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 Auf diesem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlichten Videostandbild fahren russische und belarussische Panzer während gemeinsamer militärischer Übungen auf dem Schießplatz von Brestsky.

© --/Russian Defense Ministry Press Service/AP/dpa

Bis zu 150.000 Mann an der Grenze zur Ukraine: Wo die russischen Truppen stehen und was von ihnen zu erwarten ist

Eine Invasion der Ukraine soll angeblich in den nächsten Tagen beginnen. Sorgen bereiten vor allem die russischen Truppenbewegungen. Die Lage im Überblick.

Von Thomas Sabin

Eine Eskalation der Lage an der russisch-ukrainischen Grenze wird immer wahrscheinlicher. Nach Einschätzung der USA steht ein Einmarsch Russlands in die Ukraine kurz bevor, schon kommenden Mittwoch könnte es soweit sein.

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Doch was genau hieße das konkret? Welche militärischen Aktivitäten sprechen dafür? Und was wären die Folgen eines Angriffs? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur militärischen Lage im Russland-Ukraine-Konflikt:

Warum sind die Spannungen aktuell so groß?

Die Amerikaner sind sich derzeit sehr sicher, dass ein Angriff Russlands auf die Ukraine kurz bevorsteht, heißt es aus US-Regierungskreisen. Deutlichstes Anzeichen dafür: Russland hat Hunderte Panzer, Artillerie-Fahrzeuge und ballistische Kurzstreckenraketen in Schlagdistanz zur Ukraine aufgefahren. Es ist die größte militärische Aktion seit dem Ende des Kalten Krieges.

Die Ukraine ist von Truppen in Weißrussland, Russland und der Krim inzwischen von drei Seiten eingekesselt. Feldlazarette und Reparatureinheiten stehen auf russischer Seite inzwischen bereit. Jake Sullivan, Sicherheitsberater von Joe Biden, hält einen Luftschlag zu Beginn einer Invasion für wahrscheinlich.

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In der russischen Botschaft in den USA weist man die Vorwürfe, eine Invasion zu planen, als haltlos zurück. Anatoli Antonow, russischer Botschafter in Washington, sagte am Samstag, es werde „Alarmismus“ verbreitet, ohne Beweise für die Behauptungen. Er sprach von einer Propaganda-Kampagne der Amerikaner gegen Russland.

Auf diesem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlichten Videostandbild fahren Panzer während einer gemeinsamen militärischen Übung von Belarus und Russland auf dem Schießplatz von Brestsky.
Auf diesem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlichten Videostandbild fahren Panzer während einer gemeinsamen militärischen Übung von Belarus und Russland auf dem Schießplatz von Brestsky.

© --/Russian Defense Ministry Press Service/AP/dpa

Russlands Präsident Wladimir Putin fordert rechtliche Garantien, dass die Ukraine niemals der Nato beitreten wird oder Raketenabwehrsysteme der Nato aufstellen lässt. Die Wahrscheinlichkeit, dass seine Forderungen in der Form akzeptiert werden, ist sehr gering. Die Nato besteht bisher darauf, dass jedes Land selbst entscheiden kann, ob es dem Bündnis beitreten will oder nicht.

Ukraine, Region Donezk: Ukrainische Soldaten stehen zusammen und rauchen.
Ukraine, Region Donezk: Ukrainische Soldaten stehen zusammen und rauchen.

© dpa/Vadim Ghirda/AP

Ein weiterer Grund für die sich zuspitzende Lage ist die Witterung. Will Putin die Ukraine angreifen, muss das im Idealfall im Spätwinter geschehen. Denn im Frühjahr weicht mit der Schneeschmelze der Boden auf. Die Fortbewegung der Panzer und anderer schwerer Fahrzeuge wäre stark erschwert. Sicherheitsexperten betonten aber: „Russland würde einen Weg finden, mit der Schneeschmelze umzugehen.“ Gemeint sind etwa die großen Mengen moderner Lenkflugkörper in Reihen der russischen Streitkräfte.

Gemeinsames Militärmanöver von Russland und Belarus - Verortung von Übungsplätzen und Militärflugplätzen
Gemeinsames Militärmanöver von Russland und Belarus - Verortung von Übungsplätzen und Militärflugplätzen

© dpa

Einige Länder, darunter die USA, Großbritannien, Belgien, Israel und Deutschland, haben in den vergangenen Tagen ihre Landsleute dazu aufgefordert, die Ukraine zu verlassen. Auch Russland hat reagiert und Teile des diplomatischen Personals aus der Ukraine abgezogen. „Aus Angst vor möglichen Provokationen seitens des Kiewer Regimes oder anderer Länder“, teilte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharow, am Samstag mit.

Was ist über die russischen Militäraktivitäten bekannt?

Anfang Februar sprachen Nachrichtendienste aus den USA und anderen Nato-Staaten von etwa 112.000 bis 120.000 russischen Soldaten, stationiert nahe der Ukraine – darunter auch Einheiten des Sanitätsdienstes mit Blutreserven. Am 11. Februar sprach der Chef des norwegischen Geheimdienstes bereits von 150.000 Soldaten. Zudem gebe es die separatistischen Gruppen in den abtrünnigen Gebieten Donezk und Luhansk, die auf eine Truppenstärke von etwa 32.000 geschätzt werden.

Zudem seien laut Geheimdienstinformationen Luftabwehrsysteme vom Typ Panzir und S-400 sowie Kampfflugzeuge vom Typ Suchoi Su-35 nach Belarus, nördlich der Ukraine, verlegt worden.

Das Satellitenbild vom 10.02.2022 zeigt Zelte und einen Truppenunterkunftsbereich in Kursk, etwa 110 Kilometer östlich der Grenze zur Ukraine.
Das Satellitenbild vom 10.02.2022 zeigt Zelte und einen Truppenunterkunftsbereich in Kursk, etwa 110 Kilometer östlich der Grenze zur Ukraine.

© dpa/Maxar Technologies/AP

Der Großteil der Truppen und schweren Waffen wurde bereits im Frühjahr 2021 an die russisch-ukrainische Grenze verlegt. Laut Schätzungen des militärischen Nachrichtendienstes „Rochan Consulting“ befanden sich am 6. Februar 2022 74 bis 76 taktische Bataillone, die kleinste operative Einheit der russischen Armee, nahe der ukrainischen Grenze und in Belarus. Das berichtet der britische „Guardian“.

Das Satellitenbild zeigt den Einsatz von Truppen und Ausrüstung auf dem Luftwaffenstützpunkt Zyabrovka in Belarus, 10. Februar 2022.
Das Satellitenbild zeigt den Einsatz von Truppen und Ausrüstung auf dem Luftwaffenstützpunkt Zyabrovka in Belarus, 10. Februar 2022.

© REUTERS/Maxar Technologies

Der Truppen- und Waffennachschub hält nun schon seit Wochen an. Im Internet kursieren Videos, die mit militärischen Einheiten voll beladene Güterzüge zeigen, die in Richtung Ukraine fahren.

Am 10. Februar begann zudem die gemeinsame „Allied Resolve“-Übung von Russland und Belarus. Diese soll bis zum 20. Februar andauern. Auch hier wächst die Truppenanzahl weiter an und wird von Experten derzeit auf etwa 17 taktische Bataillonsgruppen oder möglicherweise mehr geschätzt.

Ein Satellitenbild zeigt die Aufstellung von Truppenunterkünften und Militärfahrzeugen in Rechitsa, Belarus, 9. Februar 2022.
Ein Satellitenbild zeigt die Aufstellung von Truppenunterkünften und Militärfahrzeugen in Rechitsa, Belarus, 9. Februar 2022.

© REUTERS/Maxar Technologies

Aus Nato-Kreisen wurden Warnungen laut, dass die russische Truppenstärke in Belarus bald 30.000 Mann erreichen könnte. Darunter seien auch Speznaz-Spezialeinheiten, SU-35-Kampfflugzeuge, S-400-Luftverteidigungssysteme und Iskander-Raketen, die Atomwaffen tragen können und eine Reichweite von 500 Kilometer haben.

Dieses Satellitenbild vom 15. September 2021 (links) und vom 1. Februar 2022 (rechts) zeigt militärische Einrichtungen in Novoozernoye auf der Krim.
Dieses Satellitenbild vom 15. September 2021 (links) und vom 1. Februar 2022 (rechts) zeigt militärische Einrichtungen in Novoozernoye auf der Krim.

© REUTERS/Maxar Technologies

[Mehr zum Thema: Überlebenstraining, Schrotflinte, Kalaschnikow - Wie Kiews Einwohner sich auf eine Invasion vorbereiten (T+)]

Die größte russische Streitkraft, die sich derzeit in der Nähe der ukrainischen Grenze befindet, kommt aus dem fast 2000 Kilometer entfernten Nowosibirsk. Sie umfasst unter anderem Infanterie, Kampfpanzer, Raketenartillerie und ballistische Iskander-Kurzstreckenraketen. Teile dieser Kräfte seien vom Truppenübungsplatz Pogonov nach Jelnja gezogen, einer Stadt in der Region Smolensk, die näher an Belarus liegt.

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Neueste Satellitenaufnahmen zeigen außerdem Motorgewehrbrigaden, die sich in Richtung Krim fortbewegen. US-Experten nehmen an, dass von Ende Januar bis Anfang Februar etwa 10.000 Soldaten auf die Krim verlegt wurden.

Aber auch auf dem Wasser rüstet Russland auf. Für ein groß angelegtes russisches Marinemanöver nahe der annektierten Krim seien laut Moskauer Verteidigungsministerium von Sewastopol und Noworossijsk mehr als 30 Schiffe der Schwarzmeerflotte aufgebrochen. Der Zweck dieser Übung sei, die Meeresküste der Halbinsel, die Stützpunkte der Streitkräfte der Schwarzmeerflotte sowie Einrichtungen des Wirtschaftssektors vor möglichen militärischen Bedrohungen zu schützen, erklärte das Ministerium.

Welche Angriffsszenarien sind vorstellbar?

Westliche Geheimdienste halten es für möglich, dass nur die Hälfte der Ukraine eingenommen wird, oder dass lediglich ein Korridor von der bereits annektierten ukrainischen Halbinsel Krim Richtung Moldau und Rumänien geschaffen werden soll.

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Weitere Optionen seien ein offizieller Einzug in den bereits von den Separatisten kontrollierten Donbass, wo russische Soldaten sich dann zu einer Art Friedenstruppe erklären würden – möglicherweise auch nach einer Erweiterung der Separatistengebiete.

Ein möglicher Angriff auf die ukrainische Hauptstadt Kiew könnte nach Einschätzung der Analysten über Belarus, aber auch über den Nordosten der Ukraine erfolgen. Ein weiteres Szenario ist die Umzingelung der ukrainischen Hauptstadt Kiew und in der Folge ein durch Russland erzwungener Regimewechsel.

Klar ist aktuell aber auch: Was genau Putin vorhat, weiß niemand. Denn die Frage ist auch: Was würde eine russische Invasion der Ukraine bringen? Dass die Ukrainer mehrheitlich dann die Besatzungsmacht und ein von ihr installiertes Regime stützen, ist nicht abzusehen.

Militärische Stärke im Vergleich

Russland Ukraine
Verteidigungsetat 61,7 Milliarden US-Dollar 5,9 Milliarden US-Dollar
Truppenstärke 900.000 209.000
Reservisten 2 Millionen 0,9 Millionen
Gepanzerte Kampffahrzeuge 20.200, davon 3330 Kampfpanzer 3700, davon 987 Kampfpanzer
Artilleriegeschütze 5700 2000
Kriegsschiffe 570, davon 49 U-Boote 24, keine U-Boote
Kampfflugzeuge 1379 125
Nuklearwaffe 6255 0

In der Ukraine selbst hielt man noch bis Ende Januar einen russischen Angriff im Osten für sehr wahrscheinlich. Am 21. Januar teilte der ukrainische Militärgeheimdienst mit, dass Moskau den Separatisten in der Ostukraine seit Anfang des Monats zusätzliche Panzer, selbstfahrende Artillerie, Mörser und mehr als 7000 Tonnen Treibstoff geliefert habe, berichtet der „Guardian“.

Im November wurde vom ukrainischen Militärgeheimdienst eine Grafik veröffentlicht, die ein Worst-Case-Szenario entwirft. Die Karte zeigt, wie russische Streitkräfte die ukrainische Grenze von Osten aus überqueren und von der annektierten Krim aus angreifen. Unterstützt von russischen Soldaten in Transnistrien könnte Russland dann einen amphibischen Angriff auf Odessa starten.

[Exklusiv für Abonnenten: Deutschland und der Konflikt mit Putin - Höchste Zeit für eine neue Ostpolitik!]

Im Kiew-Szenario gilt Belarus als wichtigster Faktor. Die Route aus dem Norden gilt als einfachster Weg zur ukrainischen Hauptstadt. Russische Streitkräfte könnten so den großen Fluss Dnjepr in freundlichem Gebiet überqueren.

Zuletzt zeigte sich der Präsident Wolodymyr Selenskyj aber verwundert über die Kriegswarnungen der USA. „Falls Sie oder jemand anderes zusätzliche Informationen über einen 100-prozentigen Einmarsch am 16. (Februar) haben, dann geben Sie uns bitte diese Information“, sagte Selenskyj am Samstag Journalisten. Kiew sei sich dessen bewusst, dass es Risiken gebe.

Dennoch würde es im öffentlichen Raum zu viele Berichte über einen großen Krieg Russlands gegen die Ukraine geben. Kiew sei zwar auf alles vorbereitet. Doch: „Der beste Freund für die Feinde ist Panik in unserem Land“, richtete Selenskyj sich auf Englisch an westliche Journalisten. All diese Informationen würden nur Panik schüren und der Ukraine nicht helfen.

Nato-Mitglieder und Grenzen der Sowjetunion bis 1991
Nato-Mitglieder und Grenzen der Sowjetunion bis 1991

© dpa/A. Brühl; Redaktion: M. Lorenz

Was wären die Folgen eines Angriffs?

Ein Angriff Russlands auf die Ukraine würde auch für Russland schwerwiegende Folgen haben. Die USA und Verbündete haben bereits angekündigt, „erhebliche und schwere“ wirtschaftliche und technologische Sanktionen wirksam zu machen.

Dazu gehört auch ein Aus des Pipeline-Projektes Nord Stream 2. Doch auch für Europa hätte das Folgen. Als Reaktion auf die Sanktionen könnte Russland die Gaslieferungen nach Europa unterbrechen.

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