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Reinhard Bütikofer (Grüne, Archivbild von 2019)

© Imago/Rüdiger Wölk

Bütikofer über die Grünen und das viele Geld fürs Militär: „Wir sind nicht in Kriegsbegeisterung verfallen“

Schmeißt die Friedenspartei ihre Grundsätzen über Bord, wenn sie 100 Milliarden für die Bundeswehr und Waffen für die Ukraine mit verantwortet? Fragen an Reinhard Bütikofer.

Von Hans Monath

Reinhard Bütikofer (68) ist seit 2009 Europaabgeordneter der Grünen und ein einflussreicher Vertreter des realpolitischen Flügels der Partei. Von 2002 bis 2008 führte er Bündnis 90/Die Grünen als einer von zwei Bundesvorsitzenden. Zwischen 2012 und 2019 war er einer der beiden Vorsitzenden der Europäischen Grünen Partei.

Herr Bütikofer, von der Friedenspartei zur Kriegspartei in atemberaubendem Tempo. Erkennen Sie die Grünen überhaupt noch wieder?
Ihre Zuspitzung verkürzt unsere Geschichte doch sehr. Wir Grüne stehen nicht zum ersten Mal und nicht völlig unvorbereitet vor einer solchen Herausforderung. Wir haben in den vergangenen 25 Jahren mehrfach unter Beweis gestellt, dass wir in der Lage und willens sind, sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen. Es hat uns fast zerrissen, als wir in der rot-grünen Regierung 1999 für den Bundeswehr-Einsatz im Kosovo-Krieg stimmten, aber wir rangen uns dazu durch.

Um Völkermord zu verhindern, kann militärische Gewalt notwendig sein. Wir haben nach den Anschlägen vom 11. September 2001 für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gestimmt. Die USA waren nach der Charta der UN legitimiert, sich als angegriffenes Land zu wehren, und wir, ihnen zu helfen.

Der Bezeichnung der Grünen als Kriegspartei widersprechen Sie nicht?
Doch, das tue ich, ganz energisch. Nach dem Völkerrecht ist man nicht Kriegspartei, wenn man einem angegriffenen Land Waffen zur Verteidigung zur Verfügung stellt. Und wir Grüne sind auch nicht in Kriegsbegeisterung verfallen. Unsere Unterstützung für das Ausrüstungsprogramm für die Bundeswehr und für die Waffenlieferungen an die Ukraine bedeutet keineswegs, dass wir unsere friedenspolitischen Ziele aufgeben. Aber wir tragen der bitteren Realität Rechnung.

Wir haben im Koalitionsvertrag dafür gesorgt, dass Deutschland als Beobachter am Atomwaffenverbotsvertrag teilnehmen wird – das gilt weiter. Wir Grüne, und alle anderen auch, müssen auf zwei Beinen gehen: das nun Notwendige tun und gleichzeitig unsere weiter reichenden Ziele verfolgen. Bei der Friedenspolitik geht es übrigens nicht nur um Waffen, sondern auch um Klimaschutz, Menschenrechte und internationale Gerechtigkeit. 

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Der Kosovo-Krieg hat die Grünen 1999 fast zerrissen, sagen Sie, wo bleibt heute der Widerstand? 100 Milliarden zusätzlich für die Bundeswehr, die Übererfüllung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato – damit schmeißen die Grünen doch Grundsätze über Bord…
Das tun wir nicht. Wir waren zwar nicht für das Zwei-Prozent-Ziel der Nato für Rüstungsausgaben, haben aber seit langem gesagt, dass Deutschland dazu beitragen muss als EU mehr gemeinsame Verantwortung für unsere Sicherheit zu übernehmen. Unser Maßstab sollte nicht eine abstrakte Zahl sein, sondern die Orientierung an den erforderlichen militärischen Fähigkeiten. Diese Sichtweise haben unsere Partner überwiegend nicht verstanden. Um Deutschlands Positionierung unmissverständlich zu machen, hat der Bundeskanzler sich nun dazu bekannt, dass wir die zwei Prozent mehr als erfüllen werden. Ich halte das politische Signal für richtig. Es war die letzte Gelegenheit für die Regierung, der Zeitenwende gerecht zu werden. Damit hat er eine Politik korrigiert, die von unseren Partnern in der EU und in der Nato mit zunehmendem Misstrauen verfolgt wurde.

Eine solche geballte militärische Macht – kann die nicht innerhalb Europas Abwehrreflexe gegen und Angst vor Deutschland auslösen?
Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass Deutschland mit diesem neuen Kurs unsere Partner in Europa erschreckt, ganz im Gegenteil. Sie begrüßen diese Entscheidung, fanden sie überfällig.

Wenn das die letzte Chance war, was lief dann vorher falsch? Und ist das Führung in Europa, was Scholz und seine Regierung nun versuchen?
Erst einmal will Scholz Versäumtes aufholen. Daraus kann Führung werden, aber nicht im Sinne deutscher Dominanz. Wir brauchen eine partnerschaftliche europäische Führung. Es ist ein gutes Zeichen, dass das lange totgesagte Weimarer Dreieck zwischen Paris, Warschau und Berlin wieder Auferstehung feiert. Dieses Format kann für die Führung der EU sehr nützlich sein. Wir sollten aber nicht aus lauter Begeisterung darüber, dass wir den Zug gerade noch erwischt haben, darüber hinweghuschen, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist.

Die Zeitenwende ist nicht über uns gekommen wie ein Dieb in der Nacht. Sie war auf offener Bühne für jeden zu verfolgen, der hinsehen wollte. Georgien 2008. Krim und Donbass 2014. Ich denke auch an die Gaspipeline Nord Stream 2, die Kanzler Scholz noch im Dezember als privatwirtschaftliches Projekt bezeichnete. Heute gibt man allgemein zu, was schon lange klar war, dass dieses Projekt die Energiesicherheit Europas weiter gefährden würde. 

Auch Ihre Partei – ich nehme Sie persönlich aus – hat bis zuletzt gebremst bei den Waffenlieferungen an die Ukraine. Wäre die Lieferung der gleichen Waffen, die nun auf den Weg gebracht wurden, nicht vor dem Angriff Putins weit wirksamer gewesen?
Vielleicht. Das sollen Militärexperten bewerten. Es gab nun einmal die tief verwurzelte, gute Tradition, dass Deutschland keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete liefert. Das war keine Marotte einer Partei, sondern wurde von einer breiten Mehrheit der Deutschen getragen. Es wurde notwendig, nun anders zu entscheiden, nachdem die vielen diplomatischen Versuche und die Abschreckung durch die Androhung von Sanktionen gescheitert waren.

Ein Hauptwiderspruch in Ihrer Partei vor der Zeitenwende des Ukraine-Kriegs bestand darin, dass die Grünen beanspruchten, den härtesten Kurs gegen autokratische Regime wie in Russland oder China zu fahren, gleichzeitig ein tiefes Misstrauen gegenüber militärischen Machtmitteln pflegten, mit dem sie allein waren und sind im Kreis der Demokratien, die in einer solchen Strategie zusammenarbeiten müssen. Wollen Sie den Widerspruch nun auflösen?
Misstrauen gegen militärische Machtmittel ist keine Dummheit, sondern eine auf historische Erfahrung gegründete Einstellung. Sie darf uns allerdings nicht dazu verführen, im Zweifel uns weg zu ducken und schwierigen Entscheidungen auszuweichen. Ich kann sie beruhigen: Weder die Grünen noch die SPD oder die FDP sind seit Sonntag zu glühenden Anhängern militärischer Lösungen mutiert. So wenig wie die Mehrheit der Deutschen. Aber es gibt Situationen, in denen man so eine schwere Verantwortung übernehmen muss. Wir stehen dazu, dass wir diese Waffen liefern.

Schmeißen die Grünen in der Krise nun noch mehr Gewissheiten über Bord? Wirtschaftsminister Robert Habeck ist sogar bereit zu prüfen, ob AKW länger laufen sollen. Vor zehn Tagen wäre das undenkbar gewesen…
Es spricht für Robert Habeck, wenn er als Minister schwierige Sachverhalte ernsthaft prüft, statt nur auf eigene Überzeugungen zu verweisen. Allerdings hat er deutlich ausgesprochen, dass es massive praktische Hindernisse gibt, weil alle Weichen auf Abschaltung gestellt sind. Eine Rolle rückwärts wird es meiner festen Meinung nach nicht geben..

Sein Krieg gegen die Ukraine zwingt die Grünen zu neuen Antworten: Wladimir Putin bei einer Fernsehansprache.

© Andrei Gorshkov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Geht die Aufrüstung der Bundeswehr auf Kosten der Energiewende? Nun wird sogar geprüft, ob Kohlekraftwerke länger laufen sollen…
Nein, wegen der Ausrüstung der Bundeswehr muss die Energiewende nicht zurückstehen. Möglicherweise muss man den Weg dorthin neu vermessen. Die Abhängigkeit vom Import fossiler Energien aus Russland ist für uns eine strategische Achillesverse. 35 Prozent unseres Öls, 50 Prozent unserer Kohle und 55 Prozent unseres Gases beziehen wir von dort. Es spricht alles dafür, diese Abhängigkeit nicht nur aus klimapolitischen und industriepolitischen, sondern auch aus sicherheitspolitischen Gründen zu verringern und maximal in erneuerbare Energie zu investieren. Hinter dieses Ziel haben sich in der Sondersitzung des Bundestags nicht nur die Grünen, sondern auch die beiden anderen Ampelparteien gestellt.

Mit den 100 Milliarden Geld sollen auch Nachfolgeflugzeuge für die Tornados der Bundeswehr gekauft werden. Machen die Grünen nun auch ihren Frieden mit der nuklearen Abschreckung der Nato und Deutschlands Beteiligung daran?
Ich möchte der Entscheidung über die Flugzeuge nicht vorgreifen, das ist nicht mein Arbeitsfeld. Aber unsere Position zur nuklearen Teilhabe ist klar: Wir wollen Atom-Waffen aus der Welt schaffen. Aber wir sind nicht bereit, dafür einen deutschen Sonderweg zu gehen, wir wollen gemeinsam mit unseren Partnern auf diesem Weg vorankommen. Wir werden keine Entscheidungen treffen, die den Zusammenhalt der EU und der Nato, insbesondere den mit Balten und Polen, unterminieren würde.

Gilt die Regel noch, wonach für jeden Euro, der in die Bundeswehr fließt, auch einer in Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie fließen muss? Dann wäre das 100 Milliarden-Euro-Paket schnell ein 200-Milliarden-Euro-Paket…
Das ist ein gutes Prinzip, das sollten wir im normalen Bundeshaushalt so umsetzen. Ob es für das Sondervermögen von 100 Milliarden für die Bundeswehr gelten muss, ist eine andere Frage.

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