendig, aber taugen wenig, wenn sie einzig das schlechte Gewissen beruhigen sollen, was angesichts des tierischen Leids nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten ist.

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