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Uneins in der Türkei-Frage: Außenminister Steinmeier und Innenminister de Maizière (rechts).

© Reuters/dpa

Update

Steinmeier gegen de Maizière: Woher kommen die Risse in der Türkei-Politik?

Viele in der Union finden Steinmeiers Außenpolitik zu leisetreterisch. Dieser Konflikt bricht jetzt auf. Fragen und Antworten zum Thema.

In der Russland- und der Türkeipolitik liegt Zündstoff – innenpolitischer. Die amtliche deutsche Außenpolitik passt vielen in der Union nicht. Sie finden sie unangemessen leisetreterisch. Bisher erfuhr die Öffentlichkeit davon nur wenig. Das wird gerade anders, nach der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Fraktion zur Türkei.

Wie ist dieser Bericht entstanden?

Wie solche Berichte nicht selten entstehen: Eine Bundestagsfraktion, oft die der Linken, weil die da sehr rege ist, fragt nach, warum die Bundesregierung welche Position einnimmt. Oder genauer: welche Grundlage diese Position hat. Im Grunde lag es doch auch nahe, das zu fragen. Denn die Türkei bietet nicht erst seit jüngster, sondern seit geraumer Zeit genügend Anlass.

Bekannt war nun schon länger, welche Kontakte die Regierung in Ankara und namentlich der Präsident beispielsweise zur palästinensischen Hamas unterhält. Was insofern auch bei den Nato-Partnern der Türkei mit einer gewissen Sorge verfolgt wird, als die Hamas als Terrororganisation eingestuft ist. Da möchte man es doch mal genauer wissen. Und wozu gibt es den Bundesnachrichtendienst?

Warum wurde das Auswärtige Amt nicht einbezogen?

„Büroversehen“ ist die offizielle Erklärung. Was für ein schönes Wort, so schillernd. Wert, zum (Un-)Wort des Jahres nominiert zu werden. Ein Versehen – wer’s glaubt ... Der glaubt auch, dass es so war: Der eine hat gedacht, der andere hat beim Auswärtigen Amt nachgefragt; und der Nächste hat gedacht, da wird bestimmt noch gefragt.

Es kann aber auch sein, dass da einer vorher nachgedacht hat – und mit Absicht nicht weiter nachgefragt. Indiz: Innenstaatssekretär Ole Schröder sagt, auch eine Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt hätte die Antwort nicht verändert. Und Innenminister Thomas de Maizière findet, es gebe da nichts zu bereuen. „Das, was dort vertraulich dargestellt wurde, ist eine pointierte Darstellung eines Teilaspekts türkischer Wirklichkeit.“

Ach ja, Schröder und de Maizière sind Christdemokraten – das Außenamt führt der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier.

Warum ist Steinmeier gegen die Veröffentlichung?

Weil er Erfahrung hat mit Ankara. Die Regierung, voran der Präsident, ist immer gleich beleidigt, wenn man sie kritisiert oder mit Kritikwürdigem in Verbindung bringt. Dann wird schnell geklagt, wahlweise vor Gericht oder beim deutschen Geschäftsträger in Ankara, der dazu ins dortige Außenministerium einbestellt wird. Wahrscheinlich kennt Botschafter Martin Erdmann die Gänge in Ankara inzwischen besser als die in Berlin, so oft, wie er schon da war.

Hinzu kommt zweierlei: Steinmeier will der Türkei die Tür zur EU offen halten, das ist SPD-Politik seit Gerhard Schröders Kanzlerzeit. Außerdem ist er ein unbedingter Verfechter des Dialogprinzips, will sagen, dass Steinmeier meint, ohne miteinander zu reden kann sich nichts ändern, kann ich den anderen nicht ändern. Kein Wunder, dass eine Sprecherin des Außenamts am Freitag prompt eine Reise Steinmeier nach Ankara "in nächster Zeit" ankündigte, auch wenn sie keinen konkreten Termin nennen konnte.

Gibt es einen Konflikt zwischen Steinmeier und de Maizière?

Dazu muss man mal ein paar Jahre zurückblicken. Also: 2004, Angela Merkel war noch nicht Kanzlerin, beschloss die Union, der Türkei eine „Privilegierte Partnerschaft“ vorzuschlagen. Der Vorschlag stammte von Merkel und Wolfgang Schäuble, gedacht als Alternative zur Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union.

Im März 2004 verabschiedeten die Präsidien von CDU/CSU das Papier dazu, im Oktober 2004 engagierte sich Merkel für einen Volksentscheid in Deutschland über die Frage, ob man eine Vollmitgliedschaft der Türkei ablehne. Für die Unionsparteien war damals nur schon der Plan einer Aufnahme der Türkei ein schwerer Fehler. Auch deshalb, weil die Türkei noch viel zu rückständig sei, um europäischen Standards genügen zu können. Und dann wollte die Union auch nicht, dass die EU Irak und Iran als direkte Nachbarn hätte.

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An dieser Auffassung hat sich im Grundsatz bis heute nichts geändert; hat im Übrigen auch der „Flüchtlingsdeal“ nichts geändert. Vielmehr fühlen sich etliche in der Union, besonders in der Fraktion, durch das, was seit dem Putschversuch im Land geschieht, in ihrer Skepsis bestätigt und bestärkt.

Dagegen die SPD: Die ehemalige rot-grüne Koalition mit Schröder und Joschka Fischer und Steinmeier war der Meinung, dass die Aufnahme der Türkei in die EU den Demokratisierungsprozess vorantreiben würde und anderen islamischen Staaten als Vorbild für deren eigenen Weg zur Demokratie dienen könnte.

Ja, und so erklärt sich doch, dass de Maizière und Steinmeier hier nicht zwingend einer Meinung sind, oder?

Welche Rolle spielen die Sicherheitsdienste?

Eine, die sie spielen sollen: Sie bringen die Expertise. Richtig ist, dass im Grundsatz bekannt war, worum es geht – um Ankaras Beziehung zu „Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien“, zur Muslimbruderschaft in Ägypten und zur palästinensischen Hamas. Richtig ist außerdem, dass der BND, was seines Amtes ist, die Türkei unter Recep Tayyip Erdogan mit Argusaugen beobachtet.

Richtig ist zum Letzten, dass es zum ersten Mal derart klar auf den Punkt gebracht worden ist: Die Türkei wird als „zentrale Aktionsplattform“ für Islamisten im Nahen Osten eingestuft. Dahinter kommt die Bundesregierung nicht mehr zurück. Diese Wertung war vielleicht nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, war Verschlusssache („VS – Nur für den Dienstgebrauch“), aber nun ist sie in der Welt. Wie auch immer sie dahingelangt ist… Und von nun an wird der deutsche Außenminister in aller Welt daran gemessen werden, wie er mit den eigenen, sehr kritischen Erkenntnissen umgeht.

Welche Auswirkungen hat das alles auf den Türkei-Deal?

Die Regierung in Ankara, der Präsident – sie werden mehrmals in unterschiedlicher Weise drohen, ihn aufzukündigen. Deshalb beschwichtigt das Außenamt ja auch schon. Andererseits braucht das Regime ökonomische Stabilität. Die ist bereits bedroht. Wenn dann noch die Milliarden Euro, die der Deal bringt, wegfallen würden – dann würde das möglicherweise noch dramatischere Auswirkungen als der Putsch nach dem Putsch haben. Heißt: Beide Seiten haben Interessen. Und man weiß ja seit Lord Palmerston in der Außenpolitik, dass Staaten keine Freunde, sondern nur Interessen haben.

Wo steht das Kanzleramt?

In der Mitte, zur Vorsicht. Merkel war es ja nicht ... Es waren die Mitarbeiter. Und: siehe oben. Der Deal ist so gesehen doch auch eine Art privilegierter Partnerschaft. (mit AFP)

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